Familie sitzt im abgebrannten Camp Moria
APA/AFP/Louisa Gouliamaki
Flucht

Tausende harren in Morias Brandruinen aus

Auch Tage nach den Bränden im überfüllten Flüchtlingslager Moria auf Lesbos gibt es für viele wenig Hilfe. Tausende Geflüchtete verbrachten die Nacht wieder im Freien. Die griechischen Sicherheitskräfte bereiten eine umfangreiche Aktion vor, um alle Menschen in ein provisorisches Zeltlager zu bringen.

Im neuen Zeltlager von Kara Tepe sollen die Geflüchteten vorerst Unterschlupf finden. 600 der insgesamt etwa 12.000 obdachlos gewordenen Geflüchteten sind bisher laut griechischer Regierung in das Camp umgesiedelt worden. Viele zögern aber, in das Camp zu übersiedeln. Zuletzt machten Gerüchte die Runde, denen zufolge das provisorische Lager eine Art Gefängnis werden könnte, das niemand verlassen dürfe. Zudem hindern nach Augenzeugenberichten überwiegend aus Afghanistan stammende Migranten ihre Landsleute daran, ins Camp Kara Tepe zu gehen, wie es aus Regierungskreisen hieß.

Der Hoffnung einiger Geflüchtete, mit den Bildern vom Elend der Menschen, die weltweit gezeigt werden, könnten nun alle zum griechischen Festland und danach nach Westeuropa gebracht werden, trat der stellvertretende Migrationsminister Giorgos Koumoutsakos entgegen: „Wer denkt, er könne zum Festland und dann nach Deutschland reisen, der soll es vergessen.“ Die griechischen Sicherheitskräfte bereiten nach Informationen örtlicher Medien in den nächsten Tagen eine umfangreiche Aktion vor, um alle Geflüchteten von den Straßen zu holen und ins Zeltlager zu bringen. Der griechische Minister für Bürgerschutz, Michalis Chrysochoidis, hatte zuvor gewarnt: Wer Menschen daran hindere, ins Lager zu gehen, müsse mit harten Strafen rechnen, sagte er im griechischen Fernsehen ERT.

Nur Anträge aus Lager werden bearbeitet

Migrationsminister Notis Mitarakis rief alle obdachlosen Geflüchteten dazu auf, umgehend in das provisorische Zeltlager zu ziehen. „Ab kommenden Montag werden Asylverfahren nur für jene bearbeitet, die im Lager sind“, sagte er am Montag im griechischen Radiosender Parapolitika. Man kenne die Unruhestifter genau, warnte er.

Mann geht durch das abgebrannte Camp in Moria
APA/AFP/Angelos Tzortzinis
Nach dem Brand in Moria: In Teilen des Camps sind nur noch Ruinen übrig

Sorge vor „Taktik von Moria“

Am Montag gingen zahlreiche Migranten erneut auf die Straßen von Lesbos und forderten, dass sie nach Westeuropa gebracht werden. Die überwiegend aus Afghanistan stammenden Demonstranten skandierten „Azadi! Azadi!“ (Freiheit! Freiheit!), berichtete ERT.

Der Asylbeauftragte des Migrationsministeriums, Manos Logothetis, warnte indes, dass der „Taktik von Moria“ bald andere Aufnahmezentren auf den Inseln Chios, Samos, Leros und Kos folgen könnten. Die Menschen müssten so schnell wie möglich in provisorischen Zeltlagern unterkommen, bis ein neues Aufnahmelager gebaut werde, erklärte Logothetis der griechischen Tageszeitung „Kathimerini“ (Montag-Ausgabe). „Alles andere würde bedeuten, dass alle bisher unternommenen Anstrengungen zur Begrenzung der Flüchtlingsströme und zur Entlastung der Inseln zunichtegemacht würden“, sagte er.

Ärzte ohne Grenzen (MSF) übte scharfe Kritik an dem Wiederaufbau des Camps, das in den vergangenen Jahren wegen seiner katastrophalen Zustände immer wieder für Schlagzeilen sorgte. Es sei „illusorisch“ zu glauben, dass man durch den Bau eines neuen Camps die Probleme nachhaltig lösen könne, sagte Caroline Willemen, MSF-Einsatzleiterin auf Lesbos, im Gespräch mit der APA. Auch Marcus Bachmann von Ärzte ohne Grenzen Österreich sagte, dass sich alle Beteiligten – Bewohner von Lesbos ebenso wie Flüchtlinge – gegen ein „Moria 2.0“ stellten. Das sei ein „schreiendes Zeugnis“ dafür, dass die geplanten Maßnahmen den eigentlichen Bedarf nicht abdeckten.

Verwaltung mit EU möglich

Im Gespräch ist derzeit, ein etwaiges neues Flüchtlingslager auf Lesbos unter gemeinsame Verwaltung von Griechenland und der EU-Kommission zu stellen. Man sei offen für eine gemeinsame Verwaltung, sagte ein Kommissionssprecher am Montag. „Die Idee wird weiter diskutiert.“ Die Kommission warte derzeit noch darauf, dass die griechische Regierung die Pläne für die künftige Unterbringung der Flüchtlinge konkretisiere. Österreich unterstütze das Vorhaben, dass das neue Camp nicht nur von griechischen Behörden, sondern gemeinsam mit der Europäischen Kommission betrieben wird, hieß es in einer Stellungnahme des Bundeskanzleramtes für die APA.

Die „Bild“-Zeitung berichtete unterdessen am Montag, auch Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel setze sich dafür ein, dass ein neues Flüchtlingslager auf Lesbos künftig von der EU selbst aufgebaut und betrieben werde. EU-Vizekommissionspräsident Margaritis Schinas hatte am Freitag bei einem Besuch in Berlin gesagt, die griechische Regierung habe die EU um eine „aktivere Rolle beim Management des neuen Zentrums“ gebeten. Denkbar sei, dass dort etwa auch Asylanträge bearbeitet werden könnten.

Viertel der Anträge von Minderjährigen

Rund ein Viertel aller Asylanträge in der EU wird von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren gestellt. 2019 stammten laut Eurostat über 192.000 Asylanträge von Minderjährigen. Mehr als 14.000 Asylanträge kamen von unbegleiteten Minderjährigen – das sind sieben Prozent jener Asylwerbenden, die noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, und rund fünf Prozent insgesamt.

EU-weit halbierte sich 2017 die Zahl der Anträge von unter 18-Jährigen nach einem rasanten Anstieg 2015 und 2016 (fast 380.000) und sank weiter im Jahr 2018. 2019 stieg sie nun erstmals wieder leicht an (192.145). In Österreich fand der Rückgang schon von 2015 (31.655) auf 2016 (17.365) statt. 2018 halbierte sich die Zahl der Asylanträge von Kindern und Jugendlichen hierzulande erneut auf 6.375. Mit 5.900 Anträgen von Minderjährigen setzte sich der Abwärtstrend 2019 in Österreich entgegen dem EU-Trend fort.

Grafik zeigt Daten zu minderjährigen Asylwerbern in der EU
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Eurostat

Der Anteil der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge stieg in Österreich hingegen um 120 Prozent. Mit 860 Anträgen liegt diese Zahl zwar weit entfernt von jener des Jahres 2015, wo mit 8.275 Ankünften von unbegleiteten Minderjährigen ein absoluter Höchststand verzeichnet wurde. Bis 2018 ging die Zahl dann markant zurück und lag mit nur 360 so niedrig wie seit zehn Jahren nicht mehr. Den Anstieg von 2018 auf 2019 erklärte das EU-Asylbüro EASO vor einigen Monaten mit der wieder höher frequentierten Balkan-Route, entlang derer der Anteil von Kindern und Jugendlichen besonders hoch sei. Afghanistan ist laut dem europäischen Statistikamt das Hauptherkunftsland von Asylwerbern in der EU, die noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben.