Angela Merkel mit einem Flüchtling
Reuters/Fabrizio Bensch
„Wir schaffen das“

Ein Satz und fünf Jahre Flüchtlingskrise

Vor genau fünf Jahren hat die deutsche Kanzlerin Angela Merkel eher beiläufig den Satz gesagt, der wohl in die Geschichtsbücher eingehen wird: „Wir schaffen das!“ Die Flüchtlingskrise, ausgelöst vom syrischen Bürgerkrieg, hatte nach Monaten Mitteleuropa erreicht. Die Flucht Hunderttausender Flüchtlinge nach Europa löste tiefe Grabenkämpfe und eine schwere politische Krise in der EU aus, die – abgemildert – bis heute andauern.

Merkel sagte bei der Bundespressekonferenz damals wörtlich: „Deutschland ist ein starkes Land. Und das Motiv, in dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft – wir schaffen das!“ Als Merkel am 31. August 2015 den Satz sagte, war sie sich in keiner Weise bewusst, dass das ihr bekanntester Satz werden würde. Es war ganz offensichtlich kein vorbereiteter Slogan, um das Thema politisch in einen bestimmten Rahmen zu setzen. Aus dem Zusammenhang wirkte er eher beiläufig gesagt, möglicherweise völlig spontan formuliert.

Für diesen kurzen Satz, der zur bekanntesten Antwort auf die politische Krise rund um den Umgang Europas mit den vielen Flüchtlingen wurde, wird Merkel bis heute von den einen ebenso bewundert wie von den anderen verteufelt. Der Soziologe Armin Nassehi von der Universität München betonte gegenüber der Nachrichtenagentur, der Satz sei wie eine Ikone – „also ein Bild, das symbolhaft für etwas viel Größeres steht“. Merkel habe versucht, die Herausforderung einzuordnen und damit Mut zu machen, nach dem Motto: „Meine Güte, wir haben doch schon ganz andere Sachen hinbekommen.“

Angela Merkel mit einem Flüchtling
AP/Gero Breloer
Auf dieser Pressekonferenz sagte Merkel den Satz, mit dem sie am meisten in Erinnerung bleiben dürfte. Dass sie sich mit Flüchtlingen fotografieren ließ, habe noch mehr nach Europa gezogen, wurde ihr von Gegnern später angekreidet.

Überhöhte Lakonie

Merkel selbst sah den Spruch vor allem angesichts der Bedeutung, den er in der Öffentlichkeit annahm, durchaus selbstkritisch. 2016 etwa sagte sie, „dass dieser Satz etwas überhöht wird, dass zu viel in ihn geheimnist wird. So viel, dass ich ihn am liebsten kaum noch wiederholen mag, ist er doch zu einer Art schlichtem Motto, fast zu einer Leerformel geworden.“ Auch fünf Jahre später meinte sie nun: „Dieser Satz steht für sich, manchmal hat er sich sogar ein bisschen zu sehr verselbstständigt. Aber egal.“ Lakonischer geht es kaum.

Fünf Jahre „Wir schaffen das“

Am 31. August 2015 hat die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) inmitten der Flüchtlingsbewegung mit „Wir schaffen das“ die wohl prägendsten Worte ihrer Amtszeit gesprochen. Vier Monate später war die Stimmung in der Bevölkerung gekippt, als es während der Kölner Silvesternacht zu Übergriffen auf Frauen durch Migranten kam. – Der Sommer 2015 hat Europa nachhaltig verändert, bis heute wird darüber emotional diskutiert.

Faktum ist, dass die Flüchtlinge neben Skepsis und Ablehnung bei den einen eine beispiellose Hilfsbereitschaft bei vielen Menschen auslösten, während die Politik in vielen Bereichen überfordert war. Die EU ist jedenfalls auch fünf Jahre nach Beginn der Flüchtlingskrise nur kleine Schritte weitergekommen. Ein einheitliches Asyl- und Migrationssystem ist weiter nirgendwo in Sicht.

Die Bemühungen beschränkten sich weitgehend auf eine bessere Bewachung der EU-Außengrenzen. Hier waren am ehesten Kompromisse möglich. Aber wie Europa mit der Tatsache, dass der reiche Kontinent verstärkt sowohl mit politisch bedingter Flucht aus den zahlreichen Krisenherden im Nahbereich der Union als auch mit wirtschaftlich oder klimakrisenbedingter Migration konfrontiert bleiben wird, umgehen solle, ist weiter zwischen den Mitgliedsländern tief umstritten.

Angela Merkel mit einem Flüchtling
APA/AFP/Dimitar Dilkoff
So wie hier an der griechisch-makedonischen Grenze, flüchteten Hunderttausende Menschen streckenweise zu Fuß in die EU

Krise mit Ansage

Ganz überraschend kamen die Ereignisse jedenfalls auch vor fünf Jahren nicht: Bereits jahrelang hatten Griechenland und Italien vergeblich mit der Ankunft zahlreicher Flüchtlinge gerungen – und waren von den anderen EU-Staaten mit Verweis auf das Dublin-System weitestgehend alleingelassen worden. Anfang Juli 2015 gab es dann immer mehr Berichte über die stark gestiegenen Ankunftszahlen in Griechenland, Mazedonien und Serbien. Gleichzeitig verhängte das Aufnahmezentrum Traiskirchen einen Aufnahmestopp, Geflüchtete mussten in Zelten oder unter freiem Himmel schlafen, weil in den Quartieren kein Platz mehr war.

Rund sechs Wochen später überschritten täglich Tausende Flüchtlinge die grüne Grenze zwischen Serbien und Ungarn. Am 25. August erklärte schließlich das deutsche Bundesamt für Flüchtlinge und Migration (BAMF), das Dublin-Verfahren – das eine Rückführung in das Ersteinreiseland innerhalb der EU vorsieht – für Syrerinnen und Syrer auszusetzen. In der Folge wollten fast alle Flüchtlinge nach Deutschland weiterreisen.

Migrationsforscher Knaus zur Flüchtlingssituation

Fünf Jahre nach Beginn der großen Fluchtbewegung ist die Zahl der Flüchtenden auch wegen der Pandemie so niedrig wie nie zuvor.

Dramatische Ereignisse

Der letzte Weckruf, dass die Flucht der Zivilbevölkerung vor den Kämpfen und Gräueln in Syrien auch Österreich direkt betrifft, erfolgte am 27. August 2015: An diesem Tag wurden 71 Leichen in einem Kühllaster auf der Ostautobahn (A4) gefunden. Die Lage auf dem Budapester Bahnhof Keleti, wo mittlerweile Tausende Menschen gestrandet waren, spitzte sich zu, als am 31. August einige den Zug Richtung Wien stürmten.

Angela Merkel mit einem Flüchtling
APA/AFP/Aris Messinis
Privat organisierte Retter helfen Menschen 2016 auf einem völlig überfüllten Schlauchboot vor der Küste Libyens

Die ungarische Polizei zog sich vom Bahnhof zurück, am 1. September wurde der internationale Zugsverkehr teilweise ganz eingestellt. Als zwei Tage später überraschend doch Züge abfuhren, brachten sie die Menschen in ein ungarisches Flüchtlingslager, anstatt nach Österreich und Deutschland. Hunderte Flüchtlinge traten daraufhin in einen Hungerstreik und weigerten sich, die Garnituren zu verlassen.

Der ungarische Druck – Budapest kündigte an, die Flüchtlinge an der Grenze zu Österreich abzusetzen – zwang Österreich und Deutschland förmlich zur Grenzöffnung, die – das wurde von Anfang betont und in späteren Auseinandersetzungen oft verdrängt – eigentlich nur vorübergehend sein sollte.