Kunden mit Schutzmaske und Polizisten vor einem Einkaufszentrum
APA/Robert Jäger
Covid-19-Gesetz

Scharfe Kritik an neuem Entwurf

Die geplante Novelle zum Covid-19-Gesetz stößt im Begutachtungsverfahren, das am Freitag endet, auf viel Kritik. Als höchst problematisch gesehen werden die geplanten Betretungsverbote sowie die vorgesehene Möglichkeit, Betriebe, Veranstalter und Vereine zur Sammlung und Aufbewahrung von Daten zu verpflichten.

Das Gesundheitsministerium reagiert mit dem Entwurf zur Änderung des Covid-19-Maßnahmengesetzes darauf, dass der Verfassungsgerichtshof (VfGH) die Verordnung von Minister Rudolf Anschober (Grüne) zu den Ausgangsbeschränkungen zum größten Teil aufgehoben hat. Allerdings könnten auch die neuen Regeln verfassungswidrig sein, wie aus mehreren Stellungnahmen hervorgeht. Das Gesetz sieht nämlich die Möglichkeit von sehr weitgehenden Betretungsverboten vor.

In dem Entwurf heißt es wörtlich: „Beim Auftreten von Covid-19 kann durch Verordnung das Betreten von bestimmten Orten oder öffentlichen Orten in ihrer Gesamtheit geregelt werden. (…) In der Verordnung kann entsprechend der epidemiologischen Situation festgelegt werden, in welcher Zahl und zu welcher Zeit oder unter welchen Voraussetzungen und Auflagen diese Orte betreten werden dürfen. Zu den Auflagen zählen insbesondere Abstandsregeln, Schutzmaßnahmen und Präventionskonzepte. Weiters kann das Betreten gänzlich untersagt werden, sofern gelindere Maßnahmen nicht ausreichen.“

Volksanwälte empfehlen „gründliche Überarbeitung“

Dieses Vorhaben wird sowohl von den Rechtsanwälten als auch von Transparency International und der Volksanwaltschaft heftig kritisiert. Die Volksanwälte empfehlen eine „gründliche Überarbeitung“ dieser Bestimmungen, denn sie halten so weitgehende Betretungsverbote und Verhaltensvorschriften weder im privaten noch im öffentlichen Raum für vertretbar. Dem zuständigen Minister würde damit „eine Regelungsbefugnis eingeräumt, die extrem weit über die derzeit geltende Rechtslage hinausreicht“.

Corona-Maßnahmen im Autokino am Messegelände in Salzburg
APA/Barbara Gindl
CoV-Maßnahmen im Autokino Salzburg anlässlich der Übertragung des Fußballspiels Red Bull Salzburg – Austria Lustenau am 29. Mai

„Angesichts des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Schutzes des Hausrechts und des Privat- und Familienlebens erscheint es sehr zweifelhaft, ob der einfache Gesetzgeber einen Bundesminister dazu ermächtigen kann, für nicht öffentliche Orte wie zum Beispiel Eigentumswohnungen ‚Abstandsregeln, Schutzmaßnahmen und Präventionskonzepte‘ festzulegen“, schreibt die Volksanwaltschaft in ihrer Stellungnahme.

Kritik an Betretungsverboten

Auch Transparency International meint, dass mit den Betretungsverboten auch das Betreten jeglicher privater Orte – also Wohnungen – verboten werden könnte, und hält das für „überschießend und von Verfassungswidrigkeit bedroht“. Weiters sieht die Verordnungsermächtigung vor, dass der Minister „das Betreten von Verkehrsmitteln“ verbieten kann. Diese Bestimmung könnte ebenfalls verfassungswidrig sein, warnt Transparency, da Anschober damit sogar das Benutzen von Privatautos verbieten könnte.

Auch der Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK) bezweifelt, dass die Betretungsverbote vor dem VfGH halten würden, und warnt davor, dass das Gesetz auch die Überprüfung privater Vereine erlauben könnte. In Paragraf 15 werden Maßnahmen gegen das Zusammenströmen größerer Menschenmengen geregelt, und dabei wird den Bezirksverwaltungsbehörden erlaubt, „die Einhaltung von Voraussetzungen und Auflagen auch durch Überprüfung vor Ort zu kontrollieren“. Der ÖRAK ortet hier die Gefahr eines „massiven Eingriffs in das Vereins- und Versammlungsrecht“ und „lehnt diese Vorgehensweise ab“.

„Datenaufbewahrungspflicht nicht rechtfertigbar“

Äußerst problematisch bewerten die Rechtsanwälte auch die geplanten Datensammlungen. Laut dem Entwurf sollen für das Contact-Tracing Betriebe, Veranstalter und Vereine verpflichtet werden, Daten von Gästen, Besuchern, Kunden und Mitarbeitern 28 Tage aufzubewahren und den Gesundheitsbehörden im Anlassfall zur Verfügung zu stellen. Die betroffenen Personen müssen der Datenverarbeitung allerdings zustimmen.

Für den ÖRAK ist die „vorgesehene weitgehende Datenaufbewahrungspflicht nicht rechtfertigbar“. Für Gastwirte würde diese Maßnahmen einen „enormen und unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten“. Auch für Vereine wäre das zu viel verlangt, und es widerspreche der Verschwiegenheitspflicht der Rechtsanwälte sowie dem Redaktionsgeheimnis, so das vernichtende Urteil der Rechtsanwälte.

Präventivisolation „grundrechtlich höchst bedenklich“

Die Volksanwaltschaft widmet in ihrer Stellungnahme den Zwangsmaßnahmen in Pflege- und Altersheimen breiten Raum und warnt vor einer neuerlichen Vorgehensweise wie im Frühjahr, wo Menschen wochenlang „präventiv“ isoliert wurden. Der Gesetzesentwurf sehe „keinerlei rechtsstaatliche Sicherungsmechanismen als Korrektiv vor überschießenden Ausgangs- und Betretungsverboten vor“.

Menschen in Alters- und Pflegeheimen sowie in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung seien beim Lockdown „unvergleichbar stärker“ in ihren Grundrechten und ihrer persönlichen Freiheit eingeschränkt worden als der Rest der Bevölkerung. „Aus grund- und menschenrechtlicher Perspektive sollte es daher nicht wieder dazu kommen, dass die fehlende Kontrolle über das Infektionsgeschehen mit der absoluten Kontrolle über jene, die in Bezug auf Covid-19 als Risikopatienten gelten, kompensiert wird.“ Sowohl Kommissionen der Volksanwaltschaft als auch die Bewohnervertretungsvereine seien „immer wieder mit Sachverhalten konfrontiert, die grundrechtlich höchst bedenklich sind“.

Fälle in Heimen als Beispiele

So gebe es mehrere Fälle von Rücküberstellungen aus Spitälern bzw. Neuaufnahmen in Pflegeheime, in denen auf Anordnung der Heimleitung trotz vorangegangener negativer PCR-Tests wegen „potenziell gegebener Ansteckungsgefahr“ 14-tägige Zimmerquarantänen verhängt wurden. Auch Bewohner, die während des Lockdowns das Einrichtungsareal alleine oder in Begleitung von Angehörigen für wenige Stunden verließen, wurden danach zu einer 14-tägige Zimmerquarantäne verdonnert.

Mit der Anordnung wiederholter „vorsorglicher“ 14-tägiger räumlicher Absonderungen reagierten einige Einrichtungen auch dann, wenn sich Bewohner regelmäßig ambulanter Krankenbehandlung unterziehen mussten und nicht klar war, ob sie sich dort nicht auch infiziert haben könnten.

„Unspezifische und in das Recht auf persönliche Freiheit massiv eingreifende Präventionsmaßnahmen mögen die gewünschte Wirkung nicht verfehlen, bleiben aber nicht ohne negative Folgen. Die räumliche Isolation verbunden mit der Einschränkung persönlicher Kontakte kann die psychische Gesundheit und den Verlauf chronischer Erkrankungen von Hochaltrigen sowie Menschen mit Behinderung innerhalb kürzester Zeit massiv verschlechtern“, kritisiert die Volksanwaltschaft und fordert eine umfassende Strategie zum Schutz dieser kritischen Einrichtungen ohne derart schwere Freiheitseinschränkungen.

SPÖ: Keine gesetzlichen Kriterien für Ampel

Heftige Kritik kam auch von der SPÖ. Der stellvertretende SPÖ-Klubchef Jörg Leichtfried fordert eine Überarbeitung des vorgelegten Gesetzesentwurfs nach Ende der Begutachtungsfrist am Freitag. „Das neue Corona-Gesetz erhält von den Verfassungsexperten vernichtende Kritik und greift auf höchst problematische Weise – etwa mit der Möglichkeit von Ausgangssperren ohne hinreichend formulierte gesetzliche Kriterien – massiv in die Grund- und Freiheitsrechte der Bevölkerung ein“, teilte er am Donnerstag in einer Aussendung mit.

Es gebe keine gesetzlichen Kriterien für die Ampel, es sei völlig unklar, wer eine Verordnung mit welchem Geltungsbereich erlassen könne, und es gebe völlig unklare Bestimmungen beim Datenschutz und der Weitergabe von Kontaktdaten, so Leichtfried: „Mit der Verfassung, den Grund- und Freiheitsrechten muss jeder von uns und ganz besonders ein Regierungschef sorgsam umgehen.“ Leichtfried forderte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) auf, „sich besser auf seine eigentlichen Aufgaben“ zu konzentrieren, anstatt im Rahmen seiner für Freitag angekündigten Erklärung „schon wieder eine große Eigen-PR-Show abzuziehen“.

Hofer fordert Anschobers „Abberufung“

FPÖ-Chef Norbert Hofer verlangte von Kurz die „Abberufung“ von Anschober. Mit Blick auf die kritischen Stellungnahmen zum Entwurf sagte Hofer, Anschober sei mit seiner Aufgabe „überfordert“. Er solle daher durch einen Experten ersetzt werden, so der FPÖ-Obmann in einer Aussendung. Hofer verwies auf „massive Kritikpunkte von allen Seiten“ in den bisher eingegangenen Stellungnahmen zum Begutachtungsentwurf, diese würden „kein gutes Haar“ am vorliegenden Text lassen.

Was als Reparatur für die vom VfGH überwiegend aufgehobenen Ausgangsbeschränkungen gedacht gewesen sei, sei ein Werkzeug geworden, „mit dem die österreichische Bevölkerung de facto über Wochen eingesperrt werden könne“, so Hofer. Das sei „klar gegen die verfassungsrechtlich gewährleisteten Freiheitsrechte“. Auch werde die Liste der Fehler Anschobers „täglich länger“, sagte Hofer.

NEOS: Anschober „überfordert“

Auch NEOS ist mit dem Entwurf nicht einverstanden. In einer Stellungnahme fordert die Partei deswegen Anpassungen, damit nicht erneut in Grund- und Freiheitsrechte von Menschen eingegriffen werde, sagten der stellvertretende NEOS-Klubobmann Nikolaus Scherak und Gesundheitssprecher Gerald Loacker.

Nicht gespart wurde am Donnerstag bei dem NEOS-Pressegespräch mit Kritik an Anschober. „Dieser Mann ist mit elementaren Führungsaufgaben überfordert“, so Loacker, der bemängelte, dass der Minister durch das vorgesehene Gesetz viele Ermächtigungen erhalten würde. Er hätte etwa die Möglichkeit, den gesamten öffentlichen Raum einem Lockdown zu unterziehen, kritisierte auch Scherak.

Anschober lädt Klubobleute ein

Anschober lädt für kommende Woche die Klubobleute der Parlamentsparteien zu Gesprächen über das Gesetz ein. Er will dabei die in der Begutachtung vorgebrachte Kritik erörtern. „Es ist der Sinn eines Begutachtungsverfahrens, Gegenvorschläge und Kritik zu ermöglichen. Ich nehme diese – auch in den Teilbereichen, die eher parteipolitisch motiviert sind oder auf Missverständnissen aufbauen – sehr ernst“, sagte Anschober am Donnerstag in einer Aussendung. Er werde daher als nächsten Schritt nach Ende der Begutachtungsfrist die Klubobleute zu Gesprächen einladen. „Ich weiß, dass die Balance zwischen Gesundheitsschutz und Grundrechten eine besonders sensible ist, und suche klare Mehrheiten für das weitere Vorgehen“, so der Gesundheitsminister.