Russischer Oppositionspolitiker Alexei Navalny
AP/Pavel Golovkin
Nawalny

Berlin hält Giftanschlag für möglich

Die deutsche Regierung in Berlin hält es für gut möglich, dass auf den russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny ein Giftanschlag verübt wurde. „Weil man mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit von einem Giftanschlag ausgehen kann, ist Schutz notwendig“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag. Die Bundesregierung fordere jedenfalls „volle Transparenz“ bei der Aufklärung des Vorfalls.

„Der Verdacht ist, dass Herr Nawalny vergiftet wurde, wofür es in der jüngeren russischen Geschichte leider einige Verdachtsfälle gab“, sagte Seibert weiter. Zurückhaltender äußerte sich parallel Außenminister Heiko Maas (SPD) in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Er wolle zur Ursache der Erkrankung Nawalnys noch keine Aussage treffen.

„Ich gehöre zu denjenigen, die ihre Einschätzung auf Fakten basieren“, sagte Maas bei einem Besuch in der ukrainischen Hauptstadt. „Für den Fall Nawalny fehlen noch viele Fakten – medizinische, aber wahrscheinlich auch kriminologische, und die gilt es abzuwarten.“ Er setze darauf, in absehbarer Zeit weitere Informationen unter anderem von der Berliner Charite zu bekommen, wo Nawalny derzeit behandelt wird. Erst dann werde sich der Fall einordnen lassen. Nawalny liegt im Koma, nachdem er am Donnerstag auf einem Flug von Sibirien nach Moskau zusammengebrochen war. Nach einer Notlandung in Omsk wurde er zunächst in einer Klinik dort behandelt, ehe er am Wochenende nach Berlin geflogen wurde.

Überstellung von Alexei Navalny
AP/Kira Yarmysh
Das Flugzeug, mit dem Nawalny nach Berlin überstellt wurde

Weber: Kreml-Verwicklung „naheliegend“

EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) hält es für „naheliegend“, dass der russische Staat etwas mit der plötzlichen Erkrankung Nawalnys zu tun hat. Im Politik-Talk „Die richtigen Fragen“ auf Bild live sagte Weber Sonntagabend, er glaube, dass Russlands Präsident Wladimir Putin in der derzeitigen Situation „zu vielem fähig“ sei. „Dazu gehört auch das Töten von Menschen.“

Zu den Hintergründen sagte der CSU-Politiker, Putin stehe derzeit stark unter Druck. Er verwies auf die in wenigen Wochen in Russland anstehenden Regionalwahlen. Die Zustimmungswerte für den Präsidenten und seine Partei seien schlecht. Hinzu komme, dass Russlands Wirtschaft seit 2014 stagniere. „Das ist alles etwas, das das System Putin massiv unter Druck setzt“, sagte Weber dem Format der Boulevardzeitung.

Nawalnys Ärzte in Omsk: Kein Druck ausgeübt

Nach dem Transport von Nawalny nach Berlin wiesen die Ärzte in Sibirien Vorwürfe seines Teams zurück, sie seien unter Kontrolle der Behörden gestanden. „Wir haben den Patienten versorgt und wir haben ihn gerettet. Es gab keinen Einfluss von außen auf die Behandlung des Patienten“, sagte der Chefarzt der Klinik in Omsk, Alexander Murachowski, am Montag.

Nach den Worten russischer Ärzte wurde er allerdings nicht vergiftet: „Wenn wir eine Art Gift gefunden hätten, das sich irgendwie bestätigt hätte, wäre es für uns viel einfacher gewesen. Es wäre eine klare Diagnose, ein klarer Zustand und eine bekannte Behandlungsweise gewesen“, sagte Anatoli Kalinitschenko, ein leitender Arzt des Krankenhauses.

Kreml: Putin nahm keinen Einfluss

Putin hatte nach Angaben des Kreml keinen Einfluss auf den Transport von Nawalny nach Deutschland genommen. „Das ist absolut nicht das Vorrecht des Präsidenten“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Montag der Staatsagentur TASS zufolge. Es habe auch keine internationalen Verhandlungen dazu gegeben.

Putins Sprecher betonte, dass die zuständigen Behörden sehr schnell gehandelt hätten. „Alle Genehmigungen und Formalitäten wurden zügig geklärt.“ Der Spezialflug sei ohne Probleme freigegeben worden, als die Ärzte Nawalny für transportfähig erklärt hätten, sagte Peskow. Der Flug zur Behandlung nach Deutschland war eine private Aktion der Initiative Cinema for Peace um Jaka Bizilj. Dennoch könnte auch Finnlands Präsident Sauli Niinistö eine Vermittlerrolle gespielt haben. Er sprach zunächst mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel(CDU) und dann mit Putin über Nawalnys Transport. Wie groß die Bedeutung des Gesprächs letztlich war, steht jedoch nicht eindeutig fest.

„Typische Desinformation“

Die Ärzte in Omsk hatten aus der Sicht von Nawalnys Vertrauter Ljubow Sobol „nichts zu sagen“, sagte sie dem „Spiegel“. „Im Büro des Chefarztes saßen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden.“ Sie hätten mit unterschiedlichen Methoden „lange auf Zeit gespielt, bis das Gift wohl nicht mehr in Nawalnys Körper nachweisbar war. Dann erst konnte er ausgeflogen werden nach Berlin.“

In den russischen Staatsmedien wurden unterschiedliche Versionen verbreitet, warum Nawalny seit Tagen im Koma liegt – von Alkoholkonsum, einer Diät bis Unterzuckerung. Das sei eine vom Kreml koordinierte „typische Desinformation“, sagte die Juristin Sobol. „Das war ein Mordanschlag auf Nawalny, der einzig einem nützt – dem Kreml.“ Nawalny habe bis zu dem Vorfall nie gesundheitliche Probleme gehabt und sei sehr fit gewesen. „Er war nie richtig krank, höchstens einmal erkältet. Wir haben einmal gescherzt, dass er wie ein Roboter sei.“