EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
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Vor Rede zur Lage der EU

Von der Leyen steht vor vielen Baustellen

Am Mittwoch wird EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erstmals eine Rede zur Lage der Union halten. Vorgestellt hätte sie sich ihre Premiere wahrscheinlich anders: Die Coronavirus-Pandemie hat viele Pläne umgeworfen, nicht einmal der übliche Standort für die Rede konnte gehalten werden. Doch auch abseits der Pandemie gibt es für sie viele Baustellen, auf die sie wohl Bezug nehmen wird.

In Brüssel war die Stimmung Anfang September angespannt: Klar war, dass von der Leyen ihre erste Rede zur Lage der Union am 16. September halten wird – doch vor allem die Frage nach dem Ort sorgte für Unstimmigkeiten. An sich hätte die Rede im Parlamentsgebäude in Straßburg gehalten werden sollen – es wäre die erste Plenarwoche in Frankreich seit Februar gewesen, von der Leyens Auftritt ein Signal für eine – teilweise – Rückkehr zum Alltag vor dem Coronavirus.

Ein Termin für eine Entscheidung wurde in letzter Sekunde nach hinten verschoben, doch Bas-Rhin, jene Region, in der Straßburg liegt, kämpft mit einer steigenden Zahl von Coronavirus-Fällen – die EU sagte ihren Umzug von Belgien nach Frankreich letzte Woche endgültig ab. Stattdessen wird von der Leyen nun im EU-Parlament in Brüssel auftreten, sehr zum Ärger Frankreichs – auch das wird wohl im Nachhinein noch Thema werden.

Coronavirus und Klima als Themen

Eines scheint jedenfalls schon jetzt klar: Die Pandemie wird nicht das einzige Thema der Rede von der Leyens sein, wohl aber auch erwähnt werden. Immerhin: Zurückblicken kann die Kommissionspräsidentin auf ein 750-Mrd.-Euro-Krisenpaket, über das momentan zwischen Parlament und Rat verhandelt wird. Erstmals überhaupt sollen dafür Schulden aufgenommen werden.

Reinigungsarbeiten im EU-Parlament in Brüssel
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Von der Leyen wird am Mittwoch in Brüssel einen Ausblick auf die Ziele der EU geben

Doch vor allem ein Punkt wird für von der Leyens Rede wahrscheinlich zentral werden: das Klima. Schon die vergangenen Tage vermittelten den Eindruck, dass die deutsche Politikerin einen grünen Schwerpunkt setzen wird. Am Wochenende wurde ein Klimaplan der Kommission bekannt – mit ambitionierten Zielen. Offiziell bestätigt wurden diese Pläne von Brüssel bisher nicht, es ist aber davon auszugehen, dass von der Leyen mit dem Klima einen Schwerpunkt setzt.

Ambitionierte Ziele, Kritik aus der Industrie

Verabschieden will man sich darin vom ursprünglichen Ziel, Treibhausgase bis 2030 um 40 Prozent zu reduzieren. Stattdessen will man den Wert gleich um 55 Prozent drücken. Was nach einem Detail in den Zahlen klingen mag, könnte weitreichende Änderungen haben, von verstärkter E-Mobilität über energieeffiziente Gebäude bis hin zum Thema Landwirtschaft.

Die Autoindustrie rief das schon am Wochenende auf den Plan – geschwächt durch die Krise warnt man davor, dass man eine noch steilere Vorgabe bei den Klimazielen womöglich nicht stemmen könne. Im Raum steht gar ein früheres Ende des Verbrennungsmotors. Teil der Klimastrategie soll auch eine Ausweitung des Emissionshandels sein, der künftig auch auf Verkehr und Gebäude ausgedehnt werden soll. Verschmutzung wird damit zum teuren Gut – wohl ein guter Anreiz, um auf Alternativen auszuweichen. Auch vom EU-Rechnungshof hieß es am Dienstag, dass die Kommission hier nachschärfen solle.

Probleme innerhalb und an den Grenzen

Darüber hinaus gibt es jede Menge andere Themen innerhalb, an und außerhalb der eigenen Grenzen: Etwa die durch das Coronavirus ausgelösten innereuropäischen Hürden beim Grenzübergang. Der Schengen-Raum, schon durch die Flüchtlingskrise 2015 in Bedrängnis geraten, wurde durch die Pandemie noch einmal strikter kontrolliert. Nur langsam und vereinzelt konnten Maßnahmen zurückgefahren werden. Auch Themen wie die Rechtsstaatlichkeit – im Hinblick auf Staaten wie Ungarn und Polen – werden die EU auch künftig beschäftigen.

Und dann gibt es akute und sehr akute Probleme hinter den Grenzen: Offen bleibt etwa, was mit dem endgültigen Abschied Großbritanniens aus der EU passiert – eine Entscheidung dazu muss bald fallen. Auch die Situation in Moria bringt die EU unter Druck. Kritik gibt es nicht nur an einzelnen Mitgliedsstaaten und untereinander, sondern auch an der Union selbst – in Asyl- und Migrationsfragen will man neue Pläne vorstellen, hieß es zuletzt.

China und USA in Handelsfragen entscheidend

Schaut man weit über die Grenzen hinweg, wird man beim Thema Handel sowohl mit China als auch mit den USA in Zukunft zu tun haben. Erst diese Woche wurde bei einem virtuellen Gipfel mit Peking verhandelt – zwar sprach man von einem nächsten Schritt in den Beziehungen, aber sah gleichzeitig auch noch viel Luft nach oben. Vor allem im Hinblick auf die digitale Agenda der EU wird der Blick auf andere Kontinente entscheidend sein, um mithalten zu können.

Dreiviertelstunde als anberaumtes Limit

Vor fünf Jahren hielt ihr Vorgänger Jean-Claude Juncker seine erste „State of the Union“-Rede, inmitten der Flüchtlingskrise, mit dem ernüchternden Zitat: „Unsere Europäische Union ist in keinem guten Zustand. Es ist nicht genug Europa in dieser Union. Und es ist nicht genug Einheit in dieser Union.“ Von der Leyens Rede ist für kurz nach 9.00 Uhr angekündigt, anberaumt wurde dafür eine Dreiviertelstunde. Es bleibt abzuwarten, wie sie auf die Probleme in und außerhalb der EU reagieren wird – und welche Ziele sie setzen wird.