EU-Ratspräsident Charles Michel
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Weißrussland

EU erkennt Wahlergebnis nicht an

Die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten werden das Ergebnis der umstrittenen Präsidentenwahl in Weißrussland nicht anerkennen. Die Abstimmung sei weder fair noch frei gewesen, sagte Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel am Mittwoch nach einem Sondergipfel zur politischen Krise in Weißrussland.

Die EU wird laut Ratspräsident Charles Michel in Kürze Sanktionen verhängen. Die Strafmaßnahmen sollten jene Personen treffen, die für den Betrug bei der Präsidentschaftswahl und das Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten verantwortlich seien, sagte Michel. Er bezeichnete die politische Krise im Land als einen überwiegend innenpolitischen Konflikt.

„Bei den Protesten in Belarus geht es nicht um Geopolitik“, so Michel. In erster Linie handle es sich um eine nationale Krise. Es gehe um das Recht der Menschen, ihre Führung frei zu wählen. An die Weißrussinnen und Weißrussen direkt gewandt, sagte Michel: „Wir stehen an eurer Seite in eurem Wunsch, eure demokratischen Grundrechte auszuüben, und in eurem Wunsch nach einer friedvollen, demokratischen und erfolgreichen Zukunft.“

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel
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Merkel beim EU-Sondergipfel: Die Abstimmung sei weder fair noch frei gewesen

Es gebe für die EU „keinen Zweifel dran, dass es massive Regelverstöße bei den Wahlen gegeben hat“, sagte Merkel. Sie betonte, Weißrussland müsse „selbst seinen Weg bestimmen“. „Wir werden sehr darauf achten, dass nicht wir für Weißrussland erklären, was dort zu tun ist, sondern dass die Opposition in Weißrussland selber erklärt, was sie möchte“, sagte die deutsche Kanzlerin. Eine Vermittlerrolle der EU sehe sie „zurzeit nicht“, da Lukaschenko ein Telefonat abgelehnt habe. „Aber wir werden alles tun von unserer Seite, um für den nationalen Dialog zu werben.“

EU will Demokratiebewegung finanziell unterstützen

Ungeachtet der Warnungen aus Moskau kündigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen finanzielle Unterstützung von Anhängern der neuen Demokratiebewegung an. Die EU-Kommission werde zwei Millionen Euro für die Opfer von Repression und nicht hinnehmbarer Staatsgewalt bereitstellen, sagte von der Leyen nach dem EU-Sondergipfel. Zudem solle es eine Million Euro zur Unterstützung der Zivilgesellschaft und unabhängiger Medien geben.

Demonstration in Minsk
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Protestierende vor einem Traktorenwerk in Minsk

Der Kreml in Moskau hatte vor dem Gipfel Merkel, Michel und den französischen Präsidenten Emmanuel Macron vor einer Einmischung im strategisch wichtigen Nachbarland gewarnt. Außenminister Sergej Lawrow räumte zwar ein, dass die Wahl nicht „ideal“ gelaufen sei. Der Westen solle jedoch die politische Krise nicht zu seinem eigenen Vorteil nutzen. Lukaschenko selbst forderte die EU-Staaten auf, sich mit ihren eigenen Problemen zu befassen.

Kurz für Dialog unter Einbeziehung Russlands

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) erklärte: „Die Wahlen in Weißrussland waren weder frei noch fair und die Gewalt gegen Demonstranten ist absolut inakzeptabel.“ In einigen Monaten sollten in Weißrussland freie und faire Neuwahlen stattfinden, „so wie es auch das weißrussische Volk fordert“, sagte Kurz in einer Stellungnahme. „Wir unterstützen den Vorschlag der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Anm.), hier für den Dialog tätig zu werden. Auch Russland sollte in diese Bemühungen eingebunden werden.“

Da nicht ausgeschlossen werden könne, dass Lukaschenko zum Zwecke des Machterhalts seinen Sicherheitsapparat zu weiteren Repressionen anhält, sprach sich die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, für eine internationale Unterstützung der weißrussischen Demokratiebewegung aus. Aber auch Russland sollte gleich von Beginn an in etwaige Verhandlungen zu einer Übergangslösung mit eingebunden werden, so Ernst-Dziedzic.

Demonstrant in Militärspital verstorben

Seit der umstrittenen Präsidentenwahl vom 9. August sieht sich Staatschef Lukaschenko mit täglichen Protesten der Opposition und Rücktrittsforderungen konfrontiert. Laut dem offiziellen Ergebnis hatte der seit 26 Jahren autoritär regierende Staatschef die Wahl mit 80 Prozent der Stimmen gewonnen. Die Opposition und westliche Regierungen werfen der Regierung aber Wahlbetrug vor und kritisieren Gewalt gegen friedliche Demonstranten.

Im Zuge der Massenproteste gab es inzwischen drei Todesopfer. Ein Demonstrant sei am Mittwoch in einem Militärkrankenhaus seinen schweren Verletzungen erlegen, teilte das Gesundheitsministerium in Minsk via Telegram mit. Der Mann war bei einer Demonstration vor einer Woche in der Stadt Brest schwer verletzt worden.

Lukaschenko ordnet Verhinderung von Unruhen an

Lukaschenko wies die Regierung seines Landes an, Unruhen zu verhindern und die Grenzen zu stärken. „Es darf keine Unruhe mehr in Minsk geben“, sagte Lukaschenko laut staatlicher Nachrichtenagentur Belta nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats. „Die Leute sind müde und wollen Frieden und Ruhe“, sagte der Staatschef. Unterdessen teilte die zentrale Wahlkommission mit, dass Lukaschenko innerhalb der kommenden zwei Monate für eine weitere Amtszeit vereidigt werden soll. Ein konkretes Datum sei aber noch nicht festgelegt worden.

Militärpräsenz an Westgrenzen erhöht

Gleichzeitig ordnete das weißrussische Verteidigungsministerium einer Agenturmeldung zufolge eine Verstärkung der Militärpräsenz an den Grenzen zu Litauen und Polen an. Geplant sei die Verlegung einer Lenkwaffeneinheit, von Flugabwehr und Drohnen in die Region, meldete die russische Nachrichtenagentur TASS unter Berufung auf Angaben des Ministeriums. Die Nachrichtenagentur Belta hatte zuvor gemeldet, es sei eine Verstärkung des Grenzschutzes in Weißrussland angeordnet worden, um ein Einsickern von „Kämpfern und Waffen“ zu verhindern.

Unterdessen wies Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki die Vorwürfe Lukaschenkos zurück, wonach sich Warschau in die Angelegenheiten des Nachbarlands einmische. „Es ist klar, dass Polen Belarus als seinem Nachbarn helfen möchte, aber das hat nichts gemein mit einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten“, sagte Morawiecki. „Wenn nicht demokratische Regime Probleme bei sich im Land haben, dann kommt es sehr häufig vor, dass sie auf irgendeinen äußeren Feind zeigen“, sagte Morawiecki weiter.

Behörden in Grodno gehen auf Protestierende zu

Unterdessen gingen die weißrussischen Behörden erstmals auf die Opposition zu. In der Stadt Grodno an der Grenze zum EU-Land Polen habe die Verwaltung einige Forderungen der Protestierenden akzeptiert, berichteten weißrussische Medien am Mittwoch. Die Behörden der Stadt mit mehr als 370.000 Einwohnerinnen und Einwohnern veröffentlichte dazu auf ihrer Website zehn Punkte als „Antwort auf die Beschwerde der Öffentlichkeit“.

Demzufolge sollen Proteste auf zentralen Plätzen erlaubt bleiben. Zudem sollen die an Streiks beteiligten Mitarbeiter keine Konsequenzen befürchten. In der Stadt wurde auch ein neuer Rat gegründet, bei dem Vertreter der Zivilgesellschaft und Behörden an einem Tisch sitzen. Bisher suchten Protestierende in vielen Städten und Gemeinden Gesprächen mit den Behörden.