Buchcover von „Jokerman“ zeigt einen reitenden Mann mit Gitarre
Berlin Verlag
Kutzenberger-Roman

Die beste Verschwörungstheorie

In seinem zweiten Roman „Jokerman“ zeigt der Autor und Literaturwissenschaftler Stefan Kutzenberger, wie weit Autofiktion gehen kann. Sein Protagonist wird in diesem abstrusen und originellen Buch vom zweitklassigen Bob-Dylan-Forscher zum Auserwählten einer Gemeinschaft, die gegen Donald Trump konspiriert.

Es ist ein Spiel mit doppelten Böden und voller heiterer Verwirrungen, das Kutzenberger in „Jokerman“ entwirft. „Stefan Kutzenberger“, sein Protagonist gleichen Namens ist eine zur Kenntlichkeit entstellte Version seines Schöpfers, der den Beruf, einige der Spezialgebiete und biografische Daten mit ihm teilt.

Beispielsweise betätigt sich der Protagonist Kutzenberger im literaturwissenschaftlichen Feld der „Bobologen“, professioneller Exegeten von Bob Dylans Werk, in dem sie allerhand kulturelle und poetische Referenzen ausmachen. Als er einen – nur ungenügend vorbereiteten – Vortrag über Dylans Song „Jokerman“ hält, wird eine Art Geheimgesellschaft auf ihn aufmerksam, die dem Werk Dylans eine prophetische Kraft beimisst und nicht scheut, in das Weltgeschehen zu intervenieren, um die vermeintlichen Botschaften des Sängers durchzusetzen.

Mit allen theoretischen Wassern gewaschen

Kutzenberger, der im Roman als sympathischer Tunichtgut daherkommt, wird vom Kopf dieser Gesellschaft eingeladen, einen Teil der Jahre 2016 und 2017 als Dylan-Forscher bei ihm in Island zu verbringen. Erst langsam beginnt Kutzenberger zu begreifen, in was er hier hineingerät. Sein Gastgeber Gudjonsson beeinflusst die US-Wahl mit Hilfe von Vladimir Putin, seine Vorgänger an der seltsamen Forschungsstelle waren Kurt Cobain und Amy Winehouse, und überhaupt ist das ganze Weltgeschehen mit Dylan-Texten verknüpft.

Von Kapitel zu Kapitel wird die Geschichte, in die Kutzenberger hineinstolpert, abstruser, ein Plot-Twist folgt dem nächsten. Aber der Autor Kutzenberger, der hier so ironisch mit Verschwörungstheorien spielt, ist mit allen theoretischen Wassern gewaschen, welche die Literaturtheorie zu bieten hat.

Stefan Kutzenberger
picturedesk.com/First Look/Günther Pichlkostner
Kutzenberger inszeniert in „Jokerman“ eine Verschwörung von Dylan-Fans. Sein Alter Ego tritt gegen Trump an.

Das sieht man zunächst an der autofiktionalen Form der Geschichte. Schon früh wird Kutzenbergers erster Roman „Friedinger“ erwähnt, der 2018 erschien. Dieser, so wird in „Jokerman“ erzählt, ist gefloppt und der Verlag daraufhin aufgelöst worden. Nun ist der Deuticke Verlag, der „Friedinger“ verlegte, tatsächlich im Zsolnay Verlag aufgegangen, die Verkaufszahlen des Debüts werden aber kaum damit zu tun gehabt haben. Auch wird der eigentlich 2018 erschienene „Friedinger“ bereits während der Handlung des Jahres 2016 gelesen.

Buchcover von „Jokerman“ zeigt einen reitenden Mann mit Gitarre
Berlin Verlag
Stefan Kutzenberger: Jokerman. Berlin Verlag, 350 Seiten, 22,70 Euro.

Großes literarisches Spiel

Dieses Spiel mit der außerliterarischen Wirklichkeit hat in „Jokerman“ System. Figuren aus „Friedinger“ kommen genauso im Roman vor wie Salman Rushdie, Hillary und Bill Clinton und Trump, auf den die Handlung zuläuft. Zunächst setzt Kutzenberger aber in der Mitte des Romans zu einem erzählerischen Stunt an. Nachdem seine Zeit in Island 2017 zu Ende geht und Kutzenberger erfährt, dass Gudjonsson auf der Grundlage von Winehouses Deutungen einiger Dylan-Songs das Attentat auf die New Yorker Twin Towers 9/11 geplant hat, versucht er Abstand zu gewinnen.

Die folgenden dreieinhalb Jahre handelt Kutzenberger in zwei Sätzen ab, die Begründung liest sich angesichts seines Spiels mit der eigenen Person hochironisch: „So wichtig die Zeit in Wien für mich war – die dreieinhalb Jahre vom Winter 2017 bis zum Sommer 2020 –, so wenig möchte ich darüber berichten. Ich mag es nicht, wenn Privates an die Öffentlichkeit gelangt.“

Im zweiten Teil des Romans, der in der Zeit des Lockdowns im Frühjahr 2020 beginnt und bis in die nahe Zukunft reicht, wird Kutzenberger von der Dylan-Geheimgesellschaft beauftragt, Trumps Wiederwahl zu verhindern. Dabei gerät er zwischen die Fronten der verschiedenen Gruppierungen der Dylan-Jünger.

Schisma der Geheimgesellschaft

Die Gruppierungen streiten sich darüber, ob nur die Studioaufnahmen Dylans oder auch seine Äußerungen bei Konzerten zum Kanon der Texte gehören, in denen sich seine prophetischen Botschaften offenbaren. Die Anführerin der Befürworter des weiten Kanons ist Hillary Clinton, der Kopf der restriktiveren Gruppe ist sein isländischer Gastgeber Gudjonsson. Zwischen ihnen tobt ein Krieg um Deutungshoheit und wahrer Lehre, und jeder möchte Kutzenberger instrumentalisieren.

„Jokerman“ von Stefan Kutzenberger

In der ZIB um 13.00 Uhr spricht Stefan Kutzenberger über seinen Dylan-Roman, Fakt und Fiktion.

Auserwählt scheint er beiden Fraktionen, und beide Gruppen einigen sich darauf, dass Kutzenberger dazu bestimmt ist, ein Attentat auf Trump auszuführen. Basis dieser Überzeugung ist just Kutzenbergers philologisch-spekulative Interpretation von Dylans „Jokerman“. Wie weit Kutzenberger in seinem Plan kommt, sei hier nicht verraten, schließlich ist „Jokerman“ auch ein autofiktionaler Politthriller samt fein erfundener Verschwörungstheorie im Hintergrund.

Selbstreferenzialität und Humor

Auf dem Weg zum Showdown bedient Kutzenberger aber auch eine Leserschaft von Literaturkennern. So wird der erste Teil des Romans im zweiten gelesen, ein Spiel mit Fiktion und Wirklichkeit, das auf Miguel de Cervantes „Don Quijote“ zurückgeht. Auf dieses epochale Werk hat sich der letzte Roman des Nobelpreisträgers Rushdie namens „Quichotte“ bezogen.

Just Rushdie taucht gegen Schluss in „Jokerman“ auf, diskutiert mit Kutzenberger über den ersten Teil von dessen Roman – den die Leserinnen und Leser ja schon gut 100 Seiten hinter sich haben – und parliert mit dem Auserwählten der Dylan-Jünger über Realität, Literatur und Trump. Wie stimmig es Kutzenberger gelingt, reale Personen auftreten zu lassen, ohne Irritationen zu provozieren, zeigt sein großes Geschick.

Bemerkenswert ist, wie Kutzenberger seinen Roman bei aller literarischer Selbstreferenzialität und Abstrusität der Handlung eine Leichtigkeit gibt, die ihresgleichen sucht. Die feine Selbstironie, die Zweifel, die der Protagonist durchstehen muss und die geschickten Plot-Twists machen aus diesem Schelmenroman ein großes Lesevergnügen.