US-Flagge vor dem Kapitol in Washingotrn DC
Reuters/Jim Bourg
Ginsburgs Nachfolge

US-Senat bringt sich in Stellung

Ein letzter Wunsch der verstorbenen US-Höchstrichterin Ruth Bader Ginsburg ist es gewesen, ihre Nachfolge erst von einem „neuen Präsidenten“ bestimmen zu lassen. Dass dieser wohl nicht in Erfüllung gehen wird, wurde am Sonntag immer deutlicher. US-Präsident Donald Trump zeigte sich seiner sicher, den Trumpf des republikanischen Einflusses im Supreme Court nicht aus der Hand zu geben. Entscheidend ist jedoch der Senat.

Gemäß US-Verfassung bestimmt der Präsident die Richter und Richterinnen des Obersten Gerichtshofs, und der Senat muss dem Vorschlag zustimmen. Eine Entscheidung ist bedeutsam, denn die Richterinnen und Richter werden auf Lebenszeit ernannt, und ihre politische Ausrichtung beeinflusst die Rechtsprechung in den USA auf Jahrzehnte. Dabei stellt sich freilich so wie zumeist in der US-Politik vor allem eine Frage: demokratisch oder republikanisch?

Die Republikaner haben im Senat eine Mehrheit von 53 zu 47 Sitzen. Der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, betonte, er werde den Ernennungsvorschlag des Präsidenten jedenfalls zur Abstimmung bringen. Allerdings ließ er zunächst offen, ob das vor oder nach der Wahl geschehen soll. Die entstandene Vakanz im Supreme Court bietet den Republikanern jedenfalls die Chance, dort womöglich für Jahrzehnte eine konservative Mehrheit zu sichern.

McConnells Volte

Das Pikante daran: Es waren McConnell und die republikanische Mehrheit im Senat, die Trumps demokratischen Amtsvorgänger Barack Obama de facto daran hinderten, nach dem Tod von Höchstrichter Antonin Scalia im Februar 2016 einen neuen Richter zu ernennen. Obama ernannte zwar einen – zentristischen – Kandidaten, doch McConnell verweigerte das nötige Ernennungsverfahren im Senat. Der Präsidentschaftskandidat der Demokraten, Joe Biden, argumentierte unter anderem mit McConnells Entscheidung aus dem Jahr 2016, warum mit einer Entscheidung bis nach der Wahl gewartet werden sollte, und ergänzte: „Ohne Zweifel sollten die Wähler den Präsidenten aussuchen, und der Präsident sollte den Richter dem Senat vorschlagen.“

Judge Ruth Bader Ginsburg bei ihrer Angelobung im US-Senat, 1993
Reuters/Gary Hershorn
Ginsburg bei ihrer Ernennung zur Höchstrichterin 1993

McConnell selbst betonte unter anderem, die Lage sei anders, weil – im Gegensatz zu 2016 – derzeit eine Partei, die Republikaner, sowohl den Präsidenten als auch die Mehrheit im Senat stellten, wenn auch nur hauchdünn. Eine erfolgreiche Nominierung ist aber alles andere als gesichert, da mehrere republikanische Senatorinnen und Senatoren um ihre Wiederwahl bangen und teils auch um demokratische Wählerinnen und Wähler buhlen müssen.

„Aus Fairness gegenüber dem Volk“

Eine von ihnen ist die moderate Republikanerin Susan Collins. „Aus Fairness gegenüber dem amerikanischen Volk“ solle die Wahl abgewartet werden, sagte sie. Eine klare Absage für eine schnelle Nachbesetzung kam schließlich auch von Collins’ Parteikollegin Lisa Murkowski. Die Senatorin aus dem US-Bundesstaat Alaska sprach sich am Sonntag klar dagegen aus, dass man sich kurz vor einer Präsidentenwahl mit einer Vakanz am Obersten Gerichtshof beschäftigt.

Wenig überraschend sträuben sich auch die Demokraten gegen eine rasche Ernennung vor den Präsidentschafts- und Kongresswahlen am 3. November. „Diese Vakanz sollte nicht besetzt werden, bis wir einen neuen Präsidenten haben“, sagte der demokratische Minderheitsführer im Senat, Chuck Schumer. Die Vereidigung des Präsidenten soll am 20. Jänner 2021 stattfinden.

Biden-Appell an Senatoren

Sollte der Präsident der Vereinigten Staaten dann erneut Donald Trump heißen,
„dann sollte der Senat über seine Auswahl entscheiden – und diesen Nominierten fair beurteilen“, sagte demokratische US-Präsidentschaftskandidat Joe Biden: „Aber wenn ich die Wahl gewinne, sollte Präsident Trumps Nominierung zurückgezogen werden.“ Biden rief den Senat ebenfalls auf, nicht vor der Wahl über den Nachfolger oder die Nachfolgerin von Ginsburg abzustimmen. Das Vorhaben Trumps, den möglichst schnell zu besetzen, sei ein Akt „roher politischer Macht“, sagte Biden am Sonntag in einer Rede in Philadelphia.

„Es wird eine Frau sein“

Bei einem Wahlkampfauftritt im US-Bundesstaat North Carolina legte sich Trump fest: „Es wird eine Frau sein.“ Er Trump nannte auch zwei Namen, jene der Bundesrichterinnen Amy Coney Barrett und Barbara Lagoa. Seine wahrscheinlichste Wahl sei Barrett aus Chicago, berichtete unter anderem der Fernsehsender ABC unter Berufung auf Regierungskreise. Sie ist als klare Abtreibungsgegnerin bekannt – ein zentrales Thema für die Konservativen in den USA.

Mitch McConnell
Reuters/Alexander Drago
An ihm hängt vieles: McConnell will Trumps Ernennungsvorschlag zur Abstimmung im Senat bringen

Die Auswahl der Richter des Obersten Gerichtshofs der USA zähle zu den wichtigsten Entscheidungen, für welche die Republikaner gewählt worden seien, schrieb der Präsident zudem auf Twitter. „Wir haben diese Verpflichtung ohne Aufschub!“ Dabei wäre eine Abstimmung so kurz vor der Präsidentschaftswahl äußerst ungewöhnlich. Doch könnte Trump, der in den Umfragen derzeit hinter seinem demokratischen Herausforderer Biden liegt, zudem weitere Stimmen von Abtreibungsgegnern und anderen erzkonservativen Gruppen sichern.

Die Möglichkeit, das politische Gewicht im Höchstgericht zu verändern, ist eine der wichtigsten Motivatoren in den USA, wählen zu gehen. Hier halten Trump und die Republikaner vorerst jedenfalls fast alle Trümpfe in ihren Händen. Das Tauziehen um die Nachfolge wird aber sowohl die republikanische wie die demokratische Wählerschaft stärker mobilisieren. Für Trump ist es die einzigartige Gelegenheit, die Wahl von einer Abrechnung mit ihm und vor allem mit seinem Umgang mit der Pandemie und den Protesten gegen Rassismus zu einer Wahl über die Zukunft des Höchstgerichts zu machen.

Auswirkungen auf Abtreibungs- und Waffengesetz?

Ginsburg war am Freitag im Alter von 87 Jahren an Krebs gestorben. Der Tod der liberalen Juristin löste über die Landesgrenzen hinaus Bestürzung aus. Die älteste Richterin am Supreme Court war 1993 vom damaligen demokratischen US-Präsidenten Bill Clinton bestellt worden und unter anderem wegen ihres Einsatzes für Frauenrechte besonders im liberalen Spektrum höchst beliebt. Zu ihren wichtigsten Errungenschaften gehört, dass sich im Supreme Court die Lesart durchsetzte, dass der 14. Zusatzartikel zur US-Verfassung die Gleichberechtigung von Frauen schützt. Auf dieser Basis konnte Diskriminierung von Frauen als verfassungswidrig angeprangert werden.

Blumenmeer vor dem Weißen Haus in Washington
APA/AFP/Jose Luis Magana
Vor dem Obersten Gerichtshof der USA legten Trauernde Tausende Blumen nieder

Trump hat seit 2017 bereits zwei neue Verfassungsrichter im neunköpfigen Gremium ernannt, beide werden dem konservativen Lager zugeordnet: Neil Gorsuch und Brett Kavanaugh, der in seinem Nominierungsverfahren mit den schweren Vorwürfen sexueller Belästigung und versuchter Vergewaltigung konfrontiert war, die er vehement zurückwies. Trump hat damit eines seiner zentralen Wahlversprechen für eine seiner wichtigsten Wählergruppen, die Evangelikalen, erfüllt.

Ginsburg war eine der vier verbliebenen Liberalen. Die Einsetzung eines sechsten konservativen Richters bzw. einer Richterin könnte die US-Rechtsprechung langfristig etwa beim Abtreibungs- und Waffengesetz, beim Gesundheitssystem oder den Rechten sexueller Minderheiten prägen. Ginsburg hatte laut einem Bericht des Senders NPR kurz vor ihrem Tod die Hoffnung geäußert, dass ihre Nachfolge erst nach der Präsidentschaftswahl bestimmt werde. Wenige Tage vor ihrem Tod diktierte sie demnach ihrer Enkelin Clara Spera ihren „letzten Willen“: „Mein sehnlichster Wunsch ist, dass ich nicht ersetzt werde, bis ein neuer Präsident eingesetzt wurde.“