Bundeskanzler Sebastian Kurz
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Kanzlerrede

„Es gibt Licht am Ende des Tunnels“

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat am Freitag mit einer Erklärung zur aktuellen Lage und geplanten Schwerpunkten den Auftakt zum politischen Herbst gemacht. Schon im Vorfeld waren einige Punkte publik geworden, etwa, dass Kurz nach einem schwierigen Herbst die Rückkehr zur „gewohnten Normalität“ im nächsten Sommer erwartet.

Kurz bot bei der Rede im Bundeskanzleramt einen Überblick über die Vorhaben der Regierung und einen Ausblick auf die nächste Zukunft. Bisher sei das Jahr 2020 „ein herausforderndes und in jeglicher Hinsicht noch nie da gewesenes“ gewesen, begann Kurz seine Ausführungen. „Die gute Nachricht ist: Es gibt Licht am Ende des Tunnels.“ Es sei wahrscheinlich, dass die Krise schneller vorbeigehen werde, „als viele Experten ursprünglich vorhergesagt haben“, so Kurz. Aus heutiger Sicht sei es wahrscheinlich, dass man im Sommer 2021 „zu unserer gewohnten Normalität zurückkehren“ werde.

Man habe seit Beginn der Pandemie viel über das Coronavirus gelernt. Doch die kommenden Monate stellten eine große Herausforderung dar. Der Schulbeginn, mehr Aktivitäten in geschlossenen Räumen, die jährliche Grippewelle: Die Lage könne schnell wieder ernst werden, so Kurz. Kommende Woche werde die Bundesregierung die Ansteckungssituation bewerten und über weitere Maßnahmen beraten. Wenn es einen Impfstoff gebe, ließen die österreichischen Behörden diesen nur zu, wenn er auch erprobt sei. Und: „Wer sich nicht impfen möchte, muss es nicht tun.“

Firmen sollen angelockt werden

Die Krise werde Österreich heuer sieben Prozent an Einbußen der Wirtschaftskraft bescheren. Für eine Rückkehr zum Wachstum will Kurz „neben den bestehenden 50 Milliarden an Rettungs- und Hilfsmaßnahmen die Attraktivität unseres Standorts stärken und so viele Menschen wie möglich, die aktuell arbeitslos sind, in Zukunftsbranchen vermitteln“. Punkte im Regierungsprogramm, die den Standort betreffen, sollen vorgezogen werden: Betriebe ansiedeln, Neugründungen forcieren, Steuererleichterungen, ökologische Anreize.

Kurz-Erklärung zur Coronavirus-Lage

Der Sommer 2021 könnte wieder ein normaler werden, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in einer Erklärung. Zuvor würden aber noch herausfordernde Monate auf das Land zukommen.

Auch soll es eine neue Körperschaftsform, „Austrian Limited“, geben. „Wir müssen uns aber bewusst sein: Wenn wir resilienter werden wollen, dann müssen wir vor allem in der Digitalisierung stärker werden und Teile dieser stetig steigenden Wertschöpfung nach Österreich und Europa ziehen“, sagte der Kanzler.

Unterstützung für Familien

Kurz appellierte auch, die Wirtschaft durch den Konsum regionaler Produkte zu stützen. „Das ist gesund, schützt das Klima, ist gut für die Landwirtschaft und gibt Sicherheit in Zeiten der Krise.“ Wenn die Österreicherinnen und Österreicher 20 Prozent mehr regionale Produkte kaufen würden, würde das neue Jobs und 4,6 Mrd. Euro mehr regionale Wertschöpfung bedeuten.

Das Arbeitsrecht, Stichwort Homeoffice, soll zudem erneuert werden. Die Sozialpartner sollen dafür Vorschläge erarbeiten. „Es soll Betrieben weiterhin freistehen, individuell zu entscheiden, wer von wo arbeitet. Aber der rechtliche Rahmen soll für alle klar sein“, sagte Kurz. Das kommende Schuljahr solle so normal wie möglich ablaufen, temporäre und lokale Schulschließungen seien aber möglich. Dann wolle man betroffene Familien unterstützen, etwa durch die Verlängerung der Sonderbetreuungszeiten.

Eine Fotokamera
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#Das Medieninteresse an der Kanzlerrede war groß – der Zugang pandemiebedingt aber begrenzt

Auch das Homeschooling sprach der Kanzler an. Es sei „Anspruch einer christlich-sozialen Politik“, dass kein Kind im Bildungssystem zurückbleibe. Es brauche hier zusätzliche Unterstützung, besonders für „Brennpunktschulen“ durch mehr administratives und psychosoziales Personal. Auch wolle man bei der Digitalisierung in der Schule rasch und großzügig investieren. „Dies wollen wir gemeinsam mit den Bundesländern rasch Realität werden lassen.“

„Pakt gegen Alterseinsamkeit“

Auch ältere Bürgerinnen und Bürger sollen unterstützt werden, so Kurz. Distanz zu anderen Menschen zu schaffen habe viele isoliert, besonders jene in Krankenanstalten und Pflegeheimen. Die Bundesregierung, namentlich Zivildienstministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), will einen „Pakt gegen die Alterseinsamkeit“ erarbeiten und ein Maximum an sozialen Kontakten ermöglichen. Dazu verwies Kurz auf die „reiche Tradition des ehrenamtlichen Engagements mit knapp 400.000 Freiwilligen in den Bereichen Soziales und Gesundheit“.

Analyse der Kanzlerrede

Die Erklärung von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) analysieren Innenpolitik-Redakteur Thomas Langpaul und Barbara Battisti, die Leiterin der ZIB-Wirtschaftsredaktion.

Kurz ging auch auf die kürzlich verkündete Schaffung einer Technischen Universität für Linz ein. Man wolle Fachkräfte und Wissenschaftler am Standort Österreich ausbilden, daher müsse man investieren. Kurz kündigte auch die Schaffung eines „Philosophicums“ an, einer Plattform im Bundeskanzleramt, um die Krise und ihre daraus entstehenden Fragen zu diskutieren und kritisch zu hinterfragen. Mitwirken sollen dabei der Philosoph Konrad Paul Liessmann und andere Wissenschaftler.

Stärkere Einbindung des Parlaments

An sich ging der Kanzler nicht auf das aktuelle Tagesgeschehen ein. Die Journalistinnen und Journalisten an Ort und Stelle stellten nach der Ansprache aber Fragen zur aktuellen Aufregung rund Verordnungen des Gesundheitsministeriums. Die geplante Novelle zum Covid-19-Gesetz stieß im Begutachtungsverfahren auf viel Kritik. Kurz nahm das von Anschober geführte Ressort in Schutz. „Das Gesundheitsministerium versucht, eine solide gesetzliche Basis zu schaffen, wir gehen auf die Kritik ein.“ Das Ressort greife verstärkt auf den Verfassungsdienst zurück.

Ziel sei es, demokratiepolitische Aspekte zu berücksichtigen, aber gleichzeitig auch den Behörden im Kampf gegen die Pandemie Handlungsmöglichkeiten zu geben. Er sei optimistisch, beim Covid-Maßnahmengesetz und Epidemiegesetz zu guten Lösungen zu kommen. Dazu soll der ständige Unterausschuss des Hauptausschusses eingebunden werden.

Kritik übte Kurz an den Staus an der österreichischen Grenze am vergangenen Wochenende: „Mir fehlt jedes Verständnis dafür, wie es zu so etwas kommen kann. Da ist etwas schiefgelaufen.“ Kurz wies darauf hin, dass es nur in einer einzigen Bezirkshauptmannschaft (Villach-Land, Anm.) zu solchen Zuständen gekommen sei. Das dürfe sich nicht wiederholen.

Neues Gesetz für Krisenzeiten

Um schnelles Handeln in Krisenzeiten zu gewährleisten, will die Regierung auch ein neues Krisensicherheitsgesetz erarbeiten. Es soll „eine moderne Grundlage für abgestimmtes Handeln einzelner Behörden, aber auch unbürokratische Beschaffungsvorgänge ermöglichen, damit wir für die nächste Herausforderung gerüstet sind – ganz gleich, ob es sich um eine Pandemie, einen Terroranschlag oder einen Cyberangriff handelt“. Abschließend richtete Kurz noch einen Durchhalteappell an die Menschen. „Diese Krise hat uns zurückgeworfen, aber sie wird uns nicht aufhalten. Wir werden in absehbarer Zeit zur gewohnten Normalität zurückkehren können und wir werden gemeinsam sicherstellen, dass unser wunderschönes Österreich auch diese Krise gut bewältigt“, so Kurz.

Freude bei Industrie und Wirtschaft

Wirtschaft, Industrie und ÖVP-Verbände begrüßten am Donnerstag die Pläne des Kanzlers. Die Wirtschaftskammer (WKÖ) freue sich über die Absicht, den Standort zu stärken und Jobs zu schaffen, so WKÖ-Präsident Harald Mahrer und Generalsekretär Karlheinz Kopf in einer Aussendung. „Zuversicht und klare Perspektiven“ sah der Präsident der Industriellenvereinigung (IV), Georg Knill. Unterstützung kam auch vom ÖAAB. Die Jugendorganisation der ÖVP freute sich über die Förderung von Digitalisierungsmaßnahmen, der Seniorenbund über den „Pakt gegen Alterseinsamkeit“.

Jakob Schwarz, stellvertretender Klubobmann der Grünen, sah in der Rede positive Signale, die Ökologisierung der Wirtschaft voranzutreiben. Kurz freunde sich dabei mit grünen Positionen im gemeinsamen Regierungsprogramm an. Schwarz verwies auf bereits vorliegende Pläne.

Opposition vermisst klare Antworten

Kritik kam von der Opposition: SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch hatte schon am Donnerstag eine „peinliche Selbstinszenierung“ kritisiert, sprach in einer Aussendung von „Corona-Murks und Totalversagen der türkis-grünen Regierung“. SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried sah bei der Regierung in puncto Arbeitslosigkeit und Pleitewelle keinen Plan, „nur viele Ankündigungen und blumige Worte“. Ähnlich ÖGB-CHef Wolfgang Katzian: „Qualifizierungsprogramme für Ältere fehlen völlig, und auch für Lehrlinge sind scheinbar überhaupt keine Maßnahmen geplant.“

Die FPÖ sah am Freitag eine „Aneinanderreihung inhaltsloser Floskeln und zynische Aussagen zur Vereinsamung älterer Menschen“. Dazu kündigte Parteichef Norbert Hofer via Aussendung an, „einen Pakt mit den von den Corona-Maßnahmen geschädigten Menschen“ eingehen zu wollen, Details dazu sollen noch präsentiert werden.

„Viele Ankündigungen, viele Schlagworte, wenig Substanz“, urteilte NEOS-Vorsitzende Beate Meinl-Reisinger nach der Kanzlerrede. „Kein Unternehmer weiß jetzt, worauf er sich im Herbst verlassen kann; Eltern, Lehrer und Schüler wissen nicht, wie der Schulstart aussehen wird; kein junger Mensch, der gerade seine Ausbildung abgeschlossen hat, und Menschen, die ihre Jobs verloren haben, wissen, wie sie jetzt einen Arbeitsplatz finden sollen – konkrete Antworten blieb Sebastian Kurz einmal mehr schuldig“, so Meinl-Reisinger.