Festnahme bei der Demonstration gegen Coronavirus-Maßnahmen in Berlin
APA/Kay Nietfeld
Coronavirus-Maßnahmen

Hunderte Festnahmen bei Protesten in Berlin

Zehntausende Menschen haben am Samstag in Berlin gegen die Coronavirus-Politik der deutschen Bundesregierung demonstriert. Insgesamt kamen zwischen 35.000 und 38.000 Menschen zu den Versammlungen in Berlin-Mitte und an der Siegessäule, wie Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) sagte. Rund 300 Personen wurden festgenommen – unter ihnen der als Verschwörungstheoretiker bekannte Vegankoch Attila Hildmann.

Eine Demonstration zu Mittag wurde wegen nicht eingehaltener Mindestabstände aufgelöst. „Mindestabstände werden von Ihnen flächendeckend trotz wiederholter Aufforderung nicht eingehalten“, hieß es in einer Durchsage an die Demonstrierenden. „Aus diesem Grund besteht keine andere Möglichkeit, als die Versammlung aufzulösen.“ Geisel bedauerte, dass „erwartungsgemäß“ der Mindestabstand nicht eingehalten wurde. „Eine Situation, die ich insgesamt gerne vermieden hätte“, sagte er.

Bereits bis zur Mittagszeit hatten sich dort nach Polizeiangaben etwa 18.000 Menschen versammelt. Sie skandierten Parolen wie „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Freiheit klaut“ und „Wir sind das Volk“. Zunächst riefen die Veranstalter dazu auf, sich der Auflösung zu widersetzen, einige Stunden später hatten laut Geisel jedoch alle Teilnehmer die Straßen verlassen.

Demonstration gegen Coronavirus-Maßnahmen in Berlin
AP/Michael Sohn
„Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Freiheit klaut“, skandierten die Demonstrierenden

Keine Masken, kein Mindestabstand

Am Nachmittag versammelten sich dann Zehntausende Menschen vor der Berliner Siegessäule für eine Kundgebung. Anders als bei der aufgelösten Demonstration gab es laut Geisel an der Siegessäule „offenbar ein Bemühen, die Abstandsregelung einzuhalten“. Bereits am frühen Abend verließen viele Teilnehmer die Kundgebung wieder. Der SPD-Politiker prognostizierte dennoch, die Situation werde sich weiter in den Abend hineinziehen.

Die Großkundgebung wurde von der Initiative Querdenken 711 unter dem Titel „Fest für Frieden und Freiheit“ angemeldet. Die Stuttgarter Initiative hatte auch die Versammlung am 1. August organisiert, bei der in Berlin mehr als 20.000 Menschen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie demonstriert hatten – ohne Masken und Mindestabstand. Auch AfD-Politiker und andere rechte Gruppen hatten zur Teilnahme an der Demonstration am Samstag aufgerufen.

Hunderte Festnahmen bei Protesten in Berlin

Zehntausende Menschen haben am Samstag in Berlin gegen die Coronavirus-Politik der Bundesregierung demonstriert. Insgesamt kamen zwischen 35.000 und 38.000 Menschen zu den Versammlungen in Berlin-Mitte und an der Siegessäule, wie Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) sagte.

Aufhebung aller Coronavirus-Gesetze gefordert

Bei der Großkundgebung bei der Siegessäule forderte der Initiator Michael Ballweg von der Initiative Querdenken die Aufhebung aller zum Schutz vor der Pandemie erlassenen Gesetze sowie die sofortige Abdankung der Bundesregierung. Dafür bekam er großen Beifall. Zugleich dankte Ballweg der Berliner Polizei, „die uns ermöglichte, hier friedlich zu demonstrieren“.

Der US-Rechtsanwalt, Umweltaktivist und Impfgegner Robert Francis Kennedy junior, Neffe des US-Präsidenten John F. Kennedy, wandte sich in seinem Redebeitrag gegen den Aufbau des 5G-Mobilfunknetzes, warnte vor einem Überwachungsstaat und attackierte in diesem Zusammenhang unter anderem Microsoft-Gründer Bill Gates.

Unter Verweis auf den berühmten Berlin-Besuch des US-Präsidenten Kennedy im Juni 1963 sagte er, sein Onkel sei damals nach Berlin gekommen, weil in der Stadt die Front gegen Totalitarismus verlaufen sei. „Heute ist Berlin wieder die Front gegen Totalitarismus“, fügte er an.

Maas: Reichsflaggen vorm Parlament „beschämend“

Viele Teilnehmer positionierten sich eindeutig als Impfgegner und Anhänger von Verschwörungstheorien. Neben Deutschlandflaggen wurden viele Reichsflaggen, aber auch unzählige Fahnen in Regenbogenfarben geschwungen. Sowohl Familien mit Kindern als auch offenbar betrunkene Männergruppen schlossen sich den Protesten an.

Der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) übte Kritik an rechtsextremen Teilnehmern an den Protesten vor dem Parlamentssitz. „Reichsflaggen vorm Parlament sind beschämend“, schrieb Maas am Abend im Onlinedienst Twitter. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz schrieb: „Unser Grundgesetz garantiert Meinungsfreiheit und das Demonstrationsrecht. Es ist die Antwort auf das Scheitern der Weimarer Republik und den Schrecken der NS-Zeit. Nazisymbole, Reichsbürger- & Kaiserreichflaggen haben vor dem Deutschen Bundestag rein gar nichts verloren.“

Polizisten mit Mundschutz vor dem Brandenburger Tor
APA/dpa/Kay Nietfeld
Tausende Polizisten standen den Teilnehmern und Teilnehmerinnen der Proteste gegenüber

300 Festnahmen

Laut Geisel wurden über den Tag verteilt bis zum frühen Abend insgesamt etwa 300 Menschen festgenommen. Allein 200 davon wurden nach Angaben des Innensenators bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Rechtsextremisten und Polizisten an der russischen Botschaft festgenommen, wo auch Hildmann in Gewahrsam genommen wurde.

Attila Hildmann

Hildmann ist als Vegankoch bekannt geworden. Im Zuge der Pandemie trat er wiederholt mit Verschwörungstheorien sowie verharmlosenden Äußerungen über den Nationalsozialismus und den Holocaust auf. Der Berliner Behörden hatten zuvor bereits Kundgebungen Hildmanns verboten, weil gegen ihn wegen Volksverhetzung und Bedrohung ermittelt wird.

Zu den Hintergründen der Festnahme Hildmannns äußerte sich Geisel nicht. Vor dem Botschaftsgebäude gab es nach Polizeiangaben Stein- und Flaschenwürfe auf Polizisten. Laut Polizei gab es dort auch Gefangenenbefreiungen.

Tumulte vor Reichstag

Zudem hätten am Abend mehrere hundert Protestierende eine Absperrung am Reichstagsgebäude durchbrochen und seien die Treppe hinaufgestürmt, sagte eine Sprecherin der Berliner Polizei. Die Beamten an Ort und Stelle hätten die Demonstranten abgedrängt und dabei auch Pfefferspray eingesetzt. Mittlerweile sei vor dem Sitz des Bundestags Ruhe eingekehrt. Zu möglichen Festnahmen konnte die Sprecherin zunächst keine Angaben machen. Auch am Reichstagsgebäude hatte es zuvor eine Kundgebung gegeben. Videos, die im Internet kursieren, zeigen, wie die Menschen direkt vor der Tür des Reichstags stehen. Nur drei Polizisten standen ihnen noch im Weg.

Der deutsche Innenminister Horst Seehofer zeigte sich bestürzt über die Ereignisse vor dem Berliner Reichstagsgebäude. „Meinungsvielfalt ist ein Markenzeichen einer gesunden Gesellschaft. Die Versammlungsfreiheit hat aber dort ihre Grenzen, wo staatliche Regeln mit Füßen getreten werden“, sagte der CSU-Politiker der „Bild am Sonntag“. „Das Reichstagsgebäude ist die Wirkungsstätte unseres Parlaments und damit das symbolische Zentrum unserer freiheitlichen Demokratie. Dass Chaoten und Extremisten es für ihre Zwecke missbrauchen, ist unerträglich.“ Der Staat müsse gegenüber solchen Leuten mit „null Toleranz und konsequenter Härte durchgreifen“.

3.000 Sicherheitskräfte der Polizei im Einsatz

Im Laufe des Tages wurden auch Straßen vorübergehend blockiert und ein Baucontainer angezündet, wie die Polizei mitteilte. Sie war mit rund 3.000 Beamten im Einsatz. Ein Hubschrauber lieferte der Einsatzleitung Bilder aus der Luft. Es gab auch Gegenproteste, unter anderem aus der linken Szene.

In den Sozialen Netzwerken tauchten Falschmeldungen über die Zahl der Teilnehmer auf: 8,5 Millionen Protestierende waren laut diesen vermeintlich in der Hauptstadt unterwegs. Auch der Thüringer AfD-Rechtsaußen Björn Höcke spricht von Hunderttausenden, „wenn nicht Millionen“. Schon bei der Demo am 1. August gegen die Coronavirus-Politik wurde die Teilnehmerzahl stark auf über eine Million aufgeblasen, obwohl nur wenige zehntausend dabei waren.

Demonstration gegen Coronavirus-Maßnahmen in Berlin
Reuters/Christian Mang
Demonstranten stürmen durch Absperrung auf Reichstagstreppe

Die deutsche Sozialpsychologin Pia Lamberty, die zu Verschwörungstheorien forscht, erklärt das Phänomen der auseinanderklaffenden Zahlen damit, dass die Protestierenden das Narrativ „Wir sind das Volk" aufbauen wollten. Von einer Million Menschen werde nicht deshalb gesprochen, „weil die nicht in der Lage waren zu zählen, sondern weil man das politisch nutzt, sich aufzublenden, größer zu wirken als man ist, um so diesen Mythos verbreiten zu können, dass man das Volk repräsentiert“, so Lamberty im Podcast „Ganz offen gesagt“.

Verbote von Gericht gekippt

Die Demonstrationen hatten bereits Tage vorher bundesweit für Diskussionen gesorgt: Am Mittwoch verbot die Versammlungsbehörde den Demonstrationszug und die Großkundgebung wegen des Infektionsschutzes, Gerichte kippten die Verbote jedoch wieder. Die Verbote hatten auch etwa bei CDU und CSU zu starker Kritik an der Berliner Landesregierung geführt.

Die Gerichte argumentierten laut Geisel, der Veranstalter müsse eine zweite Chance erhalten. „Die zweite Chance hat er heute gehabt.“ Geisel drückte die Hoffnung aus, „dass die Zahl der Erkrankten durch den heutigen Tag nicht wesentlich steigt“.

Demonstration gegen die Coronavirus-Maßnahmen in London
Reuters/Henry Nicholls
Auch in London wurde demonstriert – ein Teilnehmer fordert auf einem Plakat „keine verpflichtende Impfung“

Demos auch in Paris, London und Wien

Auch in Wien, London und Paris gab es am Samstag Demonstrationen gegen Coronavirus-Auflagen, allerdings deutlich kleinere. In der britischen Hauptstadt kamen mehrere hundert Menschen auf dem Trafalgar Square zusammen. Sie stellten Informationen über das Virus infrage, viele trugen Transparente mit der Aufschrift „Fake News“. In Paris versammelten sich rund 200 Aktivisten, die vor allem gegen die Maskenpflicht auf die Straße gingen. „Nein zur Gesundheitsdiktatur“ und „Lasst unsere Kinder atmen“ war hier auf Plakaten zu lesen.

In Wien versammelten sich bei der „Großdemo“ am Samstagabend laut Veranstaltern rund 3.000 Teilnehmer beim Resselpark, um gegen die Coronavirus-Maßnahmen zu demonstrieren. Im Gegensatz zu der Kundgebung in Berlin habe es „keinerlei Probleme“ gegeben, so Sprecher Martin Rutter zur APA. Das Ziel der Versammlung laut Hannes Brejcha von Querdenker Wien: „Wir möchten bis zu 15.000 Menschen vor Ort aus dieser ‚Coronadiktatur‘ befreien und Hunderttausende online erreichen.“ Als Redner hatten sich unter anderen Peer Eifler, Franziska Loibner, Alexandra Koller und Merith Streicher zu den Themen Impfzwang, juristische Sicht auf Coronavirus-Maßnahmen, 5G sowie Killervirus Ja oder Nein angekündigt.