Migraten nächtigen am Straßenrand
Reuters/Alkis Konstantinidis
Moria

NGOs begrüßen Hilfen, fordern Aufnahmen

Österreichs Hilfsorganisationen haben die von der Bundesregierung angekündigte Hilfe für Griechenland und die deutliche Erhöhung des Auslandskatastrophenfonds begrüßt. Gleichzeitig forderten sie die Regierung aber weiter auf, Geflüchtete aus dem abgebrannten Lager in Moria auf Lesbos in Österreich aufzunehmen. Innerhalb der Koalition gibt es dazu weiter Uneinigkeit, wie sich am Sonntag gleich mehrfach zeigte.

Die Aufstockung des Auslandskatastrophenfonds (AKF) sei „grundsätzlich positiv“, sagte ein Sprecher des Roten Kreuzes gegenüber der APA am Sonntag. „Das ist auch eine langjährige Forderung. Das ändert jedoch nichts an unserer Forderung, Flüchtlinge aus Griechenland in Österreich aufzunehmen.“

Die Aufstockung sei „ein wichtiger erster Schritt“, so auch Caritas-Chef Michael Landau Samstagabend auf Twitter. Er dankte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) auch dafür, dass Österreich Flüchtlingsunterkünfte, Hygienepakete sowie medizinisches Personal zur Verfügung stellt und den Auslandskatastrophenhilfsfonds auf 50 Mio. Euro erhöht.

"So sind wir nicht!“

Neben der wichtigen Hilfe in Griechenland sollte, so Landau, „in einem nächsten Schritt auch Hilfe in all jenen Orten in Österreich ermöglicht werden, die sich bereiterklärt haben, Kinder und Familien aus Moria bei sich aufzunehmen“. Österreich sei nicht „so klein und hartherzig, wie es sich derzeit von offizieller Seite darstellt. So sind wir nicht!“, sagte Landau, bezugnehmend auf mehrere Gemeinden in Österreich, die zuletzt Bereitschaft signalisiert hatten, geflüchtete Familien bei sich aufzunehmen.

Migratin und Militäfahrzeuge in Moria
Reuters/Alkis Konstantinidis
Die NGOs fordern weiter die Aufnahme von Menschen aus dem abgebrannten Lager Moria

Die Organisation Ärzte ohne Grenzen zeigte sich zurückhaltend. „Soforthilfe ist jetzt wichtig“, so Marcus Bachmann, Berater für humanitäre Angelegenheiten der Organisation, in einer Stellungnahme: „Aber wir müssen verhindern, dass aus der Asche Morias mit österreichischer Unterstützung das nächste Elendslager entsteht, nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn.“ Die Menschen müssten „sofort evakuiert werden“. Am Samstag sagte Bachmann, die Situation auf Lesbos eskaliere „komplett“.

Zelte sollen bis Mitte der Woche ankommen

Die von der Regierung angekündigten 400 vollausgestatteten Zelte für 2.000 Personen (mit Heizungen, Betten, Decken, etc.) inklusive Hygienepakete sollen am Mittwoch oder Donnerstag auf Lesbos eintreffen. Über die Verteilung der Mittel aus dem Auslandskatastrophenfonds, der bis Ende der Legislaturperiode 60 Millionen Euro fassen soll, werde noch verhandelt, hieß es aus dem Außenministerium. Die Basisförderung für das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) soll vervierfacht werden.

Der griechische Migrationsminister Notis Mitarakis dankte in einem Telefonat Innenminister Karl Nehammer für die Unterstützung. Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) bot den griechischen Behörden Unterstützung im Bereich des medizinischen Personals an. Aktuell werden ein Arzt und zehn Sanitäter für einen Einsatz in Lesbos bereitgehalten.

Kurz verteidigt Nein bei Flüchtlingsaufnahme

Kurz nahm in der ZIB2 am Sonntag zur Lage auf Lesbos Stellung und verteidigte erneut das Nein der Regierung zur Flüchtlingsaufnahme. Wenn man diese Bilder sieht, sei man emotional berührt, so Kurz. Doch das gezeichnete Bild sei falsch, allein in diesem Jahr sei in Österreich 3.700 Kindern Asyl gewährt worden. „Wir sind das Land, das in Europa am drittmeisten betroffen ist“, so Kurz. Bei den Aufnahmen liege Österreich hinter Schweden auf dem zweiten Platz.

Kurz zur Situation in Moria

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) schilderte seine Meinung in Zusammenhang mit dem abgebrannten Flüchtlingslager in Moria.

Hilfe an Ort und Stelle sei der richtige Ansatz, so Kurz einmal mehr. Das sei wesentlich nachhaltiger als die Aufnahme von vier Kindern, wie manche EU-Staaten das machen würden. Die Unterbringung müsse besser werden, so Kurz. Man liefere bereits diese Woche Zelte nach Lesbos, das sei besser, als Ende September Kinder aufzunehmen.

Anschober sieht keine Koalitionskrise

Davor kalmierte Gesundheits- und Sozialminister Rudolf Anschober (Grüne) nach den jüngsten Reibereien in der türkis-grünen Koalition wegen der Aufnahme von Flüchtlingen. Es gebe keine Koalitionskrise, so Anschober am Sonntag in der ORF-„Pressestunde“. Die Lieferung der 400 Unterkünfte und der Ausbau der „Krisenhilfe vor Ort“ seien erste „Teilerfolge“, so Anschober.

Moria: Anschober kalmiert

Angesichts der unterschiedlichen Meinungen betreffend die Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria hat Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) am Sonntag in der ORF-„Pressestunde“ kalmiert. Es gebe keinen Koalitionsstreit, so der Minister.

Der dritte wäre ein notwendiger weiterer Schritt, nämlich die Aufnahme von Kindern. Er sei überzeugt davon, „dass wir auch in diesem Thema Teil der europäischen Solidarität sein und Kinder aufnehmen sollen“, meinte Anschober. Dass man in der Koalition teils „sehr, sehr“ unterschiedliche Positionen habe, das sei in Österreich bekannt. Er orte in der ÖVP aber immer mehr Stimmen, die sich für eine Aufnahme aussprechen, so Anschober.

Es sei „extrem wichtig“, „Hilfe vor Ort“ zum Schwerpunkt zu machen. Denn etwa in Ländern wie dem Libanon sei es nur „eine Frage der Zeit“, dass Flüchtlinge nicht mehr dort leben können und weiterziehen. Wie sich der grüne Parlamentsklub bei einem etwaigen Antrag für eine Aufnahme von Flüchtlingen im Parlament verhalten und ob man womöglich die ÖVP überstimmen werde, konnte Anschober nicht sagen. Der Parlamentsklub werde das beraten, das sei die Entscheidung des Klubs, so der Gesundheitsminister.

Maurer: „Wir beißen hier auf Granit“

Deutlich sind die innerkoalitionären Bruchlinien in der Frage der Flüchtlingsaufnahme auch in der ORF-Sendung „Im Zentrum“ zutage getreten. Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer hielt mit ihrer Kritik am türkisen Regierungspartner nicht hinter dem Berg. Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) verteidigte indes den Ansatz der Hilfe vor Ort.

Die ÖVP habe in dieser Frage die Mitte verloren, so Maurer. Selbstverständlich müsse man dafür sorgen, dass die Situation in Griechenland verbessert wird, was aber nicht dagegen spreche, unbegleitete Minderjährige aufzunehmen. Maurer verwies auf diverse ÖVP-Bürgermeister, die bereit wären, Flüchtlinge aufzunehmen. Kurz blockiere dies aber, so Maurer: „Wir beißen hier auf Granit.“

„Wenn wir dafür stimmen, begehen wir Koalitionsbruch“

Der grüne Parlamentsklub werde aber dennoch nicht mit etwaigen SPÖ- und NEOS-Entschließungsanträgen stimmen, die in der Sondersitzung auf den Weg gebracht werden könnten. Denn diese hätten keine Mehrheit, meinte Maurer. „Wenn wir dafür stimmen, begehen wir Koalitionsbruch.“ Die ÖVP habe aber „unmissverständliche Signale“ gesendet, dass sie dann mit der FPÖ stimmen werde. Und ein von diesen beiden Fraktionen unterstützter Antrag hätte dann eine Mehrheit, der von den Grünen hingegen nicht. Die FPÖ hatte im Vorfeld einen Antrag als „Lackmustest“ für die ÖVP angekündigt.

Edtstadler verteidigte Hilfe vor Ort

Edtstadler wollte nicht bestätigen, dass die ÖVP angedroht habe, mit der FPÖ zu stimmen. Sie sei aber auch nicht Teil des ÖVP-Parlamentsklubs. Sonst verteidigte sie den von der ÖVP forcierten Ansatz der Hilfe vor Ort. Die Bundesregierung leiste Soforthilfe mit Geld und Hilfsgütern, um humanitäre menschliche Bedingungen auf Lesbos herzustellen.

Laut Edtstadler werde in dieser Frage stark emotionalisiert. Gleichzeitig verwies sie darauf, dass Österreich in der Vergangenheit schon sehr viel getan habe. Eine Situation wie 2015 und 2016 dürfe sich aber nicht wiederholen. Auch will sie keine Spaltung in Europa zulassen, in Gute, die jetzt Flüchtlinge aufnehmen, und die anderen.

Lage auf Lesbos weiter angespannt

Unterdessen blieb die Lage auf der griechischen Insel Lesbos auch nach Öffnung erster Ersatzunterkünfte angespannt. Die griechische Regierung schickte am Sonntag weitere Polizeieinheiten sowie gepanzerte Geländefahrzeuge auf die Insel. Mehr als 300 Menschen konnten ein provisorisch errichtetes Zeltlager beziehen. Viele wehren sich verzweifelt dagegen, erneut in ein Lager gebracht zu werden. Unter den mehr als 12.000 Menschen, die seit dem Großbrand am Mittwoch im Flüchtlingslager obdachlos sind, finden sich zahlreiche Familien mit Tausenden Minderjährigen.

Migraten im zerstörten Lager
Reuters/Alkis Konstantinidis
Die Geflüchteten auf Lesbos wollen nicht erneut in ein neues Lager gebracht werden

Der griechische Einwanderungsminister Notis Mitarachi zeigte sich zuversichtlich, dass das für rund 3.000 Bewohner ausgelegte neue Lager binnen fünf Tagen fertiggestellt und bezogen sein wird. Doch viele Asylsuchende befürchten einen noch schrecklicheren Lageralltag als in Moria. Laut Behörden gilt aktuell eine begrenzte Ausgangssperre, mit der eine Verbreitung des Coronavirus auf der Insel verhindert werden soll.

Am Samstag hatten Hunderte Migranten vorwiegend friedlich gegen das neue Lager demonstriert. Als einige Demonstranten die Polizei mit Steinen bewarfen, setzte diese Tränengas ein. Einige Menschen wurden wegen Atemproblemen ins Krankenhaus gebracht. Am Sonntag gingen die Proteste weiter. Auf Transparenten stand: „Europa, rette uns“. Auch die Bevölkerung auf Lesbos wehrt sich gegen die Errichtung eines neuen Lagers. Einige Einwohner hielten die Bulldozer der Bautrupps mit Straßensperren auf.