Mann mit Gesichtsvisier
APA/AFP/Cristina Quicler
Coronavirus

Studien stellen Gesichtsvisiere infrage

Das verpflichtende Tragen von Masken und Gesichtsvisieren ist weltweit zu einer der gängigsten Maßnahmen im Kampf gegen das Coronavirus geworden. Zuletzt mehrten sich aber Stimmen und Studien, die vor allem die Wirksamkeit der Schilde infrage stellten. Diese seien Fachleuten zufolge kaum bis gar nicht in der Lage, die Verbreitung des Virus über Aerosole im Zaum zu halten.

Zweifel am Schutz der Schilde – die in erster Linie das Umfeld, nicht den Träger schützen sollen – gab es zuletzt etwa aufgrund von Simulationen des schnellsten Supercomputers der Welt Fugaku in Japan. Dabei wurde festgestellt, dass fast 100 Prozent der Tröpfchen, die kleiner als fünf Mikrometer sind, den gemeinen Plastikvisieren entweichen. In der Medizin werden Flüssigkeitspartikel, die kleiner als fünf Mikrometer sind, meist als Aerosole bezeichnet. Diese winzigen Teilchen können ebenfalls infektiöses Material transportieren.

Darüber hinaus zeigte sich den Forschern des japanischen Forschungsinstituts Riken zufolge, dass auch circa die Hälfte der Tröpfchen, die größer als 50 Mikrometer sind, von den Visieren nicht abgehalten werden. Die Simulation habe Luftströmungen mit der Reproduktion von Zehntausenden Tröpfchen unterschiedlicher Größe – von unter einem Mikrometer bis zu mehreren hundert Mikrometern – kombiniert, erklärt Makoto Tsubokura, Computerwissenschaftler und führender Forscher bei Riken.

Barkeeper mit Gesichtsvisier
Reuters/Issei Kato
Klarsichtvisiere gibt es bereits in unterschiedlichsten Ausführungen

Japanischer Experte warnt vor Visieren

Tsubokura warnte im „Guardian“-Interview auch davor, das Plastikvisier der Maske vorzuziehen. Die Wirksamkeit von Schilden sei den Erkenntnissen zufolge und auch im Vergleich mit der Wirksamkeit von Masken nur sehr limitiert, so der Experte. „Das trifft vor allem für Tröpfchen, die kleiner als 20 Mikrometer sind, zu“, fügt er hinzu.

Besonders beliebt sind Visiere in Dienstleistungssektoren, wo viel Kundenkontakt besteht: in der Gastronomie, im Handel oder auch in Friseursalons. Ähnlich wie bei den Masken gibt es die Schilde bereits in unterschiedlichsten Ausführungen – etwa Minivisiere, die nur Mund und Nase bedecken, oder solche, die über das ganze Gesicht reichen. „Gesichtsvisiere können als Mund-Nasen-Schutz verwendet werden“, heißt es auf der Homepage des Sozialministeriums. Hierzulande ist die Maskenpflicht zuletzt wieder ausgeweitet worden.

Mann an einer Bar mit einem Gesichtsvisier
Reuters/Leonhard Foeger
Besonders beliebt sind Gesichtsvisiere bei Beschäftigten in der Gastronomie

Die japanischen Forscherinnen und Forscher fanden auch heraus, dass Masken aus Vliesstoff effektiver sind als solche aus Baumwolle oder Polyester. Der Supercomputer, der rund 1,1 Milliarden Euro wert ist, soll erst im kommenden Jahr voll funktionstüchtig sein. Fachleute hoffen dennoch darauf, dass er bei der Suche nach wirksamen CoV-Behandlungsmethoden helfen kann.

US-Studie mit ähnlichem Ergebnis

Erst vor wenigen Wochen konnten US-Wissenschaftler mit Laserstrahlen zeigen, wie wenig wirksam Gesichtsvisiere und Schutzmasken mit Ventil gegen eine Verbreitung des Coronavirus sind. Für eine im Fachmagazin „Physics of Fluids“ veröffentlichte Studie setzten sie einer Spezialpuppe ein Plastikvisier oder eine Gesichtsmaske mit einem Atemventil auf.

Durch den Mund der Puppe wurden destilliertes Wasser und Glyzerin in Form winziger Tröpfchen gesprüht – wie wenn jemand hustet oder niest. Mit Laserstrahlen konnte die Bewegung der Aerosole gezeigt werden. Ein Visier blockte den Ausstoß der Tröpfchen zwar ab, wie die Forscher der Florida Atlantic University schreiben. Aber: „Die ausgestoßenen Tröpfchen können sich relativ leicht um das Visier herumbewegen und sich in einem größeren Gebiet ausbreiten.“ Bei Masken mit einem Ventil sei es ähnlich. Dort werde die Luft durch die Öffnungen am Ventil ungefiltert herausgedrückt und verteile sich ebenfalls.

Den US-Zentren für Krankheitskontrolle (CDC) zufolge sei „nicht bekannt, ob Gesichtsvisiere auch nur irgendeinen Nutzen als Mittel zum Schutz anderer vor Partikel in der Atemluft haben. Das CDC empfiehlt nicht die Verwendung von Gesichtsvisieren bei normalen Alltagsaktivitäten oder als Ersatz für Masken.“ Man müsse sie jedenfalls nach jeder Verwendung reinigen und desinfizieren. Für Kinder und Neugeborene seien sie keinesfalls zu empfehlen.

Warnungen im deutschsprachigen Raum

Warnungen kamen auch aus dem deutschsprachigen Raum. Für das deutsche Robert Koch-Institut stellen Visiere keine gleichwertige Alternative zu Masken dar. Die deutsche Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin rät ebenso von Visieren ab, da sie nicht vor erregerhaltigen Aerosolen schützten. Diese könnten durch den Spalt zwischen Gesicht und Visier ungehindert in die Raumluft gelangen.

Heimische Experten gegen Visiere

Klarsichtvisiere (KLV) bilden „eine mechanische Barriere für größere Tröpfchen (…). Schwebefähige Kleinst-Partikel werden hingegen fast ungehindert an die Umgebung abgegeben, weil ein KLV die Ein- und Ausatemluft lediglich umlenkt“, hieß es seitens der Österreichischen Gesellschaft für Hygiene, Mikrobiologie und Präventivmedizin Ende Juli.

Dennoch nannten die heimischen Experten in ihren Stellungnahmen auch Mindestanforderungen für Gesichtsvisiere: Diese müssen „deutlich unter das Kinn reichen“, bis zu den Ohren gehen – und die Verbindung des Kopfteils mit der Stirn sollte durchgehend sein und dicht sitzen.

Eine Maske würde durch Filtrationswirkung hingegen auch einen Teil der mit der Ein- oder Ausatemluft anströmenden Partikel zurückhalten, halten die Experten zudem fest. Die Masken waren zu Beginn der Krise nicht unumstritten. Mittlerweile herrscht beim Gros der Expertinnen und Experten aber Einigkeit, dass sie ein Mittel zum Schutz sind, vor allem wenn Abstandhalten nicht möglich ist.

Frau mit Maske in einem Geschäft
APA/Helmut Fohringer
Fachleute mahnen zum Tragen von Masken – diese seien effektiver als Visiere

US-Studie: Maske schützt auch Träger

Der deutsche Virologe Christian Drosten zeigte sich im „Tagesspiegel“-Interview zuversichtlich, dass eine Maskenpflicht – auch trotz Maskenverweigerern – kombiniert mit einer weiteren Maßnahme greifen würde. Eine im Fachmagazin „Nature“ erschiene Studie anhand der SARS-Epidemie 2002 zeige, dass „zwei verschiedene Sorten von Maßnahmen kombiniert gut funktionieren: eine breit angelegte, die nur etwa 20 Prozent Durchschlagskraft haben muss, also zum Beispiel das Maskentragen, zusätzlich eine gezielte Maßnahme gegen Cluster, also das Eindämmen von Superspreading-Events, wenn eine Person sehr viele weitere ansteckt“, so Drosten.

Überraschende Hinweise lieferte unterdessen eine US-Studie über die Wirksamkeit von Masken. Masken, die in erster Linie als Fremdschutz in geschlossenen Räumen dienen sollen, könnten auch den Trägerinnen und Trägern Vorteile bieten. Masken könnten die Dosis an infektiösem Material reduzieren, die eine Person aufnimmt. Selbst wenn man das Virus aufnehme, sei es wahrscheinlich, dass die Infektion sich nur mit milden oder sogar gar keinen Symptomen bemerkbar mache, sagte Studienautorin Monica Gandhi dem US-Radiosender NPR.