ABD0130_20200410 – WIEN – …STERREICH: Polizeibeamte fŸhren am Freitag, 10. April 2020, AufklŠrungsgesprŠche und Personenkontrollen am Donaukanal in Wien durch. In …sterreich gelten aufgrund der Covid-19-Pandemie AusgangsbeschrŠnkungen, Betretungsverbote und andere Regelungen, die in das Alltagsleben eingreifen. – FOTO: APA/HANS KLAUS TECHTa
APA/Hans Klaus Techt
CoV-Strafen

27.815 Anzeigen, viele Anfechtungen

In Österreich sind seit Beginn der Coronavirus-Krise aufgrund des Covid-19-Maßnahmengesetzes und des Epidemiegesetzes bisher 27.815 Anzeigen erstattet worden. Das ergab eine parlamentarische Anfragenserie von NEOS. Insgesamt wurden Geldstrafen in Höhe von fast 5,9 Millionen Euro verhängt, wie aus der Aufstellung der Partei, die der APA vorliegt, hervorgeht.

Nicht zuletzt wegen der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH), dass etwa Teile der Verordnung zu den Ausgangsbeschränkungen rechtswidrig gewesen sind, legten mehr als 10.000 Betroffene Rechtsmittel ein – etwa die Hälfte war damit bisher erfolgreich. NEOS fordert daher, dass diese eingehobenen Strafen zurückerstattet werden.

„Strafen in Millionenhöhe zu kassieren, obwohl niemand etwas Unrechtes getan hat, geht einfach nicht in einem Rechtsstaat“, sparte der stellvertretende NEOS-Klubobmann Nikolaus Scherak nicht mit Kritik. „Das Betreten öffentlicher Orte war nie strafbar, das hat der Verfassungsgerichtshof eindeutig so entschieden.“

Meiste Strafen wegen Betretens öffentlicher Orte

Die Verfahren zu Verstößen gegen die Ausgangsbeschränkungen machen tatsächlich den größten Teil der bisherigen Strafen aus. Wegen des widerrechtlichen Betretens öffentlicher Orte hagelte es insgesamt 24.095 Anzeigen, 17.623 davon führten schließlich zu Verwaltungsstrafen. Im Vergleich dazu: Insgesamt gab es 19.874 Verwaltungsstrafen wegen Übertretungen der CoV-Gesetze.

Balkendiagramm über die Anzahl der verhängten Strafen während der Coronavirus-Krise
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: NEOS-Auswertung parlamentarischer Anfragen

Verwaltungsstrafen: Wien führt Liste an

Bei den absoluten Zahlen von Verwaltungsstrafen zum allgemeinen Betretungsverbot liegt Wien vor der Steiermark und Vorarlberg an der Spitze. In der Bundeshauptstadt wurden deswegen mehr als 10.000 Anzeigen erstattet, mehr als die Hälfte führte zu Verwaltungsstrafen in Höhe von insgesamt fast 1,2 Millionen Euro. In der Steiermark brachten 2.897 Verwaltungsstrafen rund 1,4 Millionen Euro ein, in Vorarlberg machten 2.219 Verwaltungsstrafen rund 942.000 Euro aus.

Dazu, wie viele Betroffene ihre Strafen fristgerecht bezahlt haben, gab es von den zuständigen Behörden keine Angaben. Allerdings wurden österreichweit in 9.058 dieser Fälle Rechtsmittel eingelegt, die in 145 Fällen zu einer Aufhebung des Strafbescheids, in 187 Fällen zu einer Abänderung des Strafbescheids und in 1.216 Fällen zu einer Korrektur der Strafhöhe führten. 3.074 Verfahren wegen widerrechtlichen Betretens eines Ortes wurden überhaupt eingestellt.

NEOS fordert Generalamnestie

Laut NEOS sind wegen des VfGH-Entscheids zu den Ausgangsbeschränkungen somit mindestens 5,2 Millionen Euro an Strafen zum Betretungsverbot öffentlicher Orte „rechtsgrundlos passiert“. Scherak fordert daher, dass die Verantwortlichen sofort eine Generalamnestie für die CoV-Strafen umsetzen.

Bei Verfahren wegen des widerrechtlichen Betretens einer Betriebsstätte kam es laut Auswertung zu 1.529 Verwaltungsstrafen, die insgesamt 407.170 Euro ausmachten. Verwaltungsstrafen gegen Inhaber einer Betriebsstätte hagelte es insgesamt 245, hier wurden insgesamt 150.936 Euro Strafe verlangt. Zuletzt wurden noch einige Strafen wegen Verstößen gegen das Epidemiegesetz ausgestellt. Insgesamt handelt es sich hier um 477 Verwaltungsstrafen in der Höhe von insgesamt 163.230 Euro.

Neuer Anlauf für Covid-19-Gesetz

Der VfGH hatte im Juli die Verordnung von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) zu den Ausgangsbeschränkungen – rückwirkend – zum größten Teil aufgehoben. Das Höchstgericht hatte damals argumentiert, dass die Regeln über die im Gesetz festgeschriebenen Möglichkeiten hinausgingen. Infolge dessen wurde auch die Zulässigkeit des Einmeterabstandsgebots bezweifelt und weitgehend auf Strafen verzichtet.

Mitte August schickte das Gesundheitsministerium die Novellen zum Covid-19-Maßnahmengesetz und zum Epidemiegesetz in Begutachtung, die Frist dafür endet am Freitag. Damit soll nicht nur das geplante Ampelsystem rechtlich verankert werden. Auch Regeln wie der Mindestabstand im öffentlichen Raum sollen nun gesetzlich abgesichert werden. Zudem gibt es Nachschärfungen bei den Strafen.

Scharfe Kritik der Opposition

In den vergangenen Tagen entspann sich eine neuerliche Debatte rund um die Novelle – heftige Kritik kam nicht nur von der Opposition, sondern auch von Fachleuten. Die Opposition kritisiert etwa scharf, dass dem Gesundheitsminister mehr Handlungsspielraum einräumt.

Künftig kann der Gesundheitsminister vorgeben, wie viele Menschen zu welcher Zeit Orte betreten dürfen – und er kann Auflagen wie Abstandsregeln, Schutzmaßnahmen und Präventionskonzepte verfügen. Und: Das Betreten öffentlicher Orte kann „gänzlich untersagt werden, wenn gelindere Maßnahmen nicht ausreichen“. So weitgehende Maßnahmen drohen derzeit allerdings nicht. Das wird auch in den Gesetzeserläuterungen versichert – Stichwort Ampelsystem.

„Unfassbare Machtfülle“

„Standard“ zufolge sieht Scherak in der Novelle ein Festschreiben von dem, was Anschober beim ersten Lockdown veranlasst habe – „und was er gemäß bestehender Gesetzeslage gar nicht hätte tun dürfen“. Für einen einzigen Minister bedeute das „eine unfassbare Machtfülle“, wird er im „Standard“ zitiert. Das aktuelle Wording im Entwurf hält der NEOS-Politiker für „anfechtbar“ und fordert Änderungen, etwa die Einbindung des Parlaments, ein.

Ähnlich harsch fallen auch die Reaktionen von SPÖ und FPÖ aus. „Die Novelle des Covid-Gesetzes offenbart, dass die türkis-grüne Bundesregierung aus dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs nicht viel gelernt hat“, so SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim in einer Aussendung. So werde in der Novelle wieder auf problematische Weise in die Grundrechte eingegriffen.

„Wenn auch die Reparatur von Verordnungen und Gesetzen nun offenbar wieder nicht der Verfassung entsprechen, dann ist das peinlich und nicht das, was sich die Bevölkerung von einem Minister erwartet. Rudolf Anschober sollte endlich einsehen, dass er heillos überfordert ist, zurücktreten und Platz für einen Experten in diesem Bereich machen“, forderte FPÖ-Chef Norbert Hofer zudem.

Verfassungsexperte: „Hochgradig verwirrend“

In dem neuen Entwurf sei die Unterscheidung zwischen bestimmten und öffentlichen Orten „hochgradig verwirrend“ sagte auch der Verfassungsexperte Bernd-Christian Funk gegenüber dem „Standard“. Er äußerte auch Zweifel, dass die vom Gesetzesentwurf ermöglichten umfassenden Ausgangsbeschränkungen mit der Verfassung vereinbar sind und spricht beim vorläufigen Gesetzestext von einem „hohen Maß an Unbestimmtheit“.

Rechtsanwälte halten Änderung der Novelle für nötig

Auch die Rechtsanwälte bezweifeln, dass die geplante Novelle die verfassungskonforme Umsetzung von Betretungsverboten ermöglicht. Die Differenzierung zwischen „bestimmten“ und „öffentlichen“ Orten dürfte nicht plausibel und nicht bestimmt genug sein, sagte Präsident Rupert Wolff zur APA. Er fordert eine Amnestie für alle aufgrund der vom VfGH aufgehobenen Verordnung verhängten Strafen.

Außerdem hielte es der ÖRAK-Präsident für zu weitgehend, das Betreten des gesamten öffentlichen Raumes in Österreich zu untersagen. Denkbar seien eine solche Beschränkung nur in Kombination mit der „Ampel“ – für Orte, an denen sehr viele Infektionen aufgetreten sind.

Forderung nach Ausnahme von Contact-Tracing

Von einer weiteren Maßnahme wollen die Rechtsanwälte ausgenommen werden: Für das Contact-Tracing sollen Betriebe, Veranstalter und Vereine verpflichtet werden, Daten von Gästen, Besuchern, Kunden und Mitarbeitern für 28 Tage aufzubewahren und den Gesundheitsbehörden im Anlassfall zur Verfügung zu stellen. Das würde bei den Anwälten aber mit ihrer Verschwiegenheitspflicht kollidieren. Man könne sie also nicht zur Datenweitergabe verpflichten, heißt es.

Er forderte, dass im Gesetzestext direkt und nicht nur in den Erläuterungen klargestellt wird, dass einem Kunden oder Besucher der Eintritt oder eine Dienstleistung nicht verweigert werden darf, wenn er der Verarbeitung seiner Daten nicht zustimmt.

Ein weiteres sensibles Thema sehen die Rechtsanwälte mit der geplanten Bestimmung zu Präventionskonzepten für Veranstaltungen und Versammlungen berührt. Die Behörden sollen deren Einhaltung „auch durch Überprüfung vor Ort“ kontrollieren können. Private Vereine dürfe das aber keinesfalls betreffen, so Wolff. Denn das wäre ein großer – und derzeit sachlich nicht gerechtfertigter – Eingriff in das Vereins- und Versammlungsrecht.