Frau mit Gepäck zwischen abgebrannten Trümmern
Reuters/Elias Marcou
Lager Moria abgebrannt

Suche nach Quartier für Flüchtlinge

Nachdem das berüchtigte griechische Flüchtlingslager Moria auf der Insel Lesbos abgebrannt ist, herrscht über die Zukunft der Tausenden nun obdachlosen Menschen aus dem Lager Ungewissheit. Das UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) warnte nach dem Brand vor Konflikten zwischen Flüchtlingen und Bewohnern der Insel. Eine vorübergehende Lösung zur Unterbringung der mehr als 12.000 zuvor im Lager untergebrachten Menschen sei in Arbeit, teilte die UNO-Organisation am Mittwoch in Genf mit.

Die ehemaligen Bewohner von Moria seien daher gebeten, in der Nähe zu bleiben. Man rufe alle Beteiligten zur Zurückhaltung auf, nachdem es Berichte über Spannungen zwischen Einwohnern umliegender Dörfer und Migranten auf dem Weg in die Inselhauptstadt Mytilini gegeben habe, so das UNHCR. Mytilinis Bürgermeister Stratos Kytelis sagte dem griechischen Rundfunk ERT, man wisse nicht, wo die Menschen nun untergebracht werden sollten, Tausende seien obdachlos. Auch für die Einheimischen sei die Situation eine enorme Belastung.

Das UNHCR bot den griechischen Behörden Hilfe an und aktivierte seine Mitarbeiter an Ort und Stelle, wie es mitteilte. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen hatte in der Vergangenheit immer wieder vor der humanitären Lage in den überfüllten Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln Lesbos, Chios, Samos, Kos und Leros gewarnt. Moria galt als heillos überfüllt: Die Kapazität war für 2.800 Menschen ausgelegt.

Menschen auf der Straße neben dem abgebrannten Flüchtlingslager
APA/AFP/Angelos Tzortzinis
Der Großbrand verwüstete das Lager

Regierung: Brand während Protesten ausgebrochen

Bei dem Großbrand kamen nach Angaben der Regierung in Athen keine Menschen ums Leben. Gut 400 unbegleitete Minderjährige seien in Sicherheit gebracht worden und sollen bald zum Festland gebracht werden, teilte der stellvertretende Migrationsminister Giorgos Koumoutsakos am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Athen mit. Der Brand sei am späten Dienstagabend während Protesten von Migranten ausgebrochen, die nicht in die Isolation gehen wollten, nachdem sie positiv auf das Coronavirus getestet worden waren, hieß es.

Frau mit zwei Kindern geht neben dem abgebrannten Flüchtlingslager
Reuters/Alkis Konstantinidis
Eine Frau geht mit ihren Kinder durch das verwüstete Lager

Wie viele Menschen durch das Feuer obdachlos wurden, soll nach einer Inspektion bekanntgegeben werden, die bereits begonnen hat, teilte Koumoutsakos weiter mit. Das Zentrum der Asylbehörde im Lager sei zerstört worden. Die Archive seien verloren gegangen, hieß es weiter.

Flüchtlinge versammeln sich vor dem brennenden Flüchtlingslager
APA/AFP/Manolis Lagutaris
Menschen flüchteten vor den Flammen

Maas löst neue Debatte aus

Der deutsche Außenminister Heiko Maas forderte am Mittwoch eine Verteilung der Menschen aus dem Lager in der EU und löste damit eine neue Debatte über die Verteilung von Flüchtlingen aus. Maas forderte nach dem Großbrand schnelle Unterstützung für Griechenland. „Dazu gehört auch die Verteilung von Geflüchteten unter Aufnahmewilligen in der EU“, schrieb der Minister am Mittwoch auf Twitter. Er bezeichnete das Feuer als „eine humanitäre Katastrophe“. Mit der EU-Kommission und anderen hilfsbereiten EU-Mitgliedsstaaten müsse Deutschland schnellstens klären, wie Griechenland unterstützt werden könne. Auch Frankreich sagte Unterstützung zu.

Die norwegische Regierung beschloss am Mittwoch, 50 Personen aus dem Lager nach Norwegen zu holen, vorzugsweise Familien mit Kindern. Ministerpräsidentin Erna Solberg sagte, die Entscheidung sei gefallen, als man in der Früh die Bilder von dem Feuer gesehen habe.

Die Regierungsparteien in dem Nicht-EU-Land Norwegen hatten bereits im Mai entschieden, 50 Asylwerber aus dem Lager auf der Insel Lesbos zu holen – vorausgesetzt, acht bis zehn andere Länder tun dasselbe. Angesichts des Brandes wolle man nun nicht länger warten, sagte Solberg: „In der Situation und dem Chaos, das jetzt herrscht, müssen wir einfach in Gang kommen.“

Feuer wütet im Flüchtlingslager Moria
APA/AFP/Manolis Lagutaris
Das Feuer war von weitem zu sehen

ÖVP weiter gegen Aufnahme von Flüchtlingen

Die ÖVP bleibt auch nach dem Brand in Moria bei ihrer Linie und lehnt die Aufnahme von Migranten aus Griechenland strikt ab. Österreich wolle aber Griechenland an Ort und Stelle mit allen Mitteln unterstützen, so Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) und ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg vor dem Ministerrat am Mittwoch.

Die Position Österreichs decke sich auch mit jener der griechischen Regierung. Diese habe keine Aufnahme von Migranten verlangt und erwarte das auch nicht, sagten Nehammer und Schallenberg. Sie seien vielmehr besorgt, dass Europa die falschen Signale sende. „Jede Bewegung weg von den Inseln wird von der Türkei und den Schleppern ausgenutzt“, so Nehammer. „Wir werden Hilfe vor Ort leisten und eine Million aus dem Auslandskatastrophenfonds zur Verfügung stellen“, so Schallenberg.

Feuer verwüstet Flüchtlingslager Moria

Auf der griechischen Insel Lesbos ist das Flüchtlingslager Moria nach dem Ausbruch mehrerer Brände in der Nacht auf Mittwoch fast vollständig ausgebrannt.

Grüne: Position klar

Ganz anders die Äußerung der grünen Umweltministerin Leonore Gewessler: „Die Bilder aus Moria machen tief betroffen“, so Gewessler am Rande des Ministerrats. Es sei „ein Gebot der Menschlichkeit“, dass es nun rasch Unterstützung der EU gebe und das Lager evakuiert werde. Die Position der Grünen sei klar, und man führe auch entsprechende Gespräche, antwortete Gewessler auf die Frage, ob Österreich Flüchtlinge aus Griechenland aufnehmen soll.

Deutlicher äußerte sich der grüne Europaabgeordnete Thomas Waitz. „Österreich muss jetzt flüchtende Bewohner und Bewohnerinnen aus Moria aufnehmen, die nach dem Brand wieder vor dem Nichts stehen. Die ÖVP sollte ihre Blockade aufgeben, statt sich täglich mehr der FPÖ anzunähern“, so Waitz in einer Aussendung Richtung Koalitionspartner.

Brennende Zelte
AP/Panagiotis Balaskas
Winde fachten laut Feuerwehr die Brände weiter an

Der NEOS-Abgeordnete Helmut Brandstätter sprach sich dafür aus, dass Österreich „schnellstmöglich“ kranke Kinder aus griechischen Flüchtlingslagern aufnimmt. „Das Einzige, woran die Aufnahme der Flüchtlinge scheitert, ist die österreichische Bundesregierung. ÖVP und auch die Grünen bringen das nicht zustande. Das ist einer ehemals christlich-sozialen Partei und der ehemaligen Menschenrechtspartei nicht würdig und eine Schande für Österreich“, so Brandstätter.

NGOs appellieren an Regierung

Die österreichischen Niederlassungen von Ärzte ohne Grenzen (MSF), Caritas und Rotes Kreuz richteten einen „dringenden“ Appell an die Bundesregierung. Kinder, Kranke und besonders Schutzbedürftige müssten sofort evakuiert werden, forderten die NGOs. „Wir haben wiederholt auf die furchtbare Situation auf den griechischen Inseln hingewiesen. Letzte Nacht ist das Pulverfass explodiert“, so Margaretha Maleh, Präsidentin von MSF Österreich. Hilfsteams an Ort und Stelle würden von einer „brennenden Hölle“ berichten. „Diese Katastrophe ist die logische Konsequenz der unmenschlichen Abschottungspolitik Europas. In Moria wurden und werden Menschenrechte mit Füßen getreten. Was es endlich dringend braucht, ist gelebte Solidarität“, forderte Maleh.

Die Geflüchteten, einige von ihnen sind bereits seit Jahren auf Lesbos, müssten in „Länder aufgenommen werden, in denen sie gesundheitlich versorgt werden“, so der Präsident des Österreichischen Roten Kreuzes, Gerald Schöpfer. Die „dramatischen Bilder aus Griechenland – aus Europa“ – zeigten „zum wiederholten Mal die prekäre Lage der Menschen auf den griechischen Inseln“, erinnerte Andreas Knapp, Generalsekretär für internationale Programme der Caritas Österreich. Er forderte eine „gemeinsame europäische Lösung und Solidarität mit den Menschen, die seit Jahren in menschenunwürdigen Zuständen leben müssen“.

„Können nicht länger zusehen“

„Wir können nicht länger zusehen“, so MSF, Caritas und das Rote Kreuz. Auch Österreich müsse einen Beitrag leisten und sich an der Evakuierung von Geflüchteten aus Moria beteiligen. „Was wir jetzt brauchen ist ein Korridor der Menschlichkeit“, hieß es in einer gemeinsamen Aussendung. „Absolut vorhersehbar“ war die Brandkatastrophe in Moria auch nach Ansicht der Gemeinschaft Sant’ Egidio.

Bereits im Winter habe „über dem Lager das Gespenst eines solchen Brandes geschwebt“, sagte die Sant’-Egidio-Mitarbeiterin Monica Attias zu Kathpress. Auch die Coronavirus-Fälle seien „eine Tragödie mit Ansage“ gewesen. Es sei in den Lagern „unmöglich, Abstandsregeln einzuhalten“; zudem fehle es an Masken. Ein solches Lager komplett unter Quarantäne zu stellen, bedeute aber, Zehntausende Menschen, denen es bereits an vielem fehle, komplett gefangenzuhalten, kritisierte Attias.

Evakuierungen bereits in der Nacht

Das Flüchtlingslager Moria war nach dem Ausbruch mehrerer Brände in der Nacht auf Mittwoch fast vollständig ausgebrannt. Das Feuer wütete angefacht von Winden mit bis zu 70 Stundenkilometern. Nach Regierungsangaben ist der Großbrand seit dem frühen Mittwochmorgen weitgehend unter Kontrolle. Schon in der Nacht begannen die Behörden laut griechischen Medienberichten mit der Evakuierung des Lagers, nachdem Wohncontainer Feuer gefangen hatten.

Man vermute organisierte Brandstiftung, so Regierungssprecher Stelios Petsas. Der Sprecher bestätigte außerdem, dass Migranten versucht hätten, die Feuerwehr an den Löscharbeiten zu hindern. Nach Angaben der Feuerwehr waren mehrere Brände innerhalb des Lagers wie auch in der Umgebung ausgebrochen. Ein Fotograf der Nachrichtenagentur AFP berichtete in der Nacht, auch ein außerhalb des Hauptlagers liegender Olivenhain mit Zeltunterkünften für Flüchtlinge brenne.

Asylwerber flüchteten laut den Angaben zu Fuß in die Wälder oder in Richtung des Hafens von Mytilini. Dabei seien sie jedoch von Polizeiwagen gestoppt worden. Die Flüchtlingshilfsorganisation Stand by Me Lesvos schrieb auf Twitter: „Alles brennt, die Menschen fliehen.“ Augenzeugen berichteten der Organisation zufolge, dass Einwohner flüchtende Asylwerber daran gehindert hätten, ein nahe gelegenes Dorf zu betreten.