Franz Allerberger, Leiter der Abteilung öffentliche Gesundheit der AGES
APA/Hans Klaus Techt
Allerberger zu CoV

Lässt sich nicht ausrotten

Die Regierung hat erneut verschärfte Maßnahmen in Sachen Coronavirus verhängt. Doch Fachleute zweifeln teilweise an deren Zweckmäßigkeit. Experte Franz Allerberger von der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) ist überzeugt, dass man lernen muss, mit dem CoV-Virus zu leben.

Denn, so betonte der Leiter der Abteilung Öffentliche Gesundheit der AGES am Freitag in Linz: „Die Hoffnung, dass wir das Virus mit strengen Maßnahmen ausrotten können, können wir abhaken.“ SARS-CoV-2 werde sich künftig „dazugesellen zu den anderen Winterinfekten. Darauf muss man sich einstellen.“ Ein Kind, das 39 Grad Fieber habe, gehöre aber in jedem Fall zum Arzt. Er rief dazu auf, nicht wegen des Coronavirus einen Bogen um die Arztpraxen zu machen.

„Wenn wir jetzt wieder Ängste schüren, wird die Unterversorgung wieder zunehmen“, stimmte Gesundheitswissenschaftler Martin Sprenger bei. Er warnte davor, dass sich dann erneut viele scheuen könnten, in die Ordinationen zu gehen, aus Angst, sich anzustecken.

Impfung für Sprenger „kein Exit-Szenario“

Die neuen Einschränkungen bei Feiern hielt er nicht für verhältnismäßig: „Verbieten wir Partys wegen anderer Gesundheitsrisiken? Nein.“ Es müsse sich eben ein anderer Umgang mit Infektionskrankheiten etablieren, so Sprenger bei der Veranstaltung der Ärztekammer Oberösterreich, der auch eine Impfung „nicht für ein Exit-Szenario“ hält.

Auch mehrere Mediziner befürchten, dass andere – auch schwere – Krankheiten durch das Coronavirus in den Hintergrund geraten. Vor allem in der ersten Phase hätten viele vor dem Spital Angst gehabt, sagte Rainer Gattringer, Facharzt für Innere Medizin, Klinische Mikrobiologie und Hygiene am Klinikum Wels-Grieskirchen. Aber die Krankenhaushygiene in Österreich zähle zu den besten. „Trauen Sie sich in die Krankenhäuser“, appellierte er.

„Liebe Politik, kommt’s wieder runter“

Auch die Hausärzte hätten viel in Sachen Ordinationsmanagement und im Umgang mit möglicherweise infektiösen Patienten gelernt, so Ziegler, mittlerweile gebe es ein räumliches und zeitliches Abstandmanagement etc. „Wir können das managen“, meinte auch Sprenger. „Liebe Politik, kein Grund zur Panik, kommt’s wieder runter!“

Die Infektionszahlen steigen unterdessen, in etlichen Regionen Österreichs gilt ein erhöhtes Infektionsrisiko. Das stellte am Donnerstag auch die für die Coronavirus-Ampel zuständige Kommission fest. Laut der Ampel, die am Freitag auf der Website der Coronavirus-Ampel publiziert wurde, gibt es nun in Österreich keine rein grünen Bundesländer mehr.

Dramatische Warnungen der Regierung

Angesichts der Zahlen hatte die Bundesregierung am Donnerstag erneut die Maßnahmen verschärft. Ab Montag gelten neuen Regeln für Gastronomie, private Feiern und das Tragen von Schutzmasken. Die jüngsten Reisewarnungen aus Deutschland, der Schweiz und Belgien würden für den Tourismus, den Handel und die Gastronomie eine Bedrohung darstellen, so Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sinngemäß.

Daher gelte es, die „katastrophalen Folgen“, die mit einem weiteren Lockdown einhergingen, zu verhindern. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) ortete einen „Wettlauf zwischen steigenden Infektionszahlen und steigendem Risikobewusstsein“. Das aktuelle Maßnahmenpaket enthalte „punktgenaue Antworten“ auf die Entwicklung der Fallzahlen, sei mit der Coronavirus-Kommission abgestimmt und werde von dieser mitgetragen.

Wartezeiten zu lang

Expertinnen und Experten pochen angesichts der steigenden Zahlen darauf, dass die Tests schneller und effizienter werden. Im Ö1-Morgenjournal forderte am Freitag die Ärztin Susanne Rabady, Mitglied des Expertenrats des Gesundheitsministers, dass Tests durch Hausärztinnen und -ärzte durchgeführt oder vermittelt werden sollten, und zwar gratis. „Das ist ein Mittel, das wir unbedingt brauchen“, so Rabady. „Man kann nicht ein Fieberkind zwei Tage zu Hause konservieren und sagen: Naja, warten wir einmal auf einen Test.“ Das gelte genauso für Erwachsene.

Bisher sollen Menschen mit Covid-19-Symptomen keine Arztpraxis aufsuchen – aus Sorge, das Virus könne sich im Wartezimmer unter Kranken verbreiten. Verdachtsfälle sollen stattdessen bei der Gesundheitshotline 1450 anrufen und gegebenenfalls einen Test zugewiesen bekommen. Das bedeutet aber oft eine lange Wartezeit, oft mehrere Tage, bis der Abstrich tatsächlich abgenommen wird, und weitere Tage bis zum Vorliegen eines Ergebnisses.

Neue Regeln

  • Alle privaten Feiern in Innenräumen sind auf zehn Personen begrenzt. Ausnahmen: Begräbnisse und Privatwohnungen
  • Gastronomie: max. zehn Personen an einem Tisch, Konsumation nur im Sitzen; Maskenpflicht für Personal und auch für Gäste außer am Tisch; Sperrstunde generell 1.00 Uhr
  • Masken auf Märkten und bei Gottesdiensten

Laut Rabady wäre das Testen in Hausarztpraxen eine passende Option, um das System zu entlasten, hier gebe es bereits eine funktionierende Laborlogistik. Ansteckungen könnten durch zusätzliche Maßnahmen wie eigene Ordinationszeiten für Verdachtsfälle verhindert werden, so Rabady, die selbst Tests im Rahmen eines Forschungsprojekts in ihrer Praxis anbietet. Durch die Unterstützung der Hausärzte könnte man vor allem in Großstädten wie Wien Druck aus der angespannten Situation herausnehmen, so Rabady. Die öffentliche Schiene könnte sich Rabady zufolge dann auf Contact-Tracing und Screening konzentrieren.

Gespräche laufen

Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, stand dem Vorschlag „grundsätzlich positiv gegenüber“. „Man muss nur darauf achten, dass das Personal und andere Patienten nicht in die Gefahr einer Ansteckung gebracht werden“, so Szekeres. Patienten dürften etwa auf keinen Fall unangemeldet eine Ordination aufsuchen. Anschober kündigte via „Standard“ (Samstag-Ausgabe) an, dass einer entsprechenden Regelung gearbeitet werde.

Gratistests beim Hausarzt gefordert

Mitglieder des Expertenrats des Gesundheitsministers fordern nun Gratistests beim Hausarzt.

Ob ein Arzt Coronavirus-Tests durchführen will, liegt aber letztlich in dessen Ermessen. „Wir können niemanden dazu zwingen“, sagte Szekeres – mehr dazu in wien.ORF.at. Auch aus dem Gesundheitsministerium hieß es laut Ö1, dass man den Vorschlag unterstütze. Es gebe Gespräche mit der ÖGK, die Kosten solle der Bund übernehmen. Die beschlossene Aufstockung der Mittel für Schutzausrüstung sei eine Voraussetzung.

Kritik an Teststrategie

Tests durch Mediziner und Medizinerinnen waren am Freitag auch Thema bei einer Pressekonferenz der Ärztekammer Oberösterreich. Dort war der Tenor: Man solle die Tests wieder in die Hände von Ärzten legen. Es werde zu viel und zu „unreflektiert“ getestet, etwa bei den Gastro- und Tourismusscreenings.

Petra Apfalter, Leiterin des Instituts für Hygiene, Mikrobiologie und Tropenmedizin am Ordensklinikum Linz, sprach sich gegen die derzeitige Praxis aus, „kreuz und quer“ durch diverse Branchen asymptomatische Personen zu testen. „Derzeit messen wir ein Merkmal, das aber nicht zwingend bedeutet, dass jemand krank ist“, sagte sie, schließlich würden 90 Prozent der Infektionen „absolut keinen schweren Verlauf nehmen“.

Auch Wolfgang Ziegler, Obmann der Sektion Allgemeinmedizin in der Ärztekammer OÖ, meinte: „Es wird zu viel getestet.“ Die Entscheidung, ob jemand getestet werde, müsse wieder bei den Ärzten liegen und nicht bei der Hotline 1450, sagten beide. Auch die Hausärzte hätten viel in Sachen Ordinationsmanagement und im Umgang mit möglicherweise infektiösen Patienten gelernt, so Ziegler – mehr dazu in ooe.ORF.at.

Virologin: Mehr Tests nötig

Die Virologin Monika Redlberger-Fritz von der Medizinuni Wien räumte ein, dass die Testungen derzeit noch zu lange dauern und diese schneller vonstatten gehen müssten. Sie sprach sich Freitagabend in der ZIB2 auch für die Durchführung von Tests bei Hausärzten aus. Denn aufgrund der befürchteten zweiten Welle müsse in nächster Zeit jedenfalls mehr getestet werden.

Virologin über den Teststau

Derzeit gibt es einen massiven Teststau bei Coronavirus-Testungen. Virologin Monika Redlberger-Fritz von der Medizinischen Universität Wien erklärt, weshalb auch ein halbes Jahr nach Ausbruch des Coronavirus Testungen noch nicht einwandfrei laufen. Sie spricht außerdem darüber, wie man sich verhalten sollte, um einen zweiten Lockdown verhindern zu können.

„Wir haben etwas verschlafen“

Eine Verbesserung des Testsystems hatte bereits am Donnerstag in der ZIB2 auch der Virologe Christoph Steininger vom Wiener AKH gefordert. Die Infektionszahlen stiegen derzeit für den Herbst wenig überraschend, doch „wir haben die letzten Monate in vielen Bereichen etwas verschlafen“, so Steininger. Es sei nun wichtig, „dass wir einfach viel effizienter und rascher werden. Das, was wirklich zählt in der Pandemie, ist, dass wir rasch reagieren.“ Es müsse eine digitale Anbindung von Patienten und Personen, die sich testen lassen wollen, an das Epidemiologische Meldesystem (EMS) geben. Steininger forderte auch ein schnelleres und effizienteres Testen.

„Ja, die Problematik, die wir derzeit sehen mit 1450, ist eigentlich ein systemisches Problem, dass die mittelbare Bundesverwaltung, sprich die Organisation vom Bund über Länder und in dem Fall Gemeinden, einfach zu schwerfällig ist. Da brauchen wir einfach ein Umdenken, dass wir viel schlankere und effizientere Strukturen entwickeln, dann kann 1450 auch sehr gut funktionieren meiner Meinung nach“, sagte Steininger.