Strand auf Tafea in Vanuatu
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Passverkäufe

Vanuatus finanzielle Wunderwaffe

Der Tourismus, von dem der kleine Pazifikstaat Vanuatu bisher stark abhängig war, ist durch die Pandemie eingebrochen, zusätzlich sorgte ein Zyklon im April für Schäden in Millionenhöhe. Und doch gelang es Vanuatu im ersten Halbjahr 2020, einen Überschuss von 3,8 Milliarden Vatu (28,4 Millionen Euro) zu erzielen. Das Geheimnis dahinter: ein florierender Handel mit Staatsbürgerschaften.

130.000 US-Dollar (110.000 Euro) kostet es, Vanuatuer oder Vanuatuerin zu werden. Etwa 80.000 US-Dollar gehen direkt an die Regierung, der Rest verbleibt bei einem der 90 im Land zugelassenen Agenten, der wiederum eine Steuer von 15 Prozent auf seine Erlöse zahlen muss. Einem Bericht des „Guardian“ zufolge haben heuer bereits über 650 Personen die vanuatuische Staatsbürgerschaft erhalten – ein Anstieg von 32 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Der Trend zeigt anhaltend nach oben: Dem Vorsitzenden der Einbürgerungskommission, Ronald Warsal, zufolge sind die Einnahmen daraus bis Mitte August auf über 84,6 Millionen US-Dollar gestiegen – mit so viel war im ganzen Jahr nicht gerechnet worden.

Begehrte Begleiteffekte

Freilich nützt nur ein verschwindend kleiner Bruchteil der Käufer seine Staatsbürgerschaft dazu, sich in Vanuatu niederzulassen oder zu investieren. Vielmehr sind die Pässe begehrt, weil ihre Inhaber und Inhaberinnen visafrei in über 100 Staaten reisen können, darunter jene der Europäischen Union, Großbritannien, Russland und Hongkong.

Kriminelle Neuankömmlinge

Von den wenigen Neo-Bürgern, die tatsächlich nach Vanuatu kamen, befeuerten einige von ihnen die ohnehin schon vorhandene Skepsis an dem System: Vier Chinesen wurde ihre Staatsbürgerschaft wieder aberkannt – wie sich herausstellte, standen sie auf der Fahndungsliste von Interpol.

Zusammen mit zwei anderen, deren Einbürgerungsverfahren noch anhängig waren, wurden sie in Vanuatu verhaftet, eine Woche lang ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten und an China ausgeliefert, berichtete der „Guardian“. Sie sollen an der Operation „PlusToken“ beteiligt gewesen sein, einem betrügerischen Schneeballsystem mit Kryptowährungen.

Der im April gewählte Premierminister Bob Loughman versprach, das Staatsbürgerschaftsprogramm zu prüfen, und ernannte Warsal zum Vorsitzenden der Kommission. An eine Einstellung wird aber keineswegs gedacht – im Gegenteil: „Wir werden das Citizenship Tourism Investment Program (CTIP) erweitern, damit all jene, die für die Staatsbürgerschaft zahlen, auch im Land investieren und hier Arbeit schaffen“, kündigte Warsal im Frühjahr an.

Hafen der vanuatischen Hauptstadt Port Vila
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Nicht zuletzt Vanuatus Hauptstadt Port Vila profitiert von dem Passprogramm der Regierung

Aus wirtschaftlicher Sicht ist das verständlich: Vor 2020 spülten der Tourismus und die damit verbundenen Dienstleistungen einen Großteil der Einnahmen in das Land, rund ein Drittel der 300.000 Einwohner und Einwohnerinnen war in dem Bereich beschäftigt. Das Coronavirus brachte den Geldfluss zum Erliegen, Zehntausende verloren ihren Job. Zusätzlich verursachte Zyklon „Harold“ im Frühjahr Schäden von bis zu 100 Millionen US-Dollar. Einnahmen aus dem Verkauf von Staatsbürgerschaften benötigt das Land, das keine Einkommens- oder Körperschaftssteuer vorsieht, somit dringender als je zuvor.

Umstritten, aber essenziell

Und es sind beträchtliche Summen, die so lukriert werden: Seit Beginn des Programms im Jahr 2016 konnte Vanuatu den Großteil seiner Inlandsschulden tilgen und einige Auslandsschulden schneller zurückerstatten – Anfang dieses Jahres zahlte das Finanzministerium etwa 13 Mio. US-Dollar vorzeitig an China zurück.

Nicht zuletzt erlaubte der Geldpolster die Schnürung eines deutlich umfangreicheren Covid-19-Rettungspakets, als es den meisten anderen Pazifikstaaten möglich war. Die Stimmen gegen das Staatsbürgerschaftsprogramm in Vanuatu, das in der EU nebenbei auf der schwarzen Liste der Steueroasen vermerkt ist, sind noch vorhanden – die letzten Monate haben sie aber deutlich leiser gemacht.