Feuer und Rauch im Flüchtlingslager Moria
AP/Panagiotis Balaskas
Griechenland

Lager Moria fast völlig ausgebrannt

Das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos ist nach dem Ausbruch mehrerer Brände in der Nacht auf Mittwoch fast vollständig ausgebrannt. Das Feuer wütete angefacht von Winden mit bis zu 70 Stundenkilometern. Nach Regierungsangaben ist der Großbrand seit dem frühen Mittwochmorgen weitgehend unter Kontrolle. Schon in der Nacht begannen die Behörden laut griechischen Medienberichten mit der Evakuierung des Lagers, nachdem Wohncontainer Feuer gefangen hatten.

Das Flüchtlingscamp sei bei dem Großbrand fast vollständig zerstört worden, sagten zwei Offiziere der Feuerwehr am Mittwoch im griechischen Rundfunk ERT. Das Staatsfernsehen, das mit einer Sondererlaubnis aus dem Lager berichten durfte, zeigte Bilder von verkohlten Containerwohnungen und verbrannten Zelten rund um das Camp. Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis habe ein Krisentreffen in Athen einberufen, sagte Regierungssprecher Stelios Petsas dem griechischen Rundfunk ERT. Neben dem Migrations- und dem Bürgerschutzminister sollen daran auch der Chef des griechischen Nachrichtendienstes EYP und der Generalstabschef teilnehmen.

Man vermute organisierte Brandstiftung, so Petsas. Der Sprecher bestätigte außerdem, dass Migranten versucht hätten, die Feuerwehr an den Löscharbeiten zu hindern. Verletzte oder gar Tote gab es Stand Mittwochfrüh nicht, wie griechische Medien übereinstimmend berichteten. Athen hat zusätzliche Bereitschaftspolizisten zur Insel entsandt.

Ausgebranntes Flüchtlingslager
AP/Panagiotis Balaskas
Das ausgebrannte Lager in den Morgenstunden

Zwischen Angst und Jubel

Nach Angaben der Feuerwehr waren mehrere Brände innerhalb des Lagers wie auch in der Umgebung ausgebrochen. Auch nach Angaben eines Fotografen der Nachrichtenagentur AFP brannte fast das gesamte Lager. Der Fotograf berichtete in der Nacht, auch ein außerhalb des Hauptlagers liegender Olivenhain mit Zeltunterkünften für Flüchtlinge brenne. Asylwerber flüchteten laut den Angaben zu Fuß in die Wälder oder in Richtung des Hafens der Inselhauptstadt Mytilini. Dabei seien sie jedoch von Polizeiwagen gestoppt worden.

Brennende Zelte
AP/Panagiotis Balaskas
Winde fachten laut Feuerwehr die Brände weiter an

Die Flüchtlingshilfsorganisation Stand by Me Lesvos schrieb auf Twitter: „Alles brennt, die Menschen fliehen.“ Augenzeugen berichteten der Organisation zufolge, dass Einwohner flüchtende Asylwerber daran gehindert hätten, ein nahe gelegenes Dorf zu betreten. In dem Lager lebten mehr als 12.000 Menschen.

Nach Ausbruch des Feuers hätten Lagerbewohner die Feuerwehrleute mit Steinen beworfen und versucht, sie an den Löscharbeiten zu hindern, berichtete der Einsatzleiter im Fernsehen. Sondereinheiten der Bereitschaftspolizei waren im Einsatz. Videos in Sozialen Netzwerken zeigten herumirrende, verängstigte Menschen und auch solche, die „Bye bye, Moria“ sangen.

Nach CoV-Fall unter Quarantäne

Vorangegangen waren Unruhen unter den Migranten und Flüchtlingen, weil das Lager seit voriger Woche nach einem ersten Coronavirus-Fall unter Quarantäne gestellt worden war. Am Dienstag wurde dann bekannt, dass die Zahl der Infizierten bei 35 liege. Manche Geflüchteten hätten daraufhin das Lager verlassen wollen, um sich nicht mit dem Virus anzustecken, berichtete die halbstaatliche griechische Nachrichtenagentur ANA-MPA.

Flüchtlinge versammeln sich vor dem brennenden Flüchtlingslager
APA/AFP/Manolis Lagutaris
Menschen flüchteten vor den Flammen

Einige Infizierte und ihre Kontaktpersonen, die isoliert werden sollten, hätten sich hingegen geweigert, das Lager zu verlassen und in Isolation gebracht zu werden. Ob die Brände von Migranten oder Inselbewohnern gelegt wurden, ist unklar – die Angaben dazu gingen auseinander.

Bürgermeister: Situation explodiert

Spannungen habe es in Moria immer gegeben, wegen der Coronavirus-Problematik sei die Situation nun „explodiert“, sagte Mytilinis Bürgermeister Stratos Kytelis dem griechischen Rundfunk ERT. Man wisse nicht, wo die Menschen nun untergebracht werden sollten, Tausende seien obdachlos. Auch für die Einheimischen sei die Situation eine enorme Belastung.

Feuer wütet im Flüchtlingslager Moria
APA/AFP/Manolis Lagutaris
Das Feuer war von weitem zu sehen

Das Flüchtlingslager Moria ist seit Jahren heillos überfüllt, zuletzt lebten dort nach Angaben des griechischen Migrationsministeriums rund 12.600 Flüchtlinge und Migranten – bei einer Kapazität von 2.800 Plätzen.

400 unbegleitete Minderjährige dürfen aufs Festland

Die EU-Kommission bot am Mittwoch Unterstützung an. Sie habe die Finanzierung der sofortigen Verlegung und Unterbringung der 400 noch verbliebenen unbegleiteten Minderjährigen auf das griechische Festland genehmigt, teilte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson am Mittwoch via Twitter mit. Sie sei nach dem Brand in Kontakt mit den griechischen Behörden. „Die Sicherheit und Unterbringung aller Menschen in Moria hat Priorität.“

In Griechenland gab es Anfang des Jahres rund 5.000 unbegleitete und teils kranke Kinder in Flüchtlingslagern. Die EU startete darauf ein Programm, um ihre Versorgung in Griechenland zu verbessern und einen Teil von ihnen in andere Mitgliedsstaaten zu bringen. Zehn EU-Länder verpflichteten sich daraufhin zur Aufnahme von über 2.000 Kindern und Jugendlichen. Nach Angaben der EU-Kommission vom Mittwoch wurden bisher gut 640 Menschen durch sieben EU-Länder aufgenommen. Darunter sind neben Kindern und Jugendlichen auch erwachsene Familienangehörige kranker Kinder.

Norwegen nimmt 50 Personen auf

Der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) forderte schnelle Unterstützung für Griechenland. „Dazu gehört auch die Verteilung von Geflüchteten unter Aufnahmewilligen in der EU“, schrieb der Minister am Mittwoch auf Twitter. Er bezeichnete das Feuer als „eine humanitäre Katastrophe“. Mit der EU-Kommission und anderen hilfsbereiten EU-Mitgliedsstaaten müsse Deutschland schnellstens klären, wie Griechenland unterstützt werden könne.

Die norwegische Regierung beschloss am Mittwoch, 50 Personen aus dem Lager nach Norwegen zu holen, vorzugsweise Familien mit Kindern. Ministerpräsidentin Erna Solberg sagte, die Entscheidung sei gefallen, als man in der Früh die Bilder von dem Feuer gesehen habe.

Die Regierungsparteien in Norwegen hatten bereits im Mai entschieden, 50 Asylwerber aus dem Lager auf der Insel Lesbos zu holen – vorausgesetzt, acht bis zehn andere Länder tun dasselbe. Angesichts des Brandes wolle man nun nicht länger warten, sagte Solberg: „In der Situation und dem Chaos, das jetzt herrscht, müssen wir einfach in Gang kommen.“

ÖVP weiter gegen Aufnahme von Flüchtlingen

Die ÖVP bleibt auch nach dem Brand in Moria bei ihrer Linie und lehnt die Aufnahme von Migranten aus Griechenland strikt ab. Österreich wolle aber Griechenland an Ort und Stelle mit allen Mitteln unterstützen, so Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) und ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg vor dem Ministerrat am Mittwoch.

Die Position Österreichs decke sich auch mit jener der griechischen Regierung. Diese habe keine Aufnahme von Migranten verlangt und erwarte das auch nicht, sagten Nehammer und Schallenberg. Sie seien vielmehr besorgt, dass Europa die falschen Signale sende. „Jede Bewegung weg von den Inseln wird von der Türkei und den Schleppern ausgenutzt“, so Nehammer. „Wir werden Hilfe vor Ort leisten und eine Million aus dem Auslandskatastrophenfonds zur Verfügung stellen“, so Schallenberg.

Grüne: Position klar

Ganz anders die Äußerung der grünen Umweltministerin Leonore Gewessler: „Die Bilder aus Moria machen tief betroffen“, so Gewessler am Rande des Ministerrats. Es sei „ein Gebot der Menschlichkeit“, dass es nun rasch Unterstützung der EU gebe und das Lager evakuiert werde. Die Position der Grünen sei klar, und man führe auch entsprechende Gespräche, antwortete Gewessler auf die Frage, ob Österreich Flüchtlinge aus Griechenland aufnehmen soll.

Deutlicher äußerte sich der grüne Europaabgeordnete Thomas Waitz. „Österreich muss jetzt flüchtende Bewohner und Bewohnerinnen aus Moria aufnehmen, die nach dem Brand wieder vor dem Nichts stehen. Die ÖVP sollte ihre Blockade aufgeben, statt sich täglich mehr der FPÖ anzunähern“, so Waitz in einer Aussendung Richtung Koalitionspartner.

NEOS kritisiert ÖVP und Grüne

Der NEOS-Abgeordnete Helmut Brandstätter sprach sich dafür aus, dass Österreich „schnellstmöglich“ kranke Kinder aus griechischen Flüchtlingslagern aufnimmt. „Das Einzige, woran die Aufnahme der Flüchtlinge scheitert, ist die österreichische Bundesregierung. ÖVP und auch die Grünen bringen das nicht zustande. Das ist einer ehemals christlich-sozialen Partei und der ehemaligen Menschenrechtspartei nicht würdig und eine Schande für Österreich“, so Brandstätter.

Der Forderung nach der Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria schloss sich auch Caritas-Generalsekretär Klaus Schwertner an. Auch der evangelisch-lutherische Bischof Michael Chalupka forderte ein „Umdenken“ der türkis-grünen Bundesregierung. Österreich solle Verantwortung übernehmen und sich „am Konzert der europäischen Staaten, die eine Tradition der Hilfsbereitschaft haben“, beteiligen. Ähnlich äußerte sich auch der Präsident der SPÖ-nahen Volkshilfe, Ewald Sacher. Volkshilfe-Direktor Erich Fenninger sagte, es sei spätestens jetzt an der Zeit, zumindest unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, Familien und andere verletzliche Gruppen aufzunehmen.