Schloss Leopoldskron, Außenansicht.
© Schloss Leopoldskron Katrin Kerschbaumer
1945/2020

Die „Arisierung“ von Schloss Leopoldskron

Die Salzburger Festspiele der Zwischenkriegszeit sind ohne Schloss Leopoldskron nicht denkbar. Der berühmte Theaterregisseur Max Reinhardt, der den Barockbau 1918 erworben hatte, empfing dort die Spitzen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft und inszenierte seinen Wohnsitz als Bühne. Mit der Machtübernahme 1938 raubten die Nationalsozialisten das Schloss und nutzten es zur Repräsentation. Zwei neuere Publikationen zeichnen das Leben Reinhardts und „Die Akte Leopoldskron“ nach.

Reinhardt saß mit einer Zeitung in der Hand in seiner Bibliothek, als am 6. Juni 1934 in der Eingangshalle des Schlosses Leopoldskron Papierböller explodierten. Mehrere Holztüren wurden beschädigt, Fenster zersplitterten. Drei Nazis hatten die Sprengkörper geworfen. Die politische Realität hatte den legendären Theatermacher, der mit Politik nichts zu tun haben wollte, eingeholt. Schloss Leopoldskron bekam in der Folge während der Festspiele jenes Jahres militärischen Schutz, bereits im April war im Foyer des Festspielhauses eine Bombe detoniert, ein Brunnen, Mosaike, Türen und das Glasdach wurden dabei zerstört.

Nach dem Verbot der NSDAP in Österreich 1933 breitete sich deren illegaler Aktionismus in ganz Österreich aus. Die Nationalsozialisten verwandelten dabei „die Grenzstadt Salzburg in eine Frontstadt des Psychokrieges“. Dass dabei die Festspiele, deren Mitbegründer Reinhardt und vor allem Schloss Leopoldskron zur Zielscheibe wurden, ist kein Zufall. Jahrelang hatten antisemitische Blätter wie die Salzburger Postille „Der eiserne Besen“ gegen „jüdische Theaterstücke“, die „Entweihung der Kollegienkirche“ und „jüdische Dichter, Direktoren, Spielkräfte“ gehetzt.

Die Akte Leopoldskron.
Verlag Anton Pustet
Johannes Hofinger: Die Akte Leopoldskron. Verlag Anton Pustet, 216 Seiten, 24,00 Euro.

Die „Arisierung“

„Leopoldskron ist ein stark aufgeladener Ort“, sagt der Historiker Johannes Hofinger und beschreibt in der Neuauflage seines Buches „Die Akte Leopoldskron“ detailliert die „Arisierung“ des Reinhardt’schen Besitzes durch die Nazis. Mit der „Beschlagnahme- und Einziehungsverfügung“ vom 16. April 1938 wurde der gesamte Salzburger Besitz Reinhardts von der Gestapo Salzburg zugunsten des Landes Österreich eingezogen. Einer von 312 Fällen von „Arisierung“ im Land Salzburg – und doch ein Sonderfall. Auf 700.000 Reichsmark taxiert war das seit 1918 im Besitz von Reinhardt befindliche Barockschloss mit Abstand die wertvollste von allen privat genutzten Immobilien im „Gau Salzburg“.

Um das Beutestück der Nazis entstand sofort ein Gerangel. Parteiinterne Pläne, das Schloss mit dem romantischen Weiher und den Nebengebäuden zu einer Ausbildungsstätte zu machen, scheiterten, der Salzburger Gauleiter Friedrich Rainer, ein NS-Aufsteiger mit landesfürstlichen Allüren, erkannte schnell die Prestigeträchtigkeit der Anlage. „Frei und deutsch“ sollte die Mozartstadt allerdings werden, die Festspiele germanisiert und so, bereits 1938 vom „jüdischen“ „Jedermann“ befreit und durch den „arischen“ „Egmont“ ersetzt, Bayreuth den Rang ablaufen.

Die Inszenierung

Bereits damals zeigte sich, dass die Festspiele ohne das Schloss Leopoldskron einfach undenkbar waren. Die Strahlkraft jenes Ortes, den Reinhardt in den 20 Jahren zuvor mit einer kaum beschreibbaren Leidenschaft zu seinem Domizil, aber eben auch zum Schauplatz der Festspiele gemacht hatte, war stärker als die barbarische Inbesitznahme der Nazis und wirkte auch nach seinem Tod, 1943 in New York, weiter.

Nach einem bizarren Intermezzo mit Prinzessin Stephanie von Hohenlohe, die von Reichsminister Hermann Göring als Gesellschafterin auf dem Schloss eingesetzt worden war und nach sechs Monaten, einer Sex- und Spionageaffäre und mit jeder Menge Schulden aus dem Deutschen Reich flüchten musste, nützte Gauleiter Rainer Leopoldskron für Empfänge mit Politik und Kultur.

Gesprächsrunde auf der Schlossterrasse von Leopoldskron, von links: Friedrich Frischenschlager, Eberhard Preussner, Edwin Fischer, Bernhard Rust und Anton Wintersteiger.
Stadtarchiv Salzburg, Fotoarchiv Franz Krieger
Die Nationalsozialisten nutzten das „jüdische“ Schloss Leopoldskron eifrig zur Repräsentation

Nazi-Bonzen mieteten sich in den Wohnräumen ein, NS-freundliche Künstler, allen voran Clemens Krauss, der erst das Mozarteum, später auch die Festspiele leitete, logierten in den Sommermonaten in Leopoldskron. Sie alle badeten in dem Glanz, den Reinhardt zwanzig Jahre lang aufgebaut und den er, verarmt in der Emigration in Amerika, bis zu seinem Tod zurückersehnt hat.

Sibylle Zehle „Max Reinhardt. Ein Leben als Festspiel“
Brandstätter Verlag
Sibylle Zehle: Max Reinhardt. Ein Leben als Festspiel. Brandstätter Verlag, 304 Seiten, 50,00 Euro.

Der Schlossherr als Regisseur

„Reinhardt liebte dieses Haus so, wie nur Reinhardt ein Haus lieben konnte“, schreibt Sibylle Zehle in ihrem jüngst erschienenen Buch „Max Reinhardt. Ein Leben als Festspiel“. Vier Jahre lang hat sie recherchiert und versucht, Höhen und Tiefen im Leben des berühmten Regisseurs und Intendanten auszuloten. In ihrem lesenswerten und ebenso sorgfältig wie opulent bebilderten Prachtband beschreibt sie ihn als obsessiven Gestalter seiner Wohnsitze.

So gestand Reinhardt auch in einem Brief an seine zweite Frau Helene Thimig: „Wohnungen sind schon in meiner Schauspieler Zeit einer meiner wesentlichen Lebensinhalte gewesen.“ Die „Inszenierung Leopoldskron“ hatte am 26. Juli 1918 mit dem Erwerb des Barockschlosses und dem Meierhof begonnen. Den Weiher, sowie zahlreiche Flächen und Liegenschaften kaufte er wenig später dazu. Salzburg war in dieser Nachkriegszeit von bitterer Not geprägt.

Während Reinhardt Leopoldskron erwarb und von festlichen Spielen träumte, schrieb Stefan Zweig von seinem Paschinger Schlössl auf dem Kapuzinerberg: „Jeder Gang in die Stadt hinab war damals ein erschütterndes Erlebnis; zum ersten Mal sah ich einer Hungersnot in die gelben und gefährlichen Augen.“

Schöner Wohnen

Vor diesem Hintergrund trafen sich in den Cafes Tomaselli und Bazar die Gründer und Freunde der Salzburger Festspiele, Hugo von Hofmannsthal, Richard Strauss, Alfred Roller u. a. – zu jener Zeit entstand der „Jedermann“ und mitten in diesen Hungerjahren richtete sich Reinhardt seinen barocken Lebenstraum ein. Im Laufe der Jahre unterzog er beinahe die gesamte Bausubstanz einer Rundumerneuerung, ließ einen Personenaufzug einbauen, Marmorböden verlegen. Er war sein eigener Interior Designer, machte sich Tausende Notizen, plante, zeichnete, entwarf jedes Detail.

Schloss Leopoldskron, Bibliothek.
© Maria Luise Bauer Photography
Die legendäre Bibliothek im Schloss Leopoldskron im heutigen Zustand

Nach dem Vorbild der Stiftsbibliothek des Klosters St. Gallen ließ er eine Bibliothek im ersten Stock des Hauses bauen (nach zwanzig Jahren, zum Zeitpunkt der Enteignung durch die Nazis sollte diese 15.000 Bücher umfassen). Die legendäre Bibliothek war auch gesellschaftlicher Hotspot: Dort klangen, im kleinen Kreis, nach offiziellen Empfängen die Abende aus, wurden Gespräche geführt, Pläne geschmiedet, meist bis in die frühen Morgenstunden.

Kontrollfreak

Unzählige Telegramme und Notizzettel erzählen vom Kontrollwahn, den Reinhardt bei der Planung, aber auch Instandhaltung seines Haushalts an den Tag legte. „(…) Laubengang Wege schottern, Obstgarten in Angriff nehmen, Rosenparterre pflegen. (…) Trockenmauern besäumen und bepflanzen, mit Kräutern, Gräsern, alpinen Pflanzen, alpiner Flora und Moosen." Und: „Schalter im Musikzimmer sollen in bequemer Reichweite angebracht werden. Sie müssen genau in der Farbe der Zimmerwände (wahrscheinlich erbsengrün, ungefähr wie die Uhr) sein, ganz flach und unauffällig wirken und sich in die Stuckatur einfügen.“

Der österreichische Theater- und Filmregisseur Max Reinhardt.
© Stiftung Stadtmuseum Berlin / Sammlung Max Reinhardt/Leonhard M. Fiedler (Reproduktion: Friedhelm Hoffmann, Berlin)
Max Reinhardt war ein Meister der Inszenierung, nicht nur auf der Bühne. Er verstand es auch, sich als Schlossherr zu inszenieren und Leopoldskron zur Kulisse zu machen.

Zum Gesamtkunstwerk zählten nicht nur ein Chinesisches Zimmer und ein Venezianischer Salon, sondern auch eine Menagerie: auf Leopoldskron tummelten sich u. a. Pelikane, Kronenreiher, Mandarinenten, Kakadus, Flamingos und chinesische Nachtigallen. Das Bild des Impresarios in der Salzburger Öffentlichkeit war freilich ambivalent. Der sagenhafte Schlossherr mit seinen illustren Gästen aus aller Welt musste zu den damaligen Krisenzeiten abgehoben wirken.

Die Amerikaner

Am 27. Februar 1945 barsten wieder Fenster auf Schloss Leopoldskron. Diesmal waren es nicht die Nazis, sondern Bomben der US-Armee, die in der Nähe des Schlosses niedergegangen waren. Das Dach wurde beschädigt, an den Mauern traten Risse auf, Luftaufnahmen zeigen Bombenkrater im Leopoldskroner Weiher. Zu diesem Zeitpunkt war Reinhardt bereits tot.

Er war am 31. Oktober 1943 nach erfolglosen Jahren zwischen New York und Hollywood in einem New Yorker Hotelzimmer gestorben. Kurz vor seinem Tod schrieb er: „Ich habe den Ruhm dieser Stadt mit den Festspielen erneuert und habe in dieser Zeit auch das Schloss für Menschen aus aller Welt erschlossen und zu einem Begriff gemacht. Das Unrecht, mir dafür diesen Besitz zu rauben, ohne den geringsten Rechtstitel, ja sogar ohne jede offizielle Mitteilung, liegt auf der Hand.“

Mit Kriegsende wurde Schloss Leopoldskron unverzüglich vom US-Militär beschlagnahmt, hohe Militärs zogen ein, und ab 1947 Wissenschaftler des „Salzburg Seminar“. Der akademische Thinktank mit völkerverbindender Mission war von dem jungen Harvard-Absolventen Clemens Heller gegründet worden und wurde vom US-Geheimdienst überwacht. Bis heute halten sich in der Salzburger Bevölkerung Geschichten, wonach sich auf Schloss Leopoldskron Spione die Klinke in die Hand gegeben hätten.

Leopoldskron heute

Das Restitutionsverfahren an die Erben von Reinhardt, seine zweite Frau Helene Thimig und die Söhne aus erster Ehe, war 1951 abgeschlossen. Heute ist das Schloss im Eigentum der Stiftung Salzburg Global Seminar, die seit einiger Zeit auch ein Hotel dort betreibt. Nicht jeder Hotelgast, der auf der Terrasse vor dem Schloss steht und den atemberaubenden Blick über den Weiher in Richtung Untersberg richtet, wird sich vorstellen können, wie viel (Festspiel-)Geschichte in dieser Kulisse gespeichert ist.