Demonstranten der Gruppierung Patriot Prayer und Proud Boys
Reuters/Maranie Staab
USA

Fruchtbare Zeiten für rechte Zündler

Coronavirus-Pandemie, „Black Lives Matter“-Bewegung und der auf seinen Höhepunkt zusteuernde Wahlkampf um das Weiße Haus: All das hat die politische Spaltung in den USA verschärft und vor allem regierungsfeindlichen Milizen, rechtsradikalen Gruppen und Verschwörungstheoretikern einen fruchtbaren Boden bereitet. Die jüngsten Gewaltexzesse in Portland und Kenosha sind deutliches Zeichen dafür.

Allein in der vergangenen Woche wurden drei Menschen bei Protesten erschossen – zwei davon am Dienstag in Kenosha, Wisconsin, als Tatverdächtiger wurde ein 17-Jähriger festgenommen. Im Vorfeld hatten in der Stadt Polizeischüsse auf einen Afroamerikaner zu Protesten und Ausschreitungen geführt. Am Samstag wurde in Portland, Oregon, ein mutmaßliches Mitglied einer ultrarechten Gruppierung erschossen. Das Opfer, der 39-jährige Aaron Danielson, nahm an einer Pro-Trump-Gegendemonstration zu den Anti-Rassismus-Protesten teil, die seit mehr als drei Monaten die Stadt im Bann halten.

Die Tat forderte diesen Donnerstag erneut ein Menschenleben: Polizisten erschossen den 48-jährigen Verdächtigen. Behördenangaben zufolge hatte er versucht, vor vier Polizisten zu fliehen, nachdem ihn die Beamten observiert hatten und ihn festnehmen wollten. Sie gaben an, der Mann hatte eine Waffe bei sich – ob dies tatsächlich der Fall war, werde derzeit ermittelt. US-Präsident Donald Trump hatte zuvor eine rasche Festnahme des „kaltblütigen Mörders“ gefordert.

Joey Gibson, Gründer der Gruppierung Patriot Prayer
APA/AFP/Getty Images/Karen Ducey
Joey Gibson orchestriert die Rechts-Außen-Bewegung „Patriot Prayer“

Definition über Gegner

Danielson war Mitglied von „Patriot Prayer“, einer rechtsextremen Gruppe mit Sitz in Portland, die zunehmend an Gewicht gewinnt und von Experten als eine der gefährlichsten in den USA bezeichnet wird. „Patriot Prayer“ wurde nach dem Wahlsieg von Trump im Jahr 2016 von Joey Gibson gegründet. Sein anfänglich noch gemäßigter Tonfall schlug bald in Radikalität um, wie die „Washington Post“ diese Woche berichtete. „Sie behaupten, sie treten für Leben und Freiheit ein, was immer das bedeutet, und gegen den Kommunismus“, zitierte die Zeitung Vegas Tenold, Forscher am Zentrum für Extremismus der Anti-Defamation League.

„Zum großen Teil definieren sie sich nicht darüber, wer sie sind oder was sie glauben, sondern darüber, gegen wen sie sind: antifaschistische Aktivisten der Linken. Das bietet allen möglichen Arten von Protestlern eine Heimat“, sagte Tenold. Einige von Gibsons ersten Anhängern hatten Verbindungen zu Gruppen, die die „weiße Vorherrschaft“ propagierten, 2017 schloss er sich enger mit den „Proud Boys“ zusammen, einer neofaschistischen Organisation, die nur Männer als Mitglieder zulässt und antimuslimische Gewalt fördert.

Gibson selbst bemüht sich darum, den Einfluss von „Patriot Prayer“ kleinzureden und dementiert, dass die Gruppe eine Bedrohung darstellen könnte – er würde lediglich Gleichgesinnte unterstützen: „Am Anfang ging ich in Gegenden, in denen Konservative nicht willkommen waren oder Angst hatten, sie zu betreten“, sagte er. „Aber jetzt bin ich in Gebieten aktiv, in denen Konservative erwünscht sind – es ist klar, wofür ich stehe. Es fühlt sich viel besser an, für Leute zu kämpfen, die das unterstützen.“

Unterstützer der Patriot Prayer Gruppierung bei einer Demonstration in Portland
Reuters/Bob Strong
Beobachter befürchten, dass die Gewalt in den Wochen bis zur Präsidentschaftswahl am 3. November weiter anwachsen wird

Stunde der Extremisten

Cassie Miller, leitende Forscherin der gegen Rassismus kämpfenden Organisation Southern Poverty Law Center, schenkt Gibson wenig Glauben. „Patriot Prayer“ würde sich auf eine Reihe „vager rechtsextremer Prinzipien“ berufen. Diese schwer festzumachende Ideologie sei bewusst gewählt, glaubt Miller – dadurch würde eine Art von „glaubhafter Bestreitbarkeit“ geschaffen, sprich, die Verantwortung für Fehltritte innerhalb der Gruppierung minimiert. Doch, „was sie wirklich wollen, ist, ihre politischen Feinde zum Schweigen zu bringen, und das wollen sie durch Gewalt und Einschüchterung erreichen“, sagte Miller in der „Washington Post“.

Schon im Frühjahr hatten sich rechte Gruppierungen formiert, um gegen Einschränkungen im Zuge der Coronavirus-Pandemie zu demonstrieren. „Die Bewegung fußt auf Opportunismus und Militanz und hat nach Ansicht von Experten mehrere Ziele: breitere Akzeptanz, erhöhte Sichtbarkeit und die Rekrutierung neuer Mitglieder“, schrieb Euronews. „Für viele regierungsfeindliche Extremisten, insbesondere Milizen, boten die Beschränkungen und Vorschriften zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie ungeahnte Chancen“, wurde Mark Pitcavage von der Anti-Defamation League zitiert. Chancen deshalb, „weil die Gouverneure der Bundesstaaten und Kommunen, aber nicht die Bundesregierung für die Beschränkungen verantwortlich gemacht wurden“.

Rückendeckung durch Trump

Für Kenneth Stern, Direktor des Bard Center for the Study of Hate, „bieten sich diese Versammlungen geradezu an als Orte für weiße Rassisten, die sichtbar sein und ihre Botschaft verbreiten wollen“, um „einfache, konspirative und hasserfüllte Antworten auf die Sorgen und Nöte der Menschen zu geben“. Sie fühlten sich von einem Präsidenten ermutigt, der wie sie von Verschwörungen spricht, der unterstützende Worte für diejenigen hatte, die mit Nazisymbolen in Charlottesville marschierten, und „Befreit Staaten“ twitterte.

Demonstranten mit Hawaii-Hemden und Gewehren
APA/AFP/Jeff Kowalsky
Waffen und Hawaiihemden ergeben den „Boogaloo“-Look

Bürgerkrieg ist das Ziel

Als einer der radikalsten Akteure tat sich zuletzt die „Boogaloo“-Bewegung hervor: Sie bereitet sich Experten zufolge auf einen zweiten US-Bürgerkrieg vor und sehnt diesen geradezu herbei. Laut J.J. MacNab, einem Forscher des Extremismusprogramms der George Washington University, propagieren ihre Mitglieder, FBI-Agenten und Polizisten zu töten, „um den Beginn des Bürgerkriegs zu beschleunigen“.

Im Juni wurden drei der Bewegung zugerechneten Personen festgenommen, nachdem sie beschuldigt worden waren, sich in „Black Lives Matter“-Demonstrationen gemischt zu haben, um die Demonstrierenden zu Gewalt anzustacheln. Ein mutmaßlicher Anhänger soll Ende Mai in Kalifornien einen Polizisten erschossen haben, um die Situation anzuheizen. Im März wiederum wurde in Missouri ein Mann mit neonazistischen Verbindungen erschossen – er soll einem verdeckten FBI-Agenten gesagt haben, sein Ziel sei es, „eine Revolution auszulösen“ und beschrieb seine Pläne als „Operation Boogaloo“.

Hawaiihemden als Erkennungsmerkmal

"Politisch stehen viele „Boogaloo-Boys" der extremen Rechten nahe, aber wichtige ergänzende Ideologieversatzstücke sind das Recht auf Waffenbesitz, der Glaube an Verschwörungsmythen und der Libertarismus“, schrieb der Bayerische Rundfunk (BR). Einheitlich ist die Bewegung somit nicht, ein Erkennungsmerkmal aber ist prägnant: Neben der in diesen Kreisen unvermeidlichen Militärkleidung tragen ihre Anhänger Hawaiihemden. Der BR resümiert: „Bisher galt das Aloha-Hemd als ästhetisches Problem, nicht als politisches. Diese Zeiten könnten nun der Vergangenheit angehören.“