Szene aus dem Film „Das Fieber“
Jana Fitzner/pooldoks
Doku

Aufstand gegen das Malaria-Business

Die Doku „Das Fieber“ geht einen neuen Weg: Es wird über ein afrikanisches Problem berichtet – aus rein afrikanischer Perspektive. Das Projekt von Regisseurin Katharina Weingartner ist eine Herausforderung. Es geht um eine Krankheit, die mit knapp einer halben Million mehr Menschen tötet als alle Kriege zusammengerechnet, und das Jahr für Jahr: Malaria. Es geht ums Geschäft.

Mit Zahlen, Daten und Fakten ist das so eine Sache. Wer gegen „Fake News“ ist, ist für Zahlen, Daten und Fakten. Aber Zahlen, Daten und Fakten sind nicht immer unschuldig. Erstens können sie schlicht gefälscht sein, was im Alltag schwer zu überprüfen ist. Oder aber sie werden aus einem bestimmten Interesse erhoben, wobei dieses Interesse dann die Art der Erhebung und die Interpretation der Daten bestimmt.

Um nicht länger um den heißen Brei herumzureden: Es geht ums Geld. Und wo das Geld ist, ist die Forschung. Der Film bietet im Fall der Malaria folgende Interpretation an: Die große, internationale Pharmalobby benutzt ihren Einfluss dazu, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO), Hilfsorganisationen wie die Gates Foundation und ostafrikanische Staaten mit Hilfsgeldern bei ihnen, also den großen Pharmakonzernen, Malariaforschung in Auftrag geben und ihre Produkte kaufen und dann in Ostafrika günstig weitergeben oder kostenlos verteilen.

Mit einem Pflänzchen gegen Malaria

In Krankenhäusern werden aber meist nur jene versorgt, die krankenversichert sind oder sich eine Behandlung leisten können. Außerhalb des offiziellen Gesundheitswesens stehen die Medikamente nicht zur Verfügung. Billigere Medikamente, die sich auch arme Menschen leisten können, könnten theoretisch in Afrika selbst produziert werden. Das wird wiederum auf Druck der Pharmalobby verhindert, wird in der Doku argumentiert. Die lokalen Regierungen erlauben eine solche Produktion nicht.

Und mehr noch: Der Einsatz einer Heilpflanze, die laut lokalen Experten sowohl als Prophylaxe als auch bei akuten Fällen wirksam ist, wird nicht unterstützt. Dagegen kämpfen Aktivistinnen und Aktivisten an. Und hier setzt auch die Doku an. Die Pflanze heißt Artemisia annua. Interviewt wird etwa Patrick Ogwang, Pharmakologe an der Mbarara-Universität für Wissenschaft und Technik in Uganda. Er leitete eine klinische Studie über die Wirksamkeit von Artemisia-Tee auf einer Blumenfarm neben dem Viktoriasee mit über tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Vielversprechender Feldversuch

In der Fabrik konnten die Malariaerkrankungen um 85 Prozent reduziert werden. Ogwang sagt, er konnte dadurch nachweisen, dass Artemisia Millionen von Menschen in Afrika retten könnte – wenn Pharmakonzerne aufhören würden, die WHO unter Druck zu setzen, und nicht dafür sorgen würden, dass die Regierungen den Vertrieb von afrikanischen Artemisia-Medikamenten verbieten.

Szene aus dem Film „Das Fieber“
pooldoks
Rehema Namyalo packt für ihre Patientinnen und Patienten Päckchen von Artemisia-Tee ab

Momentan sorgen Aktivistinnen und Aktivisten dafür, dass möglichst viele Menschen dennoch mit Artemisia versorgt werden. Eine von ihnen ist die Heilpraktikerin Rehema Namyalo, die Protagonistin der Doku. Man sieht Patientinnen und Patienten vor allem mit schwer erkrankten Kindern in ihrer Praxis. Namyalo verteilt Tee in Säckchen – und vor allem Jungpflanzen, damit die Menschen sich in Zukunft selbst versorgen können. Sie berichtet von großen Erfolgen im Kampf gegen die Malaria durch den Einsatz von Artemisia.

Kofferträger für internationale Forschungseinrichtungen

Dass Malaria überhaupt so weit verbreitet ist in Ostafrika, ist menschengemacht und hat mit der Art und Weise zu tun, wie momentan gewirtschaftet wird. Gezeigt werden in der Doku etwa Reisfelder, die unter Wasser stehen. In diesem Wasser können jene Mücken massenhaft brüten, die die Malaria übertragen. Ein wichtiger Schutz wären Mückennetze für die Nacht – doch viele Menschen können sich diese nicht leisten.

Afrikanische Wissenschaftler beschweren sich in der Doku, dass sie nur als Kofferträger für international agierende Forschungseinrichtungen eingesetzt werden – zum Probensammeln. Ihnen selbst werden jedoch keine Mittel zur Verfügung gestellt, um in ausreichendem Maße selbst forschen und Medikamente herstellen zu können. Bei dem am meisten verbreiteten Medikament eines großen Pharmakonzerns sei das Problem, dass immer mehr Resistenzen entwickelt würden. Das sei bei Artemisia-Tee nicht so. Hier steht Aussage gegen Aussage.

Goliath gegen David

Journalistisch betrachtet wird hier einseitig berichtet. Vertreter von WHO, der Gates Foundation und von Pharmafirmen kommen nicht zu Wort. Man sieht nur die Gebäude und Werbevideos. Das Ungleichgewicht der Waffen, wenn man so will, soll durch diese Art der Darstellung ausgebremst werden. Auf der einen Seite Forschungseinrichtungen, die von vielen Millionen Euro an Hilfsgeldern profitieren und Studie um Studie produzieren. Auf der anderen Seite eine Handvoll Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Afrika, die keine Mittel für groß angelegte Studien und Forschungen haben – und eine Kräuterheilerin.

„Die großen Sprüche interessieren uns nicht“

Regisseurin Weingartner ist Hip-Hop—Expertin der ersten Stunde (ihre Sendung „Tribe Vibes“ gab es als Teil der Ö3-Musicbox schon, bevor es FM4 gab), Expertin für afroamerikanische Themen, seit rund 20 Jahren gemeinsam mit dem Regisseur, Autor und Journalisten Markus Wailand auch als Filmproduzentin tätig und hat bereits einige kapitalismuskritische und Dokus über afroamerikanische Themen gedreht.

Warum Vertreter der WHO, Bill Gates und Co. bei ihr nicht zu Wort kommen, argumentiert sie in den Presseunterlagen zum Film so: „Irgendwann haben wir realisiert, dass uns diese großen Sprüche eigentlich nicht interessieren, die Medien sind voll davon. Wir wollten die Menschen zu Wort kommen lassen, die tatsächlich mit Malaria leben, die dagegen kämpfen, die aber niemand hört und sieht.“ Auch die internationalen Verstrickungen werden nur rudimentär erklärt, wie auch die Frage nur am Rande berührt wird, auf welche Art und Weise auf ostafrikanische Länder nun konkret Druck ausgeübt wird. Das steht als Behauptung im Raum.

Mehr Statement als Journalismus

Der Film ist eine Herausforderung für all jene im Publikum, die sonst immer für die Wissenschaft argumentieren und sie gegen die Politik verteidigen: Zahlen, Daten, Fakten und Forschung gegen Gefühlspolitik, lautet das Motto. Und hier erklären eine Kräuterheilerin und ein Wissenschaftler, der eine Studie in einer einzelnen Firma durchgeführt hat, dass die zahlreichen, gut dokumentierten Forschungsergebnisse von Pharmakonzernen, der Weltgesundheitsorganisation und der Gates Foundation mehr oder weniger Schrott sind, der in erster Linie der Geschäftemacherei dient.

Ist das Journalismus? Es ist jedenfalls ein Statement; und eine spannende Kinodoku, die fein gefilmt, in wohldurchdachten, rhythmisch angeordneten Bildausschnitten Bilder- und Gedankenwelten zeigt, zu denen man sonst keinen Zugang hat. Hier kann Kino mehr als viele hektisch geschnittene Streamingdokus, die versuchen, in ihrer kritischen Haltung die Propaganda der Gegenseite noch zu überbrüllen und dabei die immer gleichen Welterklärerinnen und -erklärer befragen.