Oppositionspolitikerin Maria Kolesnikowa
AP/Evgeniy Maloletka
Weißrussland

Neues Bündnis und Generalstreik

Die Opposition in Weißrussland will mit einem landesweiten Streik den Druck auf den umstrittenen Staatschef Alexander Lukaschenko weiter erhöhen. Neben dem Aufruf zu einem Generalstreik kündigte die Oppositionelle Maria Kolesnikowa die Gründung eines neuen Bündnisses an. Studentinnen und Studenten schlossen sich dem Streik an.

„Wir laden alle ein, Solidarität zu zeigen und die Arbeit einzustellen.“ Die Organisatoren nannten es „den größten Massenstreik in der Geschichte des Landes“. Bezüglich der neuen Partei sagte die 38-jährige Kolesnikowa am Montag: Die politische Kraft mit dem Namen Wmestje (etwa: Miteinander) solle den Menschen, die Veränderungen wollten, eine Basis geben.

„Das Land befindet sich in einer politischen und einer sozioökonomischen Krise, und gemeinsam wissen wir, wie wir aus dieser Krise herauskommen“, sagte Kolesnikowa. „Sehr bald werden wir die Unterlagen für eine Registrierung ausgeben.“ Kolesnikowa hatte im Wahlkampf zusammen mit Veronika Zepkalo eng mit der Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja zusammengearbeitet.

Studenten demonstrieren

Hunderte Studenten demonstrierten gegen Lukaschenko. Die Polizei nahm in Minsk wieder mehrere Menschen fest. Das Menschenrechtszentrum Wesna sprach am frühen Nachmittag von mehr als 15 Festnahmen. In Videos und auf Bildern war zu sehen, wie schwarz gekleidete Sicherheitskräfte junge Männer abführten.

In einem Industriebetrieb in Grodno an der Grenze zum EU-Land Polen sei niemand zur Arbeit gekommen, berichtete das Internetportal „tut.by“. Auch in einem Traktorenbetrieb in der Hauptstadt sammelten sich die Angestellten auf der Straße. Einige hielten Schilder hoch, auf denen „Solidarität“ zu lesen war.

„Aufbau einer neuen Gesellschaft“

Kolesnikowa gilt als eines der wichtigsten Gesichter in der Bürgerbewegung gegen den umstrittenen Staatschef. Der Miteinander-Partei gehe es darum, Verantwortung zu übernehmen für den Aufbau einer neuen Gesellschaft, sagte Kolesnikowa. Sie sei nötig, um engagierten Bürgerinnen und Bürgern eine politische Heimat zu geben. Kolesnikowa arbeitet für den Ex-Bankchef Viktor Babariko, der um das Präsidentenamt kandidieren wollte. Lukaschenko ließ ihn aber vor der Wahl verhaften, das Strafverfahren gilt als politisch motiviert.

„Zeigen, dass Lukaschenko kein Schuldirektor ist“

In Weißrussland gibt es seit rund drei Wochen Streiks und Proteste, denen sich Hunderttausende Menschen angeschlossen haben. Auslöser war die von Fälschungsvorwürfen überschattete Wahl, bei der sich Lukaschenko mit mehr als 80 Prozent der Stimmen zum Wahlsieger erklären ließ. Der 66-Jährige ist bereits seit 26 Jahren an der Macht, der Wahlsieg wäre der sechste in Serie. Die Demokratiebewegung sieht die Oppositionelle Tichanowskaja als Gewinnerin der Wahl.

Am 1. September beginnt in den meisten Ex-Sowjetrepubliken auch traditionell das neue Schuljahr. „Lasst uns zeigen, dass Lukaschenko kein Schuldirektor ist“, hieß es weiter. Auch Tichanowskaja rief die Lehrerinnen und Lehrer aus ihrem Exil im EU-Land Litauen in einem Video auf, den Schülern die Wahrheit zu sagen.

„Lasst uns die Schule und den guten Namen der Lehrer von Heuchelei und Angst reinigen“, sagte die zweifache Mutter, die selbst als Fremdsprachenlehrerin gearbeitet hatte. Die Schule sei ein Ort, an dem es auch fragwürdige Machenschaften gebe. Zu Schulbeginn müssten die Lehrer den Eltern und Kindern wieder in die Augen schauen und ehrlich sein.

Lukaschenko deutet leichte Zugeständnisse an

Die Lage in Minsk blieb auch zu Wochenbeginn angespannt, nachdem am Sonntag Zehntausende Menschen den Rücktritt Lukaschenkos gefordert hatten. Er hatte am Montag erstmals Veränderungen in Aussicht gestellt. Konkret gehe es um Änderungen der Verfassung, die von der Gesellschaft getragen werden solle, sagte er.

Kolesnikowa warnte jedoch davor, Lukaschenko nach vielen nicht erfüllten Versprechungen zu vertrauen. Dennoch sei die Strategie des Koordinationsrates der Demokratiebewegung erfolgreich, sagte Kolesnikowa am Montagabend. „Vor zwei Wochen wollte der amtierende Präsident nicht einmal wahrnehmen, dass ein Dialog möglich ist. Jetzt sagt er selbst, dass ein Dialog notwendig ist.“ Die Opposition sei weiter geduldig.

Prominente Oppositionelle verhaftet

Die Sicherheitskräfte gehen jedoch weiter gegen Oppositionelle vor. Mit Lilija Wlassowa, die in Minsk als Mediatorin arbeitet, sei ein weiteres Mitglied des Gremiums festgenommen worden. Der Koordinationsrat der Demokratiebewegung verurteilte das Vorgehen der Behörden. „Das zeugt nur davon, dass die Macht am öffentlichen Dialog und der Lösung der innenpolitischen Krise durch Verhandlungen nicht interessiert ist“, hieß es.

Geopolitische Spannungen

Die EU versuchte zuletzt mit dem Beschluss weiterer Sanktionen den Druck auf Lukaschenko zu erhöhen. Der russische Präsident Wladimir Putin, der Weißrussland als wichtige geopolitische Pufferzone zur NATO betrachtet, hatte Lukaschenko dagegen zuletzt immer deutliche den Rücken gestärkt. Ein direktes Eingreifen, etwa mit Soldaten oder Söldnern, gilt aber weiter als unwahrscheinlich.

Anders als im Fall der Ukraine gibt es in der weißrussischen Bevölkerung keine antirussische Bewegung und entsprechend keine Zustimmung zu einem eventuellen militärischen Einschreiten in der russischen Bevölkerung. Andererseits könnte ein Sturz von Lukaschenko für Putin innenpolitisch unangenehm werden. Auch er ist derzeit verstärkt mit Protesten und Kritik vor allem aus weiter vom Moskauer Zentrum entfernten Provinzen konfrontiert.