Bundeskanzler Sebastian Kurz bei den Sommergesprächen
ORF/Hans Leitner
„Sommergespräche“

„Es wird uns noch viel abverlangt werden“

Zum Abschluss der heurigen ORF-„Sommergespräche“ ist am Montag Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zu Gast bei Simone Stribl gewesen. Er signalisierte erneut Optimismus, dass die Krise schneller vorbei sein würde als gedacht. Gleichzeitig warnte er vor großen Herausforderungen im Herbst und Winter, die „uns allen noch viel abverlangen“ würden. Auch Verschärfungen stehen wieder im Raum, Details soll es am Mittwoch geben.

Kurz, der seit Anfang des Jahres mit den Grünen koaliert, gab zu Beginn des letzten „Sommergesprächs“ eine vorläufige Bilanz ab: Er habe nach dem Jahr 2019 eigentlich das Gefühl gehabt, „fast alles erlebt zu haben, was man politisch erleben kann“, etwa den „Ibiza-Skandal“. Die Pandemie sei aber das Schlimmste: „Corona sprengt natürlich alle Dimensionen.“ Das Virus habe alle erschüttert, die Welt sei von einem Tag auf den anderen auf den Kopf gestellt worden, so Kurz.

Seine Prognose vom Freitag, im Sommer des nächsten Jahres werde die Normalität zurückkehren, sei aber dennoch nicht zu gewagt, so Kurz: „Ich habe von Beginn an immer eines gesagt: Es ist erst vorbei, wenn es ein wirksames Medikament oder eine Impfung gibt.“ Der Tenor von Pharmakonzernen und Forscherinnen und Forschern laute derzeit, dass entsprechende Ergebnisse schneller zu erwarten seien als ursprünglich gedacht, auch wenn niemand absolute Sicherheit geben könne.

Rückblick auf den Beginn der Krise

Zuvor stellten jedoch noch Herbst und Winter große Herausforderungen dar, so Kurz. Die Aktivitäten verlagerten sich wieder vermehrt in Innenräume, die Schule beginne, die Grippesaison stehe vor der Tür. „Da wird uns allen noch sehr viel abverlangt werden, nicht nur der Bundesregierung.“

Kurs wird diese Woche vorgegeben

Am Freitag soll die „Coronavirus-Ampel“ des Gesundheitsministeriums „geschaltet“ werden. Sie soll das Infektionsrisiko in den verschiedenen Regionen Österreichs abbilden. Noch sind aber Details und Konsequenzen der Ampel nicht bekannt. Die Lage in den verschiedenen Bezirken sei oftmals nicht miteinander zu vergleichen, sagte Kurz. Eine hohe Zahl in einem Wiener Bezirk sei etwas anderes als in einem Skigebiet. Auch wenn man sich künftig an der Ampel orientiere – „welche Maßnahmen dann gesetzt werden, muss immer eine politische Entscheidung bleiben“, sagte Kurz. „Es wird immer eine adäquate Reaktion geben, wichtig ist, dass die Bevölkerung mitmacht.“

Bundeskanzler Sebastian Kurz bei den Sommergesprächen
ORF/Hans Leitner
Kurz will sich zum Schutz anderer impfen lassen

Am Mittwoch will Kurz zusammen mit Gesundheits- und Innenministerium sowie Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) die Lage „final bewerten“ und einen „Schritt machen in Richtung hin Nachschärfen bei den Maßnahmen“ – zumindest mit neuen Appellen, vielleicht auch mit neuen Regelungen, so Kurz. Details wolle er mit dem Koalitionspartner verkünden, aber grundsätzlich ist klar, worum es geht: „Wir müssen die sozialen Kontakte reduzieren“, sagte Kurz.

Haltung zu einer Impfpflicht in Österreich

Je mehr sich das gesellschaftliche Leben wieder in Innenräume verlagere, je näher der Schulstart rücke, desto wichtiger sei es wieder, die sozialen Kontakte zu reduzieren, Maske zu tragen und Abstand zu halten. „Je stärker jeder seinen Beitrag leistet, desto besser werden wir durch Herbst und Winter kommen“, so Kurz. Das Ziel sei, einen zweiten Lockdown zu verhindern.

Testkapazitäten „spielentscheidend“

Einer Impfpflicht, so es ein Vakzin gibt, erteilte Kurz am Montag abermals eine Absage. „Ich sehe eine Impfpflicht grundsätzlich skeptisch, das werden wir nicht einführen.“ Nun sei die Sorge ohnehin eine andere: Man müsse erst einmal genügen Dosen für Österreich beschaffen. Die Behörden würden den Impfstoff jedenfalls nur zulassen, wenn dieser sicher und geprüft sei. Zudem sei für den Herbst besonders wichtig, dass die Gesundheitshotline 1450 weiter funktioniere und sich auf weit mehr Anrufe einstelle als bisher. Auch müsse sichergestellt sein, dass genügend Testkapazitäten vorhanden seien. „Das wird nach wie vor spielentscheidend sein.“

Kurz sagte, er selbst wolle sich gegen das Coronavirus impfen lassen, obwohl er im Fall einer Infektion keinen problematischen Krankheitsverlauf erwarten würde. Er habe aber viel mit Menschen zu tun, auch seine ältere Verwandtschaft wolle er nicht gefährden. Es gilt als wahrscheinlich, dass das Interesse auch an einem Grippeimpfstoff heuer größer sein wird als sonst. Kurz sagte, er habe das Gesundheitsministerium schon früh angewiesen, so viel wie möglich zu besorgen.

Schulschließungen sollen vermieden werden

Ausschließen wollte Kurz nicht, dass es auch wieder zu Schulschließungen kommen kann: „Ich schließe nichts aus, was ich nicht halten kann.“ Er sei aber optimistisch, dass flächendeckende Schulschließungen vermeidbar seien. Man wolle im Herbst normal mit dem Schulbetrieb starten und bei Verdacht testen. Wenn eine Schließung nötig sei, dann zunächst nur einzelner Klassen. Zudem habe die Bundesregierung die Möglichkeit, Sonderbetreuungszeit zu beantragen, verlängert.

Schulbetrieb im Herbst und Gleichberechtigung der Frauen

Es habe viele Heldinnen und Helden der Krise gegeben, auch in Industrie, Bau und sonstigen Branchen. Deshalb habe man sich auch dazu entschlossen, „mehr zu machen, als die Gewerkschaft gefordert hat“, so Kurz. „Wir haben nicht gesagt, es gibt eine Gruppe, sondern wir haben die Steuerlast für alle arbeitenden Menschen reduziert.“ Im September hätten diese so bis zu 350 Euro mehr auf dem Konto und Familien zusätzlich 360 Euro pro Kind.

Wachstum als Ziel für nächstes Jahr

Österreich könne durch die gute Budgetpolitik der vergangenen Jahre Geld zu sehr günstigen Konditionen aufnehmen. Das sei erfreulich, auch wenn er, Kurz, zeit seines politischen Engagements immer gegen neue Schulden aufgetreten sei. Nun müsse sich Österreich aber eben verschulden. „Ich leide sehr darunter, aber es ist notwendig. Es gibt keinen anderen Weg“, sagte der Kanzler. Es gebe heuer ein CoV-Rettungspaket von 50 Milliarden Euro. Davon sei bisher nur knapp die Hälfte „bewegt“ worden, es sei also noch viel da, das abgerufen werden könne. In den kommenden Jahren werde es darum gehen, wieder solides Wachstum herzustellen. Die Prognosen für kommendes Jahr zeigten ein positives Bild.

Scharfe Kritik hatte es zu Beginn der Pandemie an Kurz gegeben, der bei verfassungsrechtlichen Bedenken gegen Verordnungen der Bundesregierung von „juristischen Spitzfindigkeiten“ gesprochen hatte. Kurz sagte, die Formulierung sei damals „nicht ideal“ gewesen. Kritik von Opposition und Verfassungsdienst an neuen Verordnungen wies Kurz im „Sommergespräch“ zurück, verwies aber auf das Gesundheitsministerium. Dort habe man sich stets „redlich bemüht“. Auch wenn man viele Meinungen und Gutachten einhole, gebe es keine Garantie, dass eine Verordnung vor dem Verfassungsgerichtshof halte. Es handle sich um ein Gremium, in dem es auch unterschiedliche Meinungen gebe, die Entscheidung falle dann nach der jeweiligen Mehrheit aus. Das Gesundheitsministerium handle jedenfalls „nach bestem Wissen und Gewissen“. Zu Unrecht ausgesprochene Strafen könnten im Rechtsstaat bekämpft werden.

„Immer auf Qualifikation geachtet“

Themen abseits der Pandemie kamen am Montag nur am Rande auf, etwa die Rolle von Kanzler und ÖVP im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss. Auf die Frage nach Postenbesetzungen – etwa die von ÖBAG-Chef Thomas Schmid – sagte Kurz, er selbst habe bei Personalentscheidungen immer auf Qualifikation geachtet. „Aber es wäre falsch zu sagen: ‚Wir nehmen niemanden, zu dem es ein Vertrauensverhältnis gibt‘“, so Kurz. Postenbesetzungen von ÖVP und FPÖ würden stets als unredlich bewertet. „Dagegen verwahre ich mich.“

Türkis-blaue Postenbesetzungen

Am Montag habe die grüne Verkehrsministerin Leonore Gewessler den ASFINAG-Aufsichtsrat umbesetzt, auch mit den Grünen nahestehenden Personen. „Und das ist absolut legitim, sie kann diese Entscheidung treffen. Die Grünen sind in der Bundesregierung und vertreten den Eigentümer.“ Oft stünden aber bei ÖVP und FPÖ Vorwürfe im Raum, die stark in der Berichterstattung wahrgenommen würden. Wenn dann die Vorwürfe ausgeräumt seien, sei das Echo weit geringer.

Asyllösung bleibt

Für den grünen Koalitionspartner, namentlich Kogler, hatte Kurz nur Lob übrig. Es gebe eine „sehr, sehr gute Zusammenarbeit und persönlich eine sehr gute Gesprächsbasis, auch wenn wir in vielen Fragen unterschiedlich ticken“. Unterschiede gebe es beim Thema Asyl. Hier habe sich seine Meinung nicht geändert, so Kurz. Es bleibe bei der Lösung, dass Lehrlinge, die kein Recht auf Asyl hätten, die Lehre beenden dürften, danach aber ausreisen müssten.

Auch die Wiener Wahl am 11. Oktober wurde angesprochen: Eine Frage, ob die ÖVP für die SPÖ in Wien als Juniorpartner fungieren würde, beantwortete er, das komme auf das Programm an. Die ÖVP wolle jedoch zunächst, eine absolute Mehrheit der SPÖ verhindern. Die Stadt-ÖVP strebe 15 Prozent der Stimmen an, vielleicht sogar den zweiten Platz, so Kurz.

Analyse: „Vom Angstmacher zum Optimisten der Nation“

In der Analyse des „Sommergesprächs“ in der ZIB2 war das Spannungsverhältnis zwischen Mahnen und Optimismus Thema. Kurz habe seit Freitag hier einen Rollenwechsel vollzogen, sagte „profil“-Innenpolitikleiterin Eva Linsinger, vom „Angstmacher der Nation zum Optimisten der Nation“. Damals habe Kurz’ Aussage, jeder würde bald jemanden kennen, der an Covid-19 verstorben sei, nicht gestimmt. Ob nun der Optimismus, im nächsten Sommer werde sich Normalität eingestellt haben, stimme, wisse niemand. „Da herrscht das Prinzip Hoffnung.“

Ähnlich argumentierte der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier. „Was den Zukunftsoptimismus betrifft, da kann ich schon zustimmen. Da allerdings riskiert er etwas als Möchtegernvirologe. Denn die Prognose für den nächsten Sommer dürfte wohl eher schwierig sein. Und vor allem ist es auch eine Frage der Glaubwürdigkeit, denn zum Glück haben viele Vorhersagen nicht gestimmt. Die 100.000 Toten haben nicht gestimmt und dass jeder jemanden kennt, der an Corona verstirbt. Bei ca. 730 Toten, da müssten wir alle, jeder von uns dreien, aber auch inklusive Babys in Österreich, einen Bekanntenkreis von 15.000-20.000 Menschen haben, damit sich das ausgeht“, sagte Filzmaier.

Analyse des ORF-„Sommergesprächs“ mit Bundeskanzler Sebastian Kurz

Die Pandemie und der Umgang damit – das war ein zentrales Thema im letzten ORF-„Sommergespräch“ dieses Jahres mit Bundeskanzler und ÖVP-Obmann Sebastian Kurz. „Profil“-Innenpolitikleiterin Eva Linsinger und der Politologe Peter Filzmaier analysieren.

Das Verhältnis zum grünen Koalitionspartner sah Linsinger trotz freundlicher Worte des Kanzlers angespannt. Zu sagen, das Gesundheitsministerium habe sich stets redlich bemüht, sei eine „gar nicht besonders subtile Umschreibung“ gewesen für „eh nett, aber leider unfähig“. Seit einiger Zeit sei schon zu beobachten, dass die ÖVP versuche, Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) die Verantwortung für Fehler im Krisenmanagement zuzuschieben. Kurz sei lange Österreichs beliebteste Politiker gewesen, nun sei es Anschober. Den Kanzler mache das „sichtlich nervös“, so Linsinger. Kurz sei Gegenwind nicht gewohnt, das Verhältnis in der Koalition werde rauer.