Russischer Oppositionspolitiker Alexei Navalny
AP/Pavel Golovkin
Nawalny im Koma

Rätseln über Los von Kreml-Kritiker

Der nationalistische russische Regierungskritiker Alexej Nawalny liegt nach einer möglichen Vergiftung in einem Krankenhaus im Koma. Das teilte seine Sprecherin Kira Jarmysch in der sibirischen Großstadt Omsk via Telegram mit.

Nawalny, der zumindest international der prominenteste Kritiker von Langzeitpräsident Wladimir Putin ist, sei an ein Beatmungsgerät angeschlossen worden und nicht bei Bewusstsein. „Ich bin sicher, dass er absichtlich vergiftet wurde“, zeigte sich Jarmysch gegenüber dem Radiosender Echo Moskau überzeugt. Das Gesundheitsministerium der Region Omsk bestätigte den Vorfall, ein Sprecher gab an, es bestehe Lebensgefahr.

Die behandelnden Mediziner auf der Intensivstation des Krankenhauses in Omsk täten alles, „um sein Leben zu retten“, sagte der stellvertretende Direktor der Klinik, Anatoli Kalinitschenko, am Donnerstag vor Journalisten. Die russische Agentur Interfax hatte zuvor – ebenfalls unter Berufung auf Ärzte – vermeldet, Nawalnys Zustand sei „stabil“.

Mehrfach Anschläge

Ein Flugzeug mit dem 44-Jährigen an Bord sei in der sibirischen Großstadt Omsk zwischengelandet, dann sei Nawalny ins Krankenhaus gebracht worden. Auf den prominenten Antikorruptionskämpfer hatte es in der Vergangenheit immer wieder Anschläge gegeben.

Polizeiauto vor dem Krankenhaus in Omsk
Reuters/Alexey Malgavko
Das Spital von Omsk, in das Nawalny eingeliefert wurde

Laut Jarmysch alarmierte sie auch die Polizei. Sie beklagte, die Ärzte im Spital würden ihr praktisch keine Auskunft geben. Auch Nawalnys Vertrauensärztin in Moskau werde nicht über seinen Zustand informiert.

„Der schwerste Zwischenfall bisher“

Auf den Oppositionellen hatte es in der Vergangenheit immer wieder Anschläge gegeben. „Dieser Zwischenfall ist der schwerste bisher“, sagte Jarmysch der dpa. Es sei der inzwischen vierte Fall. Zweimal habe es Farbanschläge gegeben – einmal mit Problemen für sein Auge mit Erblindungsgefahr. Im vorigen Jahr sei er vergiftet worden, in Haft und dann in ein Krankenhaus gekommen.

Nawalny ist der führende Kopf der Opposition. Jarmysch bringt den Vorfall mit anstehenden Kommunalwahlen in Russland im September in Zusammenhang. „Offensichtlich haben die Behörden irgendwelche Vorstellungen, dass die Situation gefährlich werden könnte und man, wenn es nötig ist, auch Alexej neutralisieren muss“, sagte Jarmysch Echo Moskau. Derzeit bereist Nawalny Russland, um die Wahl von Putin-Unterstützern bei landesweiten Regionalwahlen im September zu verhindern.

Chefarzt des Krankenhause in Omsk Anatoliy Kalinichenko
AP/Evgeniy Sofiychuk
Ein behandelnder Arzt wird von Journalistinnen und Journalisten belagert

Zeigt Korruption auf

„Es besteht kein Zweifel, dass Nawalny wegen seiner politischen Position und seiner Tätigkeit vergiftet wurde“, sagte Wjatscheslaw Gimadi, der Anwalt von Nawalnys Fonds zur Bekämpfung von Korruption. Er wolle eine Untersuchung durch das Ermittlungskomitee beantragen.

Nawalny hat viele Feinde im Machtapparat. Er wirft mit seinem Team der Regierung und Oligarchen regelmäßig Korruption und Machtmissbrauch vor. Dazu veröffentlicht er detaillierte Recherchen in Sozialen Netzwerken, wo er ein Millionenpublikum hat. Zuletzt hatte ihm auch der umstrittene Staatschef von Weißrussland, Alexander Lukaschenko, vorgeworfen, hinter den Oppositionsprotesten in seinem Land zu stehen.

Immer wieder Razzien und Verhaftungen

Nawalny organisierte in den vergangenen Jahren in Russland auch immer wieder landesweite Proteste. Seinem Aufruf folgten dabei Zehntausende – vor allem junge – Menschen. Er werde von den Behörden an seiner Arbeit gehindert, betonte Nawalny regelmäßig.

Immer wieder gibt es Razzien in seinen Büros, er wurde auch oft festgenommen und zu Haftstrafen verurteilt. 2017 wurde der Oppositionelle bei einer Farbattacke schwer am Auge verletzt. Er wurde in ein Krankenhaus gebracht und später in Spanien operiert. Vor einem Jahr musste er während seiner Haftstrafe in einem Krankenhaus angeblich wegen eines Allergieschocks behandelt werden. Nawalny betonte damals, dass er vergiftet worden sein könnte.

Fälle mutmaßlicher Giftanschläge

In Russland waren mutmaßliche Vergiftungen im politischen Milieu in der Vergangenheit immer wieder ein Thema. Auch der Aktivist Pjotr Wersilow, Mitglied der russischen Polit-Punk-Gruppe Pussy Riot, verdächtigte den russischen Geheimdienst, ihn 2018 in Moskau vergiftet zu haben. Er wurde in Berlin behandelt. Pussy Riot ist mit spektakulären Aktionen gegen Justizwillkür und Korruption weltweit bekannt geworden.

Ein weiterer bekannter Fall: Der ehemalige Doppelagent Sergej Skripal und seine Tochter Julia wurden im März 2018 im englischen Salisbury dem in der Sowjetunion entwickelten Nervengift Nowitschok ausgesetzt. Beide entgingen nur knapp dem Tod. Westliche Geheimdienste beschuldigen die russische Regierung, den Anschlag als Vergeltung für Skripals Tätigkeit als Doppelagent veranlasst zu haben. Eine 44-jährige Britin, die später mit dem Nervengift in Kontakt kam, starb.

Der frühere russische Agent und Kreml-Kritiker Alexander Litwinenko starb 2006 im Exil in London an einer Vergiftung mit hochgradig radioaktivem Polonium. Zuvor hatte er mit den russischen Geschäftsmännern und Ex-KGB-Agenten Dmitri Kowtun und Andrej Lugowoi Tee getrunken. London gibt Moskau die Schuld, das jegliche Verantwortung bestreitet.