Östlicher Flachlandgorilla
AP/CTK/Zaruba Ondrej
Seit 1970

Starker Schwund bei vielen Tierbeständen

Die Entwicklung vieler Wirbeltierbestände ist düster: Die global untersuchten Populationen von Säugetieren, Vögeln, Amphibien, Reptilien und Fischen seien im Schnitt um über zwei Drittel eingebrochen, heißt es im „Living Planet Report“ der Umweltorganisation WWF. „Wir erleben einen beispiellosen Niedergang der Natur“, so die Studienautorinnen und -autoren.

Konkret sind die untersuchten Bestände wildlebender Arten seit 1970 um durchschnittlich 68 Prozent gesunken. Damit habe sich der Rückgang seit dem ersten „Living Planet Report“ mehr als verdoppelt – im Zeitraum von 1970 bis 1995 lag er im Schnitt noch bei 30 Prozent. Die Umweltorganisation stellt als Haupttreiber Flächenfraß, Übernutzung, Entwaldung und illegalen Handel fest und plädiert in einer Aussendung am Donnerstag dafür, einen grundlegenden Systemwechsel einzuleiten, um diese Entwicklung zu stoppen.

Bis zu ein Fünftel der wildlebenden Arten müssten in diesem Jahrhundert allein wegen der Erderwärmung „um ihr Leben bangen“, so die Autoren. „Wäre der ‚Living Planet‘-Index an der Börse, würde die größte Panik aller Zeiten ausbrechen“, folgerte Georg Scattolin, Leiter des internationalen Programms bei WWF Österreich. Eine Wende sei möglich, erfordere aber einen globalen Naturschutzpakt nach dem Vorbild des Pariser Klimavertrags. Auch eine Ernährungswende solle eingeleitet werden, heißt es vom WWF.

Abholzung des Regenwalds im Amazonasgebiet
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Die Abholzung von Wäldern und Regenwäldern ist ein wesentlicher Faktor für den Schwund der Tierbestände

Auch Gefahr neuer Pandemien erhöht

Der „Living Planet“-Index beruht auf Daten von 4.392 Arten und 20.811 Wirbeltierpopulationen. Die prozentuale Veränderung spiegelt die durchschnittliche proportionale Veränderung der Größe der Bestände über einen längeren Zeitraum wider – nicht die Anzahl der verlorenen Einzeltiere. In den am stärksten betroffenen Süßwasserlebensräumen haben die untersuchten Bestände sogar einen Verlust von durchschnittlich 84 Prozent erlitten.

Der Bericht

Der WWF-Bericht wird seit 1998 veröffentlicht, seit 2000 erscheint er alle zwei Jahre. Die aktuelle 13. Ausgabe wurde gemeinsam mit der Zoological Society of London erstellt.

Insgesamt falle das Barometer des „Living Planet“-Berichts in seiner 13. Auflage auf einen neuen Tiefstand. „Unsere Natur wird rücksichtslos ausgebeutet und zerstört, obwohl sie absolut systemrelevant ist“, warnte Scattolin – und diese Zerstörung erhöhe auch die Wahrscheinlichkeiten für neue Pandemien.

Afrikanischer Graupapagei fast ausgerottet

Vor allem der Amazonas werde rücksichtslos abgeholzt, und daher sanken untersuchte Wildtierbestände in Süd- und Zentralamerika noch stärker als anderswo, erläuterte der Artenschutzexperte. Zu den besonders gefährdeten Tieren gehöre der Östliche Flachlandgorilla in der Demokratischen Republik Kongo – seit 1994 wurde ein Rückgang um 87 Prozent verzeichnet, vor allem aufgrund illegaler Jagd.

Afrikanischer Graupapagei
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Der Afrikanische Graupapagei im Südwesten Ghanas verzeichnet ein Minus von 99 Prozent seit 1992

Aufgrund der Elfenbeinwilderei seien auch die Bestände des Afrikanischen Elefanten im Selous-Mikoumi-Gebiet in Tansania um 86 Prozent eingebrochen. Die Bestände der Lederschildkröten sollen seit 1995 um 84 Prozent gesunken sein. Der Afrikanische Graupapagei im Südwesten Ghanas verzeichnet ein Minus von 99 Prozent seit 1992 – und ist damit fast ausgerottet.

Gewässer und Feuchtgebiete besonders betroffen

Gewässer und Feuchtgebiete sind laut WWF am stärksten betroffen. „Die meisten Rückgänge sind bei Süßwasseramphbien, Reptilien und Fischen zu beobachten – und zwar in allen Regionen der Erde und insbesondere in Lateinamerika und der Karibik“, heißt es im Bericht. Die Population des Störs im Jangtse in China aufgrund von Dammbauten für Wasserkraftwerke sei um 97 Prozent zurückgegangen. Derselbe Grund war vor Jahren maßgeblich für die Ausrottung des Chinesischen Flussdelfins verantwortlich.

Buckelwalbestände nahmen zu

Der „Living Planet Report“ bietet jedoch auch Positives: Die Bestände der Buckelwale im westlichen Südatlantik, die 1958 nur noch 450 Tiere aufwiesen, vergrößerten sich auf geschätzte 25.000 Individuen dank des Walfangmoratoriums. Auch eine Verdoppelung der Singschwäne in Großbritannien konnte laut WWF wegen der Schutzmaßnahmen verzeichnet werden.

Buckelwal
APA/AFP/Miguel Medina
Auch eine positive Nachricht gibt es: Dank des Walfangmoratoriums vergrößerte sich der Bestand der Buckelwale

Was Österreich betrifft, so wurde hier der Flächenfraß kritisiert: WWF-Bodenschutzsprecherin Maria Schachinger hob die Lage der Flüsse hervor, die wegen des Ausbaus der Wasserkraft leiden: Nur noch 15 Prozent der Flüsse seien ökologisch intakt. „Daher braucht es auch hier einen Systemwechsel“, forderte Schachinger.

„Im Schatten des Klimawandels übersehen wir den dramatischen Artenschwund unserer Lebensgrundlagen“, kommentiert Nationalratsabgeordnete Astrid Rössler (Grüne) den Bericht. „Damit liefert der WWF einen weiteren erschreckenden Beleg dafür, welchen Raubbau wir an der Natur betreiben.“