Skyline von Amsterdam
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Länderranking

Steueroasen und ihre Österreich-„Töchter“

Die EU-Staaten verlieren jährlich 170 Milliarden Euro an Steuern – und zwar ausgerechnet durch Steueroasen innerhalb der EU. Dazu zählen die Niederlande, Luxemburg und Zypern. Ein Indikator, inwieweit auch Österreicher diese Modelle nutzen, ist ein Ranking österreichischer Tochterfirmen nach ausländischen Mutterunternehmen. Doch auch Länder außerhalb der EU stechen auf dieser Liste ins Auge.

Die 170 Milliarden Euro Steuerverlust berechnete das Polish Economic Institute und sorgte mit dieser Zahl heuer beim Weltwirtschaftsforum in Davos für Aufsehen. Durch günstige Steuerkonstruktionen für Unternehmen dürften auch in Österreich Hunderte Millionen an Steuern verloren gehen. Das schließt die Arbeiterkammer unter anderem aus einem Länderranking, das der Kreditschutzverband KSV1870 für das ORF-Rechercheprojekt Offshore Austria erstellt.

Der KSV1870 wertete das Firmenregister aus. Rund 10.000 Tochterfirmen mit ausländischen Mutterunternehmen gibt es in Österreich. Viele davon folgen den klassischen Regeln des Wirtschaftsbetriebs: Produktionsstätten internationaler Unternehmen, Österreich-Ableger von Handelsketten und Dienstleister. Doch darunter finden sich auch Tochterfirmen, die wohl aus steuerlichen oder sonstigen rein finanztechnischen Gründen in Österreich angesiedelt sind.

Niederlande „wesentlicher Player bei Steueroasen“

Laut KSV-Ranking gibt es im großen Nachbarland Deutschland mit Abstand die meisten Mutterfirmen, die in Österreich Tochterfirmen haben, rund 3.500 sind es. Deutlich abgeschlagen auf Platz zwei liegt die Schweiz. Auf dem dritten Rang liegen die Niederlande: Mit 660 Mutterfirmen von österreichischen Tochterfirmen rangieren sie noch vor den großen EU-Staaten Großbritannien, Italien und Frankreich.

Grafik zu ausländischen Tochterfirmen in Österreich
Grafik: ORF.at; Quelle: Kreditschutzverband KSV/Stand 2019

Das dürfte auch daran liegen, dass die Niederlande laut EU-Parlament als Steueroase einzustufen sind, sagt der Leiter der Abteilung Steuerrecht in der Arbeiterkammer, Philipp Gerhartinger, gegenüber Ö1: „Ich kann mir das sehr gut vorstellen, dass die Niederlande genau deswegen auch so weit vorne liegen. Sie sind ganz sicher ein wesentlicher Player, wenn es um Gewinnverschiebung und Steueroasen geht.“

Große Konzerne in den Schlagzeilen

Große Unternehmen vermeiden Steuern, indem sie ihre Gewinne in Staaten verschieben, wo die Steuern niedrig sind. In den Niederlanden etwa liegen viele Patentrechte von Konzernen. So müssen die Konzerntöchter in anderen Staaten Lizenzgebühren zahlen – in die Niederlande, wo der Steuersatz niedrig ist. „Da fallen in den Niederlanden effektiv dann nur sieben Prozent Steuer an anstatt der sonst üblichen 19 bzw. 25 Prozent Körperschaftssteuer. Da schaut man, dass man die Einkünfte aus Patenten dort ansiedelt“, so Gerhartinger.

Für ausländische Konzerne und Eigentümer – etwa aus den USA –, ist es hier auch billiger, Gewinne auszuschütten. „Wird der Gewinn ausgeschüttet, fallen in der Regel Kapitalertragsteuern oder Quellensteuern an. Und genau da gibt es in den Niederlanden auch eine sehr günstige Möglichkeit, damit man aus der EU hinauskommt mit diesen Gewinnen“, sagt Gerhartinger. Für Schlagzeilen sorgten in den vergangenen Jahren gerade große Konzerne, die sich steuerschonend in den Niederlanden betätigen. Fiat Chrysler etwa verlegte den rechtlichen Firmensitz nach Amsterdam, auch Starbucks und Ikea nutzen die laxen Steuerregeln in den Niederlanden.

Kleines Luxemburg ganz groß

Schon auf Platz fünf im KSV-Ranking – mit 370 Unternehmen mit Tochterfirmen in Österreich – liegt das kleine Luxemburg, ebenfalls eine Steueroase. AK-Experte Gerhartinger erinnert an die Enthüllungen zu „Luxleaks" aus dem Jahr 2014, die zahlreiche Steuerskandale mit vielen großen Namen öffentlich bekannt machten – von Apple über Ikea bis Amazon. „Und es hat sich gezeigt, dass dabei sogenannte Tax-Rulings verwendet wurden, verbindliche Steuerbescheide der Luxemburger Regierung, die teilweise von der EU im Nachhinein als illegal eingestuft wurden“, so der AK-Experte.

Noch immer sei Luxemburg ein begehrter Finanzplatz: „Alle Banken sind dort", sagt der Finanzrechtler und Steuerberater Bernhard Vanas. Beim Volumen von Immobilienfonds und Investmentfonds sei Luxemburg „ein Riese gegen den Zwerg Österreich“. Und es ist davon auszugehen, dass entsprechende Unternehmen auch österreichische Tochterfirmen für ihre Konstruktionen nutzen.

Zypern als russische Einflugschneise

Auf Platz neun mit 230 Mutterfirmen liegt das vergleichsweise kleine Zypern, das ebenfalls als eine EU-Steueroase bezeichnet werden kann. Zugleich fällt auf, dass es laut der Liste nur rund 30 russische Firmen mit Töchtern in Österreich gibt. Kein Wunder, meint Vanas, da es „ganz üblich“ sei, „dass russische Investoren über zypriotische Holding-Gesellschaften kommen, sodass sie innerhalb der EU tätig werden können“. Und von dort komme dann das Geld nach Österreich.

Ähnliches lässt sie über Malta auf Platz 22 sagen, das ebenfalls mit einigen günstigen Steuermodellen Unternehmen lockt. Dass die Slowakei als Nachbarland auf Platz elf liegt, mag vielleicht nicht überraschen. Der Grazer Steuerberater Fritz Kleiner deutet an, dass es dort im Einzelfall „schon sehr günstige Besteuerungen“ geben kann.

Grafik zu ausländischen Tochterfirmen in Österreich
Grafik: ORF.at; Quelle: Kreditschutzverband KSV/Stand 2019

Gerechtere Regeln scheitern an Länderinteressen

Für eine gerechtere Besteuerung brauchte es eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Gewinnsteuer, wie sie die EU-Kommission schon vor vier Jahren vorgeschlagen hat, sagt AK-Experte Gerhartinger. Der gesamte Konzern solle als eine Einheit betrachtet werden: „Man schaut dann: Was ist der konsolidierte Gewinn? Und auf Basis einer Formel wird dieser Gewinn dann den einzelnen Ländern zugeteilt und kann dort nach dem jeweiligen Satz besteuert werden." Doch solche Vorhaben sind bisher an den Eigeninteressen einiger EU-Staaten gescheitert.

Anonyme Stifter in Liechtenstein

Aber auch außerhalb der EU gibt es attraktive Steueroasen – die Vereinigten Arabischen Emirate etwa, den US-Bundesstaat Delaware und das Fürstentum Liechtenstein – und auch das schlägt sich im Tochterfirmenranking des KSV1870 nieder. Liechtenstein hat nur 40.000 Einwohner, aber 300 Firmenstrukturen mit Tochterunternehmen in Österreich, in der KSV-Liste liegt das Fürstentum auf Platz sieben.

Ein Grund dafür seien wohl die beliebten Liechtensteiner Stiftungen, die wiederum Eigentümer von Firmen in Österreich sind, so Finanzrechtler Vanas im Ö1-Mittagsjournal. Das Treuhändergeheimnis in Liechtenstein sei so stark wie in keinem anderen Land: „Man bekommt schlichtweg keine Antwort, wer dahinter steht, wer die Begünstigten, die Stifter sind. Das ist in Liechtenstein ganz einmalig geregelt.“

Banken und Wirtschaftstreuhänder in Liechtenstein müssten sehr wohl auf Geldwäsche prüfen und darauf, ob etwa ein russischer Investor, auf einer Sanktionsliste stehe, sagt Vanas. Aber ansonsten könnten österreichische und ausländische Investoren über den Umweg Liechtenstein unerkannt bleiben – und auch steuerlich gegenüber Österreich einiges sparen.

Auffällige Häufung von Delaware

Erst hinter Liechtenstein liegen die USA mit 230 Mutterfirmen von Tochterfirmen in Österreich. Das liegt daran, dass sich Europazentralen von US-Konzernen oft in steuerlich günstigen EU-Ländern wie Irland, den Niederlande und Luxemburg befinden. Auffällig ist aber, dass der US-Bundesstaat Delaware 120-mal im österreichischen Firmenbuch vorkommt. Kleiner sagt, die USA seien sehr hart gegenüber ihren eigenen Steuerpflichtigen: „Aber sie haben mit Delaware eine Steueroase – aber ausdrücklich nur für Nicht-USA-Investoren.“

Prinzipiell könnten also Österreicher in Delaware Firmen gegründet haben, um hierzulande Steuern zu vermeiden. Der Gewinn in Delaware sei sehr begünstigt besteuert. Allerdings müsste man das Geld in den USA aufbrauchen, um legal zu profitieren, so Kleiner. Eine Verschiebung des Geldes nach Österreich würde der heimischen Finanz wohl auffallen.

Das Rechercheprojekt

Unter dem Titel „Offshore Austria“ untersucht das ORF-Rechercheprojekt mit Ö1, ZIB2 und ORF.at Briefkastenfirmen und Offshore-Konstruktionen in Österreich.

Lücke bei Abkommen mit Emiraten

Immerhin auf Platz 23 mit 40 Tochterfirmen in Österreich liegen die Vereinigten Arabischen Emirate. Dies hätten einen besonderen Vorteil, sagt Steuerberater Kleiner: In dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Österreich und den Emiraten gebe es einen überraschenden Punkt: „Alle Gewinne, die in den Emiraten angefallen sind, sind nur in den Emiraten zu besteuern. Und wenn sie dann nach Österreich transferiert werden, gibt es keine weitere Besteuerung.“

Der Clou an der Sache sei, dass in den Emiraten überhaupt keine Ertragssteuern anfallen. Einkünfte in den Emiraten sind damit praktisch steuerfrei. Auch der Rechnungshof hat bereits kritisiert, dass Investoren, die über die Emirate Firmen in Österreich besitzen, diese Regelung ausnützen.