Baustelle des AKW Hinkley Point bei Bridgwater
Reuters/Peter Nicholls
Beihilfe für Hinkley Point

Österreich nach EuGH-Urteil enttäuscht

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die österreichische Klage gegen staatliche Beihilfen für das geplante britische Atomkraftwerk Hinkley Point C am Dienstag abgewiesen. Heimische Politikerinnen und Politiker sowie Umweltschutzorganisationen reagierten enttäuscht.

Das Urteil sei „eine Fehlentwicklung in Europa, gegen die wir entschieden auftreten werden“, so Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne). Nachdem ein „veralteter Euratom-Vertrag“ Basis der Entscheidung gewesen sei, müsse Österreich mit aller Kraft auf eine Reform von Euratom drängen, so die Ministerin. Gewessler sucht nun Verbündete, um eine „Vertragsstaatenkonferenz“ der Mitgliedsländer für eine grundlegende Reform des Vertrages einzuberufen.

Für die Einberufung einer Konferenz sei eine Mehrheit ausreichend, so Gewessler, die allerdings einräumte, dass die inhaltlichen Entscheidungen dann einstimmig fallen müssen. Gewessler hat ein Gutachten bei der Europarechts- und Beihilfenexpertin Dörte Fouquet in Auftrag gegeben, das ausloten soll, welche Änderungen im Euratom-Vertrag vorzuschlagen sind. Gemeinsam mit Luxemburg hatte Österreich im November 2019 die Einigung auf das milliardenschwere nächste Euratom-Programm blockiert, das ab 2021 gelten soll.

Baustelle des AKW Hinkley Point bei Bridgwater
Reuters/Peter Nicholls
Österreich stemmt sich gegen Beihilfen für europäische Atomkraftwerke

Brunner: „Falsches Signal“

Zahlreiche Reaktionen kamen zudem von ÖVP-Politikern. Magnus Brunner (ÖVP), Staatssekretär im Umweltministerium, bezeichnete die Entscheidung als „völlig falsches Signal und auch rechtlich unverständlich“. Die Regierung wolle bis 2030 bilanziell 100 Prozent des Strombedarfs in Österreich aus erneuerbaren Energiequellen decken. Österreich sei „Vorreiter in Europa“, so Brunner.

Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) sah im Urteil einen „Rückschlag für den Ausbau der erneuerbaren Energie in Europa“. „Höchstgerichtliche Urteile sind natürlich zu akzeptieren. Festzuhalten ist allerdings, dass Gerichte auf Basis der geltenden Rechtslage urteilen“, sagte Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP). Österreich werde sich daher auch weiterhin vehement gegen Atomkraft und den entsprechenden rechtlichen Rahmen auf EU-Ebene einsetzen.

SPÖ über Entscheid: „Energiepolitisches Mittelalter“

In dieselbe Kerbe schlugen heimische EU-Parlamentarier: Der „Pannenmeiler Hinkley Point C illustriert gut, dass Atomkraft gar nicht ohne Milliardensubventionen vom Staat betrieben werden kann“, kritisierte die ÖVP-Delegationsleiterin im Europaparlament, Angelika Winzig. Auch SPÖ-Umweltsprecher im Europaparlament, Günther Sidl, sprach sich dafür aus, das EU-Beihilfenrecht und den Euratom-Vertrag anzupassen und zu modernisieren.

EuGH: Niederlage für Österreich

Die österreichische Bundesregierung hatte dagegen geklagt, dass das britische Atomkraftwerk Hinkley Point staatliche Beihilfen bekommt. Der Europäische Gerichtshof sieht in den Beihilfen allerdings kein Problem, für Umweltministerin Leonore Gewessler von den Grünen ein „ernüchterndes Urteil“.

Es sei ein „Rückschlag im Kampf um mehr erneuerbare, nachhaltige Energieformen und eine Absage an fortschrittliche Energie- und Umweltpolitik“, so SPÖ-Umweltsprecherin Julia Herr in einer Aussendung. Weiteren „Subventionen für gefährliche“ AKWs seien Tür und Tor geöffnet. SPÖ-Energiesprecher Alois Schroll kritisierte, dass auf Kosten der Steuerzahler „Fördermittel für derartig rückschrittliche Projekte verteilt und verwendet werden dürfen. Auf diese Weise katapultieren wir uns direkt ins energiepolitische Mittelalter.“

Kritik aus der FPÖ kam vom stellvertretenden Bundesparteiobmann Manfred Haimbuchner: Er nannte die Rechtssprechung „wenig nachvollziehbar“. Das Urteil stelle „wenig nachhaltige Partikularinteressen“ hinter eine gesamteuropäische Strategie. Haimbuchner betonte, dass die Bedürfnisse einzelner europäischer Länder bei der Verteilung von Förderungen und Subventionen in allen Bereichen Berücksichtigung finden müsse, jedoch dürften diese nicht gegen gemeinsame europäische Ziele in Fragen einer umfassenden europäischen Verteidigung stehen, zu denen er auch den strategisch wichtige Energiesektor zähle.

Ähnliches Urteil bei ungarischem AKW erwartet

Das Urteil des EuGH sei „keine gute Nachricht“ für Österreichs Bemühungen, Beihilfen für andere Atomkraftwerke zu verhindern, hieß es seitens Gewesslers zudem. So hat Österreich gegen Beihilfen für das ungarische AKW Paks 2 geklagt, dieses Verfahren war bis zum Urteil von Dienstag ruhend gestellt. Es sei wahrscheinlich, dass sich das Urteil zu Paks 2 am Urteil zu Hinkley Point orientiert, so die Ministerin.

Weltweit werde „aus gutem Grund“ deutlich mehr Geld in erneuerbare Energieträger als in Atomkraftwerke investiert, so Gewessler. Das gelte sogar für China. „Unsere Arbeit für ein atomkraftfreies Europa geht weiter. Atomkraft ist und bleibt eine Hochrisikotechnologie, veraltet, langsam und teuer.“

Innenansicht von Block 2 des AKW PAks in Ungarn
APA/AFP/Attila Kisbenedek
Österreich klagte auch gegen Beihilfen für das ungarische AKW Paks 2

Global 2000 für Konferenz zu Euratom

Global 2000 rief die Regierung auf, die Mehrheit der nicht nuklearen europäischen Mitgliedsstaaten zur Einberufung einer Vertragsstaatenkonferenz zu Euratom einzuberufen, wie es im Regierungsprogramm vorgesehen sei. „Der Europäische Gerichtshof erkennt in seinem heutigen Urteil immerhin, dass die Argumentation des Europäischen Gerichts falsch war, dass ‚Atom über allem‘ stehe“, sagte Reinhard Uhrig, Atomsprecher der Umweltorganisation.

„Dennoch argumentiert der Gerichtshof, dass Atomkraft in die freie Wahl der Energieträger der Mitgliedsstaaten fällt – das hat niemand bestritten, sondern dass die unwirtschaftliche, veraltete Technologie Atomkraft mit unbegrenzten Mengen von Steuergeld der einzelnen Staaten gefördert werden kann. Im Sinne des freien Wettbewerbs der immer günstiger werdenden erneuerbaren Energieträgern würde dies eine massive Marktverzerrung verursachen“, warnte Uhrig.

EuGH: Staatliche Beihilfen mit Binnenmarkt vereinbar

Der EuGH bejahte zuvor, dass der Bau eines Kernkraftwerks in den Genuss einer von der EU-Kommission genehmigten staatlichen Beihilfe kommen kann. „Der Gerichtshof bestätigt den Beschluss, mit dem die Kommission die britischen Beihilfen zugunsten des Kernkraftwerks Hinkley Point C genehmigt hat“, teilte der EuGH am Dienstagvormittag mit. Österreich hatte gegen diesen Beschluss 2015 Klage eingebracht.

Es sei nicht erforderlich, „dass mit der geplanten Beihilfe ein Ziel von gemeinsamem Interesse verfolgt wird“, teilte das Gericht mit. Der Gerichtshof bestätigte zwar die Einwände, wonach Staatsbeihilfen zugunsten eines Wirtschaftszweigs nicht für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt werden können, wenn sich herausstellt, dass sie gegen den Bereich der Umwelt betreffende Vorschriften des Unionsrechts verstoßen.

„Der Rechtsfehler, der dem Gericht insoweit unterlaufen ist, hat sich aber letztlich nicht auf den Tenor des angefochtenen Urteils ausgewirkt. Denn der Grundsatz des Umweltschutzes, das Vorsorgeprinzip, das Verursacherprinzip und der Grundsatz der Nachhaltigkeit, auf die sich Österreich zur Stützung seiner Nichtigkeitsklage berufen hat, stehen jedenfalls nicht dem entgegen, dass staatliche Beihilfen für den Bau oder den Betrieb eines Kernkraftwerks gewährt werden“, hieß es. Dem Vereinigten Königreich stehe es frei, die Zusammensetzung seines Energiemixes zu bestimmen.

Österreich blitzte 2018 in erster Instanz ab

Österreich war bereits 2018 in erster Instanz mit seiner Klage gegen Staatsbeihilfen für das AKW vor dem EuGH abgeblitzt. Der zuständige Generalanwalt Gerard Hogan vertrat in seinem Gutachten die Ansicht, dass das Gericht die Klage zu Recht abgewiesen hatte. Die EuGH-Richter sind nicht an die Gutachten der Generalanwälte gebunden, folgen ihnen aber oft.

Der Generalanwalt führte damals aus, die Entwicklung der Kernkraft, wie sie im Euratom-Vertrag zum Ausdruck komme, sei ein klar definiertes Ziel des EU-Rechts, und dieses Ziel könne anderen Zielen des Unionsrechts wie etwa dem Umweltschutz nicht untergeordnet sein. Nach dem EU-Vertrag müsse mit einer Beihilfe weder ein „Ziel von gemeinsamem Interesse“ noch ein „Ziel von öffentlichem Interesse“ verfolgt werden. Die Beihilfe müsse lediglich der „Förderung gewisser Wirtschaftszweige“ dienen und dürfe „die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft“.

Dem Argument Österreichs, dass die Bestimmungen des Euratom-Vertrags weder den Bau weiterer Kernkraftwerke noch die Ersetzung und Modernisierung alternder Werke durch aktuellere, bereits entwickelte Technologien deckten, folgte der Generalanwalt nicht.

Unterstützung für Österreich

Gegen das Urteil hatte Österreich umgehend Berufung eingelegt, weil auf einige Punkte der österreichischen Argumentation in dem Urteil nicht eingegangen wurde. In dem Verfahren wurde Österreich von Luxemburg unterstützt, die EU-Kommission hingegen von Großbritannien, Tschechien, Frankreich, Ungarn, Polen, Rumänien und der Slowakei.

Die EU-Kommission hatte die Staatsbeihilfen im Oktober 2014 genehmigt. Dabei geht es unter anderem um eine garantierte Ausgleichszahlung für den AKW-Betreiber, falls das Kraftwerk aus politischen Gründen vorzeitig abgeschaltet wird. Großbritannien hatte den Betreibern einen hohen garantierten Einspeisetarif für 35 Jahre zugesagt.

Nur alternative Energieformen für Wien förderungswürdig

Aus der Sicht Österreichs sind alternative Energieformen förderungswürdig, nicht aber die Kernkraft. Außerdem wurde der Kritikpunkt der Wettbewerbsverzerrung geäußert. Großbritannien hatte unter anderem argumentiert, dass Investitionen notwendig seien, um den Strombedarf des Landes auch in den nächsten Jahrzehnten decken zu können.

Der vom französischen Staat kontrollierte Stromkonzern EDF will das AKW in der Nähe von Bristol an der Küste Südwestenglands unter Beteiligung eines chinesischen Konzerns bauen. Es sollen Druckwasserreaktoren vom Typ EPR gebaut werden. Das Kraftwerk soll 2023 in Betrieb gehen und 60 Jahre laufen. Die Inbetriebnahme könnte sich allerdings verschieben. Aber auch wegen der hohen Kosten ist das Projekt nicht unumstritten.