Japans Regierungschef Shinzo Abe
Reuters/ranck Robichon
Japan

Krankheit zwingt Abe zu Rücktritt

Japans Regierungschef Shinzo Abe hat am Freitag offiziell seinen Rücktritt bekanntgegeben. In seiner Rede an die Nation, die vom öffentlich-rechtlichen Fernsehsender NHK live übertragen wurde, nannte der 65-Jährige eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes als Grund.

Abe leidet bereits seit längerem an einer chronischen Darmerkrankung. In seiner Rede gab er bekannt, dass er seit kurzem ein neues Medikament einnehme. Er bitte die Bevölkerung aus tiefstem Herzen um Entschuldigung dafür, dass er sein Amt inmitten der Coronavirus-Krise und ein Jahr vor Ablauf seiner Amtszeit aufgebe.

Er bedauere es auch, dass er aufhören müsse, ohne alle seine Ziele erreicht zu haben. Dazu gehöre auch die Verfassungsreform. Er werde seine Pflichten erfüllen, bis der neue Ministerpräsident ernannt worden sei, versicherte Abe. Es sei aber nicht an ihm, einen Nachfolger zu benennen.

Shinzo Abe auf einer Anzeigetafel in Tokio
Kim Kyung-Hoon
Abes Ankündigung wird live auf einem Riesen-Screen in Tokio übertragen

Abes Rücktritt löst einen überstürzten internen Wettkampf um den Vorsitz der regierenden rechtskonservativen LDP aus. Dass Abe keinen Favoriten ernennt, macht das Rennen besonders spannend. Die Wahl dürfte binnen eines Monats stattfinden. Der künftige Parteichef bzw. die künftige Parteichefin wird automatisch auch die Regierungsgeschäfte leiten, da die LDP die absolute Mehrheit im Parlament innehat.

Seit Wochen Gerüchte

In Japan gab es seit Wochen Spekulationen über Abes Gesundheitszustand, die durch zwei Krankenhausbesuche des Ministerpräsidenten in jüngster Zeit noch verstärkt wurden. Im Juli hatte es Medienberichte gegeben, wonach Abe Blut gespuckt habe. Die Gerüchte über die Gesundheit des 65-Jährigen wurden zuletzt unter anderem durch dessen Entscheidung befeuert, während der Coronavirus-Pandemie Pressekonferenzen zu vermeiden. Vor wenigen Wochen deutete Abes Parteifreund Akira Amari bei einem Fernsehauftritt an, dass der Regierungschef eine Pause brauche.

Zeitungen berichten vom Rücktritt Shinzo Abes
AP/Yomiuri Shimbun/Kotaro Numata
Der bevorstehende Rücktritt war am Freitag bereits die Schlagzeile der Zeitungen

Abe ist der am längsten amtierende Regierungschef in der Geschichte Japans. Zum ersten Mal wurde er 2006 ins Amt gewählt, trat jedoch ein Jahr später wieder zurück. Als er 2012 erneut zum Regierungschef gewählt wurde, gab er an, die Krankheit überwunden zu haben.

Ungewohnte Phase der Stabilität

In Japan, das für seine raschen Regierungswechsel bekannt war, sorgte Abe für eine zuvor unbekannte Stabilität. Ihm gelang es rasch, einen guten Kontakt zu US-Präsident Donald Trump herzustellen. Die gemeinsame kritische Sicht auf den wachsenden Einfluss Chinas war dabei sicher hilfreich. Wirtschaftlich gelang es Abe, mit seiner „Abenomics“ genannten Politik Japan aus der Rezession zu führen. Die Pandemie traf die Wirtschaft aber schwer. Mit einem seiner zentralen Anliegen scheiterte er am Widerstand der eigenen Bevölkerung: die nach dem Zweiten Weltkrieg unter US-Einfluss geschriebene pazifistische Verfassung zu ändern. Abe wollte Japan militärisch aufrüsten, um China so mehr entgegenhalten zu können.

Japans Regierungschef Shinzo Abe
AP/Yomiuri Shimbun/Masanori Genko
Abe am Freitag bei der Ankunft in seinem Büro

Während der Pandemie ist Abe in den Umfragen abgestürzt. Zwar verzeichnet Japan im internationalen Vergleich relativ wenige Infektionsfälle. Der Regierung werden aber Versäumnisse bei der Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Krise vorgeworfen. Zudem mussten die Olympischen Spiele auf 2021 verschoben werden.

Markige Sprüche

Abe ist kein Mann der leisen Worte. Er ließ immer wieder mit markigen Äußerungen vor allem in Richtung China und Nordkorea aufhorchen. Oppositionspolitiker warfen ihm immer wieder vor, damit von innenpolitischen Skandalen ablenken zu wollen. Über die Jahre gab es wiederholt Vorwürfe der Günstlingswirtschaft, die ihn zumindest vorübergehend deutlich schwächten.

Erstmals Ministerpräsident wurde Abe 2006 – er musste aber schon im folgenden Jahr nach einer schweren Wahlniederlage der LDP das Feld räumen. 2012 kehrte er auf den Posten zurück. 2014 löste er das Parlament frühzeitig auf und trat nach gewonnener Neuwahl Ende des Jahres seine dritte Amtszeit an.

Stammt aus Politikerdynastie

Zu Beginn seines ersten Mandats war Abe mit 52 Jahren der jüngste japanische Regierungschef aller Zeiten. Der Spross einer Politikerdynastie, der Politikwissenschaften in Japan und den USA studierte, stieg 1982 in die Politik ein.

Zuerst wurde er Privatsekretär seines Vaters Shintaro Abe, der damals Außenminister war und vergeblich nach dem Amt des Regierungschefs strebte. Nach dem Tod des Vaters „erbte“ Abe im Jahr 1993 dessen Parlamentssitz. Unter Regierungschef Junichiro Koizumi, Abes Vorgänger bei seiner ersten Amtsübernahme, wurde er schließlich Generalsekretär der regierenden LDP und Regierungssprecher.

Großvater schmiedete Bündnis mit USA

Abes Großvater Nobusuke Kishi war Kabinettsmitglied während des Zweiten Weltkriegs und vorübergehend wegen Kriegsverbrechen im Gefängnis, wurde aber nie angeklagt. Er wurde Ministerpräsident und schmiedete das Bündnis mit den USA. Aus der Bewunderung für seinen Großvater macht Abe keinen Hehl.

Besuche bei umstrittenem Schrein

Durch seinen Besuch am Yasukuni-Schrein, an dem auch Kriegsverbrecher geehrt werden, löste er 2013 diplomatische Spannungen mit China und Südkorea aus. Beide Länder sehen in dem Schrein ein Symbol des japanischen Militarismus. Konfliktpotenzial mit Peking bergen auch die von Abe erhobenen Ansprüche auf eine umstrittene Inselgruppe im Ostchinesischen Meer. Abe forderte schon in jungen Jahren, die pazifistische Nachkriegsverfassung seines Landes zu überarbeiten. Stattdessen müsse Japan eine stärkere militärische Rolle spielen.

Nie an Atomausstieg gedacht

Mit marktwirtschaftlichen Reformen wollte Abe nach seiner letzten Wiederwahl 2017 außerdem die Wirtschaft des Landes ankurbeln und den Haushalt sanieren. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer kostete ihn allerdings viele Sympathien. Auch nach der Katastrophe von Fukushima 2011 – im Jahr darauf kam Abe wieder an die Macht – hielt er stets an der Atomkraft fest, die einen Großteil der Elektrizität Japans liefert. Anders als viele andere war für ihn ein langfristiger Ausstieg nie eine Option, auch nicht nach der Fukushima-Katastrophe.