Bild zeigt einen Kleintransporter der in Richtung Rocky Mountains fährt.
AP/David Zalubowski
Künftig niedriger

Die Neuvermessung der USA

Es ist ein Riesenprojekt, das am Ende eineinhalb Jahrzehnte gedauert haben wird: Die USA werden, erstmals seit den 1980er Jahren, neu vermessen – und zwar die Höhen. Vor allem im Nordwesten der USA wird das bemerkbar sein. Auch in Europa läuft ein Projekt zur Modernisierung und Vereinheitlichung der Höhenangaben. Was trocken klingt, gewinnt täglich mehr an Bedeutung: Zentimetergenaue Angaben sind die Voraussetzung für neue Technologien wie selbstfahrende Autos oder Drohnen.

Das ganze Projekt ist auch deshalb so aufwendig, weil es eine Systemumstellung mit sich bringt: Als Referenzpunkte werden dann künftig nicht mehr die rund 1,5 Millionen über die gesamten USA verteilten Messpunkte verwendet, sondern GPS-Daten. Viele Wahrzeichen, ob es die Wolkenkratzer von New York, Berggipfel oder Täler sind, werden künftig andere Geodaten haben. Die meisten werden niedriger sein.

Am stärksten wird die Änderung an der nordwestlichen Pazifikküste sein. Dort werden sich laut Juliana P. Blackwell, Leiterin des Vermessungsprojekts National Geodetic Survey (NGS), die Höhenangaben von den derzeitigen um bis zu fünf Fuß (eineinhalb Meter), in Teilen Alaskas sogar bis zu 6,5 Fuß (fast zwei Meter) unterscheiden. Seattle werde 4,3 Fuß (1,3 Meter) tiefer liegen als jetzt.

Florida wird „angehoben“

Die Fehlerhaftigkeit der aktuellen Messung ist im Nordwesten der USA am größten und im Südosten am geringsten. Florida dürfte künftig etwas höher liegen als derzeit. Vermessungsingenieure (Geodäten) messen und berechnen dazu die Form und Größe des Gravitationsfelds der Erde neu und definieren das sogenannte vertikale und horizontale Datum. Als Nullniveau wird dabei meist der mittlere Meeresspiegel definiert. Dieser wiederum wird aus jahrelangen Messwerten ermittelt.

Bild zeigt überflutete Straßen nach einem Hurrikan in Pensacola, Florida.
APA/AFP/Chandan Khanna
Auch für die Einstufung von Bebauungsplänen – etwa wegen Überflutungsgefahr – sind die neuen Höhendaten relevant

Reale Folgen

Für manche Menschen in den USA könnten die neuen Höhenangaben zu einem Problem werden, befürchtete Blackwell bereits im Vorjahr gegenüber der „New York Times“. So machten sich Leute in Colorado Sorgen, dass mehrere Berggipfel, die derzeit knapp über einer Tausender-Marke liegen, künftig darunterfallen könnten. Folgenreicher aber ist wohl, dass in Beaumont, nordöstlich der texanischen Großstadt Houston gelegen, Gebiete künftig teils als hochwassergefährdet eingestuft werden. Für die Besitzer bedeutet das höhere Versicherungskosten.

„Höhenmodernisierung“ auf den Zentimeter

Die große Neuvermessung, offiziell „Höhenmodernisierung“ genannt, ist Teil eines breiteren Projekts der US-Wetter- und Ozeanografie­behörde National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA). Dabei soll genauer festgelegt werden, wo sich die USA physisch genau auf der Erde befinden, so die „New York Times“ in einem ausführlichen Bericht zu dem Projekt.

Bei der Definition von Überschwemmungszonen, dem Überwachen der Veränderung des Meeresspiegels oder beim Landen eines Flugzeugs bei schlechter Sicht können „einige wenige Zentimeter einen entscheidenden Unterschied machen“, erläutert NGS selbst die Bedeutung der „Höhenmodernisierung“.

Das neue Messsystem NSRS (National Space Reference System) wird von der National Geodetic Survey (NGS) realisiert. Es wird die älteren Systeme aus den 1980er Jahren ersetzen, deren Werte teils deutlich von den mit neuesten Methoden errechneten abweichen. Hauptursache ist, dass die terrestrischen Referenzpunkte sich mit der Zeit verändern – etwa etwas absinken, abgenutzt werden oder schlicht verschwinden.

Grafik zeigt erwartete Änderungen der orthometrischen Höhe durch verbesserte Messtechniken, in den USA.
National Geodetic Survey/Dru Smith
An der Farbskala ist erkennbar, dass Teile Floridas künftig etwas höher liegen dürften, während der Nordwesten am stärksten „abgeflacht“ wird.

Startschuss durch Jefferson

Bereits 1807 gab der damalige US-Präsident Thomas Jefferson den Auftrag, die Küsten zu vermessen, um die Schifffahrt sicherer zu machen. Dafür wurde die Survey of the Coast geschaffen, ein Vorläufer der heutigen NGS, und die erste wissenschaftliche Regierungsagentur der USA.

Mit der Expansion in den Westen kam die Vermessung des Landesinneren hinzu. Vermesser verankerten Metallmesspunkte in den Landstrichen – oft nur eine Meile voneinander entfernt. Von all diesen Punkten wurde die Seehöhe errechnet. Wer die Höhe eines Gebäudes oder eines Hügels berechnen wollte, bezog sich auf den nächstgelegenen Messpunkt. Ziel war es, ein US-weit einheitliches Höhensystem zu haben. Das war etwa wichtig, damit, wenn eine Brücke zwischen zwei Bundesstaaten gebaut wurde, die beiden Bauteile einander in der Mitte tatsächlich auch trafen.

Fünfmal wurde in den USA im 20. Jahrhundert das Höhensystem adaptiert – zuletzt 1988. Doch dieses war vor allem für Kalifornien und Texas ungenau – einerseits wegen der Bewegung der tektonischen Platten und wegen der Öl-, Gas- und Wasserförderung.

Weitreichende Bedeutung

Das umfangreiche Projekt wird laut Blackwell im Alltag schnell von weitreichender Bedeutung sein: Die dadurch gegebene Möglichkeit, Höhen und Positionskoordinaten rascher und exakter zu bestimmen, wird etwa für den Einsatz von Drohnen, selbstfahrenden Autos und ferngesteuerten Luftsystemen von entscheidender Bedeutung sein. Aber auch für die Landwirtschaft, bei großen Bauprojekten und für Behörden, die Wetter und Klimaveränderungen beobachten, werden die neuen, exakten Daten von Bedeutung sein. Die Berechnung von überflutungsgefährdeten Zonen sowie die Vorabschätzung der Folgen von Sturmfluten oder Erdbeben sollen dadurch genauer werden.

Luftaufnahme der österreichischen Alpen.
APA/AFP/Christof Stache
Luftaufnahme der verschneiten heimischen Alpen

Doppelte Herausforderung in Europa

Vor ähnlichen Herausforderungen steht auch Europa. Hier sind die Höhensysteme ebenfalls historisch gewachsen und daher – anders als in den USA – auch noch von Land zu Land unterschiedlich. Der Nullpunkt – die Meeresoberfläche – im heimischen Höhensystem stammt noch aus der Monarchie und bezieht sich auf die Adria bei Triest. In Deutschland etwa gilt dagegen der Meeresspiegel der Nordsee in Amsterdam als Referenzwert. Mit der Folge, dass sich das österreichische und deutsche Höhensystem um mehrere Dezimeter unterscheiden.

Seit 2018 läuft ein deutsch-österreichisch-schweizerisches Projekt, zunächst für den Alpenraum (ca. 100 km Ausdehnung um Vorarlberg und Tirol), um das Höhensystem zu vereinheitlichen. Dabei wurden laut Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen (BEV) gute Fortschritte erzielt. Daher wird derzeit eine Ausweitung des Projekts auf alle Anrainerländer Österreichs und den gesamten Alpenraum initiiert.

Für dieses Projekt werden vom Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen (BEV) seit 2018 spezielle Schweremessungen in den Alpen mit Gravimetern durchgeführt. Dadurch lassen sich sogenannte Schwereanomalien genauer erkennen, welche auf lokale oder regionale Dichteunterschiede und der Mächtigkeit von geologischen Strukturen in der Erde hinweisen, so Christian Ullrich, Geophysiker im BEV gegenüber ORF.at. Mit diesen Schweredaten wird dann mit komplizierten mathematischen Rechenalgorithmen das Geoid von verschiedenen Forschungsinstituten (u. a. der TU Graz) berechnet, die Lösungen miteinander verglichen und analysiert.

GPS nicht genau genug

Zur Berechnung zentimetergenauer Höhensysteme seien Messungen von Satelliten (GPS) oder per Flugzeug nicht genau genug. Das müsse auf dem Boden geschehen. Konkret wird dabei über ein Land oder einen Kontinent ein Raster gelegt. In ein bis maximal drei Kilometer Entfernung müssen dann mit einem Gravimeter Erdschweremessungen durchgeführt werden.

Dazu kommt, dass die Anziehungskraft je nach geologischer Schichtung unterschiedlich ist. Aus diesen Daten wird dann das Geoid berechnet. Dieses entspricht in etwa dem mittleren Meeresspiegel der Ozeane und ist die entscheidende Bezugsfläche zur Berechnung der Höhen. Ullrich ist überzeugt, dass es „mittelfristig“ ein einheitliches Höhensystem für die EU oder Europa insgesamt geben wird.

Eine Frage von vielen Jahren

Auch in den USA gibt es aber bei der Vereinheitlichung und Umstellung auf das neue Datum ein Problem: Aus rechtlichen Gründen (etwa Verträge, in denen Messpunkte angeführt sind), wegen des technischen und finanziellen Aufwands und wegen der Notwendigkeit, aktuelle Datensätze mit solchen aus der Vergangenheit vergleichbar halten zu müssen, wird auch in den USA damit gerechnet, dass die Umstellung nur schrittweise erfolgen und letztlich viele Jahre dauern wird. Dem optimistischsten Szenario von NGS zufolge werden nach einem Jahrzehnt 62 Prozent aller Nutzer (öffentliche Hand und Wirtschaft) umgestiegen sein.

Klimaveränderung verändert Form der Erde

Wie lange das neue Geoid-Modell stimmen wird, ist dabei offen: Die Klimaveränderung führt zu einem Anstieg der Meeresspiegel und verändert damit die Erdschwere. Diese durch CO2-Ausstoß generierte Masseveränderung auf der Erdoberfläche „verändert tatsächlich die Form der Erde“, so der Geophysiker James L. Davis von der Columbia University gegenüber der „New York Times“.

Die Klimaveränderung führt auch in Österreich zu einem starken Abschmelzen der Gletscher. Dieser Verlust an Eismasse bewirkt eine Änderung der Schwerkraft, die auch vom BEV mit Absolutgravimetern hochgenau gemessen wird. Gerade im Alpenraum sind durch die tektonischen Aktivitäten vertikale Höhenänderungen im Gang und können damit auch das Geoid und die Höhenangaben in Österreich über die Jahrzehnte im Zentimeter-Bereich ändern. Um diese Effekte zu untersuchen, werden im BEV mehrere Monitoringstationen betrieben, welche die Änderung der Schwere, der Lage und Höhe aufzeichnen.