Bewohner des Lager flüchten vor einem erneuten Feuer
AP/Petros Giannakouris
Flüchtlingslager Moria

Neues Feuer ausgebrochen

Im durch eine Brandkatastrophe großteils zerstörten Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos ist am Mittwochabend ein neues Feuer ausgebrochen. Erneut kam es zu Chaos: Flüchtlinge rannten aus dem Lager, während ihre Zelte verbrannten. Der Migrationsforscher Gerald Knaus sprach von einem „Guantanamo für Flüchtlinge“.

Die Flammen loderten in der Nacht auf Donnerstag laut einem AFP-Fotografen in einem Teil des Lagers, das von der vorangegangen Brandkatastrophe nur wenig betroffen war. Schon in der Nacht davor waren in Griechenlands größtem Flüchtlingslager mehrere Feuer nahezu zeitgleich ausgebrochen. Die Einrichtung, in der zu diesem Zeitpunkt rund 12.700 Menschen untergebracht waren, wurde großteils zerstört. Am Mittwochabend waren nach neuen Angaben der Behörden noch immer mindestens 3.500 Flüchtlinge obdachlos.

Für die Obdachlosen werde fieberhaft nach Unterkünften gesucht, sagte Migrationsminister Notis Mitarachi. Die ersten Maßnahmen zur Unterbringung liefen bereits an. 165 unbegleitete Minderjährige wurden an Bord eines Flugzeugs von Lesbos zur griechischen Hafenstadt Thessaloniki gebracht. Weitere 240 Minderjährige sollten noch am Donnerstag folgen, berichtete der Rundfunk ERT. Tausende Menschen verbrachten die Nacht auf den Straßen rund um das Lager. Die Polizei stoppte unter Einsatz von Tränengas einige Jugendliche, die versuchten, in die Hauptstadt der Insel zu kommen, wie das griechische Fernsehen berichtete. Zuvor hatten einige Migranten die Polizei mit Steinen angegriffen.

Bewohner des Lager flüchten vor einem erneuten Feuer
Reuters/Alkis Konstantinidis
Menschen, die vergangene Nacht noch nicht geflohen sind, verlassen das Lager

Zur Ursache der Brandkatastrophe hatte Mitarachi zuvor gesagt: „Die Feuer brachen aus, als die Asylwerber gegen die verhängte Quarantäne protestierten.“ Der Minister ließ allerdings offen, ob es sich um bewusste Brandstiftung handelte. Wenige Stunden vor dem Ausbruch der Brände hatte das Migrationsministerium in Athen mitgeteilt, dass 35 Personen im Lager positiv auf das Coronavirus getestet worden seien.

Knaus: „Bestangekündigte Katastrophe“

Migrationsforscher Knaus bezeichnete die Brandkatastrophe als „bestangekündigte Katastrophe“ in Europa. Es sei „klar“ gewesen, dass der „Druck“ der Quarantäne „über kurz oder lang zu einen Ausbruch dieser Art führen würde“, sagte er am späten Mittwochabend gegenüber der ZIB Nacht. Knaus schlug als unmittelbare Notmaßnahme den europäischen Ländern vor, bereits anerkannte Flüchtlinge vom griechischen Festland aufzunehmen, um deren Wohnungen für die Tausenden obdachlos gewordenen Menschen aus Moria frei zu machen. Falls Deutschland und einige andere Länder je rund 5.000 Menschen aufnehmen würden, wäre das „ein Signal an Griechenland: Griechenland ist nicht allein.“ Dann könne Athen „sofort anfangen, Menschen unterzubringen“.

Der in Berlin lebende österreichische Migrationsforscher kritisierte die politische Einstellung, wonach „Männer, Frauen und Kinder (in den Flüchtlingslagern, Anm.) auf alle Ewigkeit festgehalten werden müssen“, um eine Erhöhung des Flüchtlingszustroms – einen „Pull-Effekt“ – zu vermeiden. „Das ist, zynisch gesprochen, ein Guantanamo für Flüchtlinge, sie werden da festgehalten auf unbestimmte Zeit“, sagte er in Anspielung auf das US-Gefangenenlager auf Kuba.

Demo in Wien

In Wien fanden sich am Mittwochabend unter dem Motto „Wir haben Platz“ rund 300 bis 350 Menschen in Wien zusammen, um gegen die europäische Flüchtlingspolitik zu protestieren. Gleichzeitig nahmen sie die türkis-grüne Bundesregierung in die Pflicht.

Der Aufruf zur spontanen Demonstration stammte von den Kollektiven „Cross Border Solidarity Wien“ und „Migrantifa Wien“, zwei erst kürzlich gegründete Initiativen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Sie fordern eine sofortige Evakuierung der Betroffenen in Moria und vollständige Reisefreiheit für die Geflüchteten. „(Lasst) die Leute dorthin reisen, wo sie für sich eine Perspektive sehen! Auch nach Österreich, wenn die Leute dorthin wollen!“, skandierten die Demonstrierenden.

Migranten schlafen nach dem Feuer neben einer Straße
Reuters/Alkis Konstantinidis
Tausende Männer, Frauen und Kinder sind obdachlos und müssen auf der Straße schlafen

Auf Transparenten und Schildern war in Anspielung auf die Abschottungspolitik der EU unter anderem zu lesen „This fire was set by Europe“ („Diesen Brand hat Europa gelegt“) sowie „Entmenschlichung und Mord, das ist europäische Tradition“. Lautstark wurden außerdem fortwährend Parolen wie „Europe, Frontex and police – stop killing refugees“ („Europa, Frontex und Polizei – hört auf, Flüchtlinge zu ermorden“), „Say it loud, say it clear, refugees are welcome here“ („Sagt es laut und sagt es klar, Flüchtlinge sind willkommen hier“) und „Kein Mensch ist illegal, Bleiberecht überall“ skandiert. Das Polizeiaufgebot war gering, Zwischenfälle gab es keine. Für Freitag ist erneut eine Demonstration in der Wiener Innenstadt geplant.

In Deutschland demonstrierten am Abend sogar Tausende Menschen. Die größte Demo fand in Berlin statt, wo rund 10.000 Menschen auf die Straße gingen, wie die Organisation Seebrücke der Nachrichtenagentur AFP mitteilte. Weitere Proteste gab es etwa in Köln und Hamburg.

Schallenberg: „Zelte und Decken“

ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg verteidigte am Abend in der ZIB2 auch weiterhin die Haltung der türkis-grünen Bundesregierung, keine Hilfe suchenden Menschen aus Moria in Österreich aufzunehmen. Österreich biete aber „Hilfe vor Ort“, sagte er, etwa bei „Bedarf an Zelten und Decken“.

ÖVP-Außenminister Schallenberg über den Brand im Lager Moria

Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg spricht über die Folgen des Brandes im Flüchtlingslager im Lager auf Lesbos. Österreich wolle keine Menschen von dort aufnehmen.

„Das Geschrei nach Verteilung kann nicht die Lösung sein“, so Schallenberg. Die EU dürfe nicht in die „alte Debatte“ zurückfallen und über die Verteilung von Flüchtlingen reden. Zumal bei seinen Gesprächen mit griechischen Regierungsvertretern diese auch nicht gefordert worden sei. Er habe zudem aus dem Auslandskatastrophenfonds eine Million Euro an Hilfe angeboten.

„Das ist eine Frage des Hausverstands“

Mit der Diskussion über die Aufnahme von Flüchtlingen unterstütze man nur das Geschäft der Schlepper, argumentierte Schallenberg. „Wenn wir das Lager Moria räumen, ist es gleich wieder gefüllt“, sagte er. Sende man Signale aus, dass es eine Hoffnung gebe, nach Europa zu gelangen, würden bald wieder Tausende Flüchtlinge an den Grenzen stehen. Etwa in Spielfeld. „Das würde eine Kettenreaktion auslösen, und wir wären nicht mehr Herr der Lage.“ Die Frage, ob diese Haltung in der Migrationspolitik nicht zynisch sei, wies Schallenberg zurück. „Das ist eine Frage des Hausverstands.“

Demonstration in Berlin
APA/AFP/John Macdougall
Auch in Deutschland gab es Proteste mit der Forderung, Menschen aus Moria aufzunehmen

Von dem Umstand, dass selbst konservative Politikerinnen und Politiker in Deutschland und in Norwegen für die Aufnahme von Teilen der rund 13.000 Flüchtlinge aus Moria eintreten, zeigte sich Schallenberg wenig beeindruckt: „Das ist eine Minderheitenmeinung.“ Die EU-Kommission müsse nun ein Gesamtkonzept vorlegen, so der Außenminister. Leider gebe es bisher innerhalb der Europäischen Union „keine einheitliche Politik im Bereich Asyl und Migration“. Diesbezüglich gebe es Verbesserungsbedarf, auch in den Bereichen „Handelspolitik und Entwicklungszusammenarbeit“.

Neues Feuer in Moria ausgebrochen

In Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos ist erneut ein Feuer ausgebrochen.

Grüne: Position klar

Ganz anders die Äußerung der grünen Umweltministerin Leonore Gewessler zuvor: „Die Bilder aus Moria machen tief betroffen“, so Gewessler am Rande des Ministerrats. Es sei „ein Gebot der Menschlichkeit“, dass es nun rasch Unterstützung der EU gebe und das Lager evakuiert werde. Die Position der Grünen sei klar, und man führe auch entsprechende Gespräche, antwortete Gewessler auf die Frage, ob Österreich Flüchtlinge aus Griechenland aufnehmen soll.

Moria gilt als Negativbeispiel der europäischen Flüchtlingspolitik und als größtes Flüchtlingslager in der EU. Eigentlich bot Moria nur Platz für rund 2.800 Menschen, war jedoch mit einem Vielfachen davon heillos überfüllt. In den vergangenen Jahren war es immer wieder zu Unruhen und Bränden gekommen.