Straßenszene aus Tel Aviv
Reuters/Corinna Kern
Israel sperrt wieder zu

Nach Lockerungen kommt neuer Lockdown

Israel wird erneut in Quarantäne geschickt: Am Freitagnachmittag beginnt ein landesweiter Lockdown, der drei Wochen lang das öffentliche Leben einfrieren soll. Die Infektionszahlen waren zuvor explodiert. Mit den neuen Maßnahmen der Regierung sind viele aber nicht einverstanden.

Israel galt zu Anfang der Pandemie als Vorbild – nun erreicht die Zahl der täglichen Neuinfektionen Rekordwerte. Das Gesundheitsministerium sprach am Mittwoch von mehr als 5.500 neuen Fällen in 24 Stunden – bei 8,9 Mio. Einwohnern. Die Regierung von Premier Benjamin Netanjahu ergreift wieder harte Maßnahmen, sie will eine Überlastung des Gesundheitssystems verhindern. Zwei Kliniken konnten bereits keine weiteren Coronavirus-Patienten mehr aufnehmen.

Ab Freitagnachmittag gelten daher Versammlungsbeschränkungen: Bis zu 20 Menschen dürfen sich im Freien und bis zu zehn Menschen in Innenräumen versammeln. Schulen und Kindergärten sollen geschlossen bleiben. Auch Hotels, Einkaufszentren, Freizeitstätten und Strände müssen schließen. Restaurants dürfen nur noch außer Haus verkaufen. Lebensmitteleinkäufe und Arztbesuche sind weiter erlaubt. Die Menschen dürfen sich nur noch in Ausnahmefällen weiter als 500 Meter von ihrem Zuhause entfernen, etwa für den Weg zum Arbeitsplatz. Schulen und Kindergärten wurden bereits am Donnerstag geschlossen, weil der jüngste Anstieg vor allem auf Infektionen bei Schulkindern ab zehn Jahren und älter zurückzuführen war.

Infektionsketten schwer zu unterbrechen

Auch der Zugang zu Synagogen und anderen Gotteshäusern wird stark eingeschränkt oder ganz untersagt – das wirkt sich stark auf die jüdischen Feiertage aus. Erstmals in ihrer Geschichte bleibt die Große Synagoge in Jerusalem zum jüdischen Neujahrsfest (Rosh Hashana) am Freitag zu. Geschlossen ist sie bereits seit März. Eine Regelung, nach der sich etwa 200 Gläubige in dem Gebäude hätten versammeln können, wollte man nicht. Auch die muslimischen heiligen Stätten auf dem Tempelberg in Jerusalem, darunter der Felsendom und die Al-Aksa-Moschee, sollen geschlossen bleiben.

Geschlossene Schule in Jerusalem
Reuters//Ammar Awad
Israels Schulen sind wieder zu. Ältere Klassen sollen Fernunterricht erhalten.

Die höchsten Infektionszahlen finden sich in arabischen und ultraorthodoxen jüdischen Wohnvierteln. Dort leben häufig größere Familien auf engem Raum zusammen, sodass Infektionsketten nur schwer unterbrochen werden können.

Netanjahu: Weitere Verschärfungen möglich

Netanjahu kündigte am Donnerstagabend eine mögliche weitere Verschärfung der vorgesehenen Einschränkungen an. Angesichts der immer weiter steigenden Infektionszahlen könnte das notwendig sein, so Netanjahu. „Ich denke, dass wir angesichts der Infektionslage möglicherweise keine andere Wahl haben werden, als die Beschränkungen zu verschärfen.“

Scharfe Kritik an Regierung

In Israel ist der Widerstand gegen den neuen Lockdown groß. Die Krise setzte der Wirtschaft des Landes bereits im Sommer schwer zu. Die Arbeitslosigkeit lag bei mehr als 20 Prozent. Experten kritisierten, die Lockerungen im Mai seien zu umfangreich und nicht abgestuft erfolgt. Zudem gelang es nicht, ausreichend Vorsorge für die erwartbare zweite Welle zu treffen. So funktionierte etwa die Kontaktnachverfolgung nicht ausreichend. Diese Aufgabe soll nun die Armee übernehmen, die dazu gebildete Truppe ist aber noch nicht voll einsatzbereit. Zudem werden Handys vom Inlandsgeheimdienst überwacht – ein Streitthema. Auch der Ansatz, Ausbrüchen mit lokalen Restriktionen zu begegnen, schlug angesichts der hohen Zahlen fehl. Die Coronavirus-App des Landes wurde von der Bevölkerung auch nicht gut angenommen.

Die Opposition warf der Regierung Versagen vor, Netanjahu war im Frühsommer neben der Pandemie vor allem mit dem Beginn des Korruptions- und Betrugsprozesses gegen sich sowie mit geplanten Annexionen von Land im besetzten Westjordanland beschäftigt. Auch wurden hinter den Kulissen Vorbereitungen für historische Annäherungen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain getroffen. Netanjahu und Präsident Reuven Rivlin gerieten auch in die Kritik, weil sie das Pessach-Fest mit ihren Kindern gefeiert hatten, obwohl es der breiten Bevölkerung verboten war.

Leere Synagoge in Jerusalem
APA/AFP/Menahem Kahana
Leere in der Großen Synagoge in Jerusalem: Die jüdischen Feiertage sind vom Lockdown betroffen

Rivlin wirbt für Verständnis

Kritisiert wurde auch die Rücksichtnahme auf bestimmte Gruppen. So wurden zum Beispiel in manchen Orten nach massivem Druck ultraorthodoxer Kreise geplante Beschränkungen abgeschwächt. Die strengreligiösen Parteien im Parlament gelten als enge Verbündete Netanjahus und sind bei Wahlen mitunter entscheidend. Präsident Rivlin versuchte am Mittwochabend in einer Rede an die Nation, die Wut über den neuen Lockdown zu beruhigen. „Wir müssen alles tun, um unter unseren Mitbürgern persönliches, medizinisches und ökonomisches Vertrauen wiederherzustellen. Dies ist eine zweite Chance, und wir müssen sie nutzen, weil wir, so fürchte ich, keine dritte bekommen werden“, so Rivlin.