Kreditkarte neben einem Laptop
Getty Images/Westend61
Neues Leak

Versteckte Milliarden in FinCEN-Files

Eigentlich hat das New Yorker Onlineportal BuzzFeed News über die mutmaßlichen Verwicklungen Russlands in den US-Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl 2016 recherchiert. Doch hinter einer Fülle an geleakten Dokumenten, den FinCEN-Files, verbargen sich zahlreiche weitere dubiose Geldflüsse – mit Verbindungen zu prominenten Persönlichkeiten wie auch politischen Machthabern.

Das Leak umfasst über 2.100 Verdachtsmeldungen zu Geldwäsche, die von amerikanischen Banken erstellt und an das Financial Crimes Enforcement Network (FinCEN) weitergeleitet wurden. Das FinCEN ist eine Behörde des US-Finanzministeriums. Die Inhalte der Dokumente gingen weit über das eigentliche Rechercheziel von BuzzFeed – die Finanzsysteme hinter den Mitarbeitern von US-Präsident Donald Trump zu enthüllen – hinaus. Sie zählen zu den detailliertesten Aufzeichnungen des US-Finanzministeriums, die jemals an die Öffentlichkeit weitergegeben wurden.

Gemeinsam mit weltweit rund 400 Journalisten und Journalistinnen aus fast 90 Ländern wurden im Rahmen des weltweiten Netzwerks International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) die Daten über eineinhalb Jahre aufgearbeitet und zurückverfolgt. In Österreich beteiligten sich der ORF und das Nachrichtenmagazin „profil“ an der internationalen Recherche.

Versteckte Milliarden in FinCEN-Files

Hinter den sogenannten FinCEN-Files steckt ein Leak mit über 2.100 Verdachtsmeldungen zu Geldwäsche. Demnach konnten Drogenbosse und Terroristen jahrelang Geld unbehelligt transferieren.

Enthüllt werden weltweite Finanzströme, die von internationalen Großbanken wie HSBC, Deutsche Bank, Barclays und JPMorgan Chase bearbeitet wurden. Nicht jeder Bericht über verdächtige Aktivitäten (SAR, Suspicious Activity Report) betrifft tatsächlich illegale Handlungen, einige decken aber bisher unbekannte Fälle von Korruption und Drogenhandel auf und bringen neue Details zu bekannten Skandalen. Untersucht wurden Daten von Millionen von Transaktionen zwischen 1999 und 2017.

Fincen-Hauptquartier in Vienna, Virginia
ICIJ/Scilla Alecci
Das FinCEN-Headquarter in Vienna im US-Bundesstaat Virginia

Zahnlose Kontrollen

Die Großbanken würden – entgegen allen Beteuerungen – keine allzu großen Anstrengungen unternehmen, verdächtige Geldflüsse zu unterbinden. Die internen Prüfungsabteilungen würden eher ausgehungert und nicht selten auch unter Druck gesetzt, heißt es in dem Hauptbericht der ICIJ. Selbst Millionenstrafen oder –vergleiche würden die Banken selten von ihren Praktiken abbringen, heißt es weiter: weil sie viel zu gut daran verdienten. Verdachtsmeldungen der Banken an Behörden gebe es zumeist erst, wenn in investigativen Medienberichten Vorwürfe erhoben werden oder gar schon Ermittlungen laufen. Und meist würden die Meldungen erst Jahre nach den verdächtigen Transaktionen gemacht.

Allein die in den FinCEN-Leaks enthüllten Transaktionen zwischen 1999 und 2017 machen laut ICIJ mindestens zwei Billionen Dollar aus. Und die in den Dokumenten ersichtlichen Zahlungsflüsse würden nur 0,02 Prozent aller Verdachtsmeldungen zwischen 2011 und 2017 ausmachen. Bei FinCEN, einer Behörde mit 300 Mitarbeitern, gehen pro Jahr zwei Millionen Verdachtsmeldungen ein. In den Leaks finden sich Fälle von Mafia- und Drogengeldern, Millionenbetrügern, Korruptionsgeldern und sogar Terrorfinanzierung. Ziel all dieser kriminellen Aktivitäten ist Geldwäsche: schmutzige Geschäfte auf der ganzen Welt in saubere US-Dollar umzuwandeln.

Korrespondenzbanken als Vermittler

Eine entscheidende Rolle bei diesen Geldflüssen spielen große, internationale Banken, die auch als Korrespondenzbanken auftreten. Sie wickeln für die Kunden von kleineren regionalen Banken Geldgeschäfte im Ausland ab. In Österreich dürfte die Raiffeisenbank International eine bisher unbekannte Rolle gespielt haben. Die Bank ließ auf Anfrage von ORF und „profil“ zunächst offen, ob eine Geldwäschemeldung erstattet wurde.

Später wurde von der RBI ergänzt: „Die von den US-Banken gemeldeten Zahlungen haben auch einen Alarm unserer Geldwäschesysteme ausgelöst. Daraufhin haben wir sofort eine Erstanalyse durchgeführt und in der Folge derartige Zahlungen unterbunden. Nach Durchführung einer Detailanalyse haben wir die Geschäftsbeziehung mit dem betroffenen Kontoinhaber beendet.“

Verdachtsmeldungen erforderlich

Auch in der Funktion als Korrespondenzbank muss eine Bank Informationen über Kunden einholen und bei nicht nachvollziehbaren Kontobewegungen eine Verdachtsmeldung machen. Die geleakten Dokumente zeigen, dass das nicht immer der Fall war – mit all seinen negativen Auswirkungen auf das alltägliche Leben.

Barclays Brooker an der New Yorker Wall Street
Reuters/Carl Court
Internationale Großbanken spielen eine entscheidende Rolle bei den weltweiten Geldströmen

„Menschen mögen Themen wie Geldwäsche und Offshore-Firmen nicht so bewusst sein, aber sie fühlen die Auswirkungen jeden Tag, denn sie sind es, die die Großkriminalität zu spüren bekommen – von Opioiden über Waffenhandel bis zum Diebstahl von Arbeitslosengeld im Zusammenhang mit Covid-19“, brachte es der Korruptionsexperte der Stiftung Carnegie Endowment for International Peace, Jodi Vittori, gegenüber ICIJ auf den Punkt.

Millionenbestechungen bei Dopingskandal

Neue Details geben die FinCEN-Files auch etwa zu dem riesigen Korruptionsprozess gegen den ehemaligen Präsidenten des Leichtathletik-Weltverbands (IAAF), den heute 87-jährigen Lamine Diack. Dieser wurde erst vergangenen Mittwoch bei einem Prozess in Frankreich zu vier Jahren Haft verurteilt – zwei davon auf Bewährung. Er räumte in dem Prozess ein, Disziplinarverfahren gegen gedopte russische Athleten zurückgesetzt zu haben.

Der ehemalige Präsident des Leichtathletik-Weltverbands, Lamine Diack
AP/Joshua Paul
Bei seinem Korruptionsprozess wurde der ehemalige Leichtathletik-Weltverband-Präsident Diack zu vier Jahren Haft verurteilt

Damit habe er vor allem den IAAF schützen wollen. Eine Enthüllung so vieler Fälle auf einmal hätte einen Skandal ausgelöst, so Diack. Ihm wurde vorgeworfen, 3,45 Millionen Euro vor allem vom russischen Sportministerium erpresst zu haben im Zusammenhang mit Sportlern, die sich des Dopings verdächtig gemacht haben. Diack bestreitet das. In den FinCEN-Files gibt es Überweisungen in Millionenhöhe, die dem Fall Diack mutmaßlich zuzuordnen sind.

Puzzlestein zu Causa Manafort

Einen weiteren Puzzlestein gibt es rund um die Russland-Verbindung des ehemaligen Wahlkampfmanagers von Trump, Paul Manafort. Aus einem Bericht von JPMorgan ging etwa hervor, dass die Bank für Manafort Gelder zwischen ihm und seinen mutmaßlichen Briefkastenfirmen noch bis September 2017 bewegte – noch einige Zeit nachdem seine Lobbyarbeit für prorussische Politiker in der Ukraine an die Öffentlichkeit gelangten. Er wurde inzwischen zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt.

Turkmenistan und die Deutsche Bank

Die FinCEN-Dokumente geben auch Einblicke in das autokratisch regierte Turkmenistan. Das von Präsident Gurbanguly Berdymuchamedow regierte Land kämpft seit Jahren mit einer enormen Wirtschaftskrise, hoher Inflation und Nahrungsmittelknappheit. In der Hauptstadt Aschgabat dürfen Einwohner laut ICIJ nicht mehr als 23 Dollar pro Tag von der Bank abheben. Korruption wird hier durch Geldbewegungen über Offshore-Posten gestützt.

Der turkmenische Präsident Gurbanguly Berdymukhamedov
Reuters/Carl Court
Der turkmenische Präsident ist seit 2007 an der Spitze des Landes

Nahezu drei Dutzend verdächtige Berichte (SARs) mit Verbindungen zu Turkmenistan wurden in den FinCEN-Files gefunden – mit einer Summe von 1,4 Milliarden Dollar zwischen den Jahren 2001 und 2016. In einem der Fälle etwa überwies das turkmenische Handelsministerium 1,6 Millionen Dollar den ICIJ-Recherchen zufolge an Intergold LP, eine Firma in Schottland. Betitelt wurde die über die Deutsche Bank durchgeführte Zahlung mit „Süßwaren“. Die inzwischen umbenannte Firma wurde zehn Monate vor dieser Transaktion gegründet. Dabei dürfte es sich um eine Briefkastenfirma handeln. Gründer und Zweck der Firma sind unbekannt.

Vonseiten der Deutschen Bank gab es gegenüber ICIJ keine Erklärung, das turkmenische Handelsministerium antwortete nicht auf Fragen. „Das klingt sehr nach einem Fall, wo eine Strohfirma verwendet wurde, um Gelder aus Staatskassen zu verstecken“, betonte Annette Bohr, Expertin beim Londoner Thinktank Chatham House.