Potala-Palast in Lhasa
AP/Xinhua/Zhan Yan
Bericht über Zwangsumschulung

China drängt Tibets Bauern zu Fabriksarbeit

Die Bevölkerung von Chinas autonomer Provinz Tibet sieht sich derzeit mit einem Angriff auf die traditionellen Lebensgrundlagen konfrontiert, „den wir fast seit der Kulturrevolution von 1966 bis 1976“ nicht mehr erlebt haben. Das sagte Adrian Zenz von der Washingtoner Jamestown Foundation, die China ein umfangreiches Umerziehungsprogramm in der Region vorwirft.

Betroffen sei vor allem die bäuerliche Bevölkerung und damit ein Großteil der in Tibet lebenden Menschen. Zenz spricht in diesem Zusammenhang von „einer zwanghaften Änderung des Lebensstils von Nomadismus und Landwirtschaft zu Lohnarbeit“.

Konkret dränge China „eine wachsende Zahl tibetischer Landarbeiter vom Land in kürzlich errichtete Ausbildungszentren“, in denen sie mit militärischem Drill zu Fabriksarbeitern umerzogen werden, wie am Dienstag auch Reuters berichtete. Die Nachrichtenagentur berief sich dabei unter anderem auf staatliche chinesische Medienberichte und Dokumente aus Regierungsbüros in Tibet.

Bauern bei der Arbeit in Tibet
Reuters/Rooney Chen
Rund 70 Prozent der Bevölkerung von Tibet leben auf dem Land

China habe das Programm zuletzt deutlich hochgefahren, so Reuters. Es habe in der Region zwar seit über einem Jahrzehnt „kleine Versionen ähnlicher Ausbildungsinitiativen“ gegeben, seit 2016 stünden die Zeichen aber deutlich auf Expansion. Reuters verweist hier unter anderem auch auf Satellitenbilder, auf denen in verschiedenen Distrikten Tibets neu errichtete Ausbildungszentren zu erkennen seien.

500.000 Betroffene allein in diesem Jahr

Allein in den ersten sieben Monaten des laufenden Jahres seien im Rahmen des Projekts eine halbe Million Menschen umgeschult worden, wie aus einer auf der Webseite der tibetischen Regionalregierung veröffentlichten Mitteilung hervorgehe. 50.000 seien dann als billige Arbeitskraft in Tibet eingesetzt worden – viele andere aber auch in andere Regionen Chinas geschickt worden.

Wie staatliche tibetische Medien erst im Juli berichteten, seien einige der außerhalb Tibets transferierten Arbeiter etwa auf großen Baustellen in Qinghai und Sichuan gelandet. Als Arbeitsplätze in Tibet nennt Reuters unter anderem Textilfabriken, landwirtschaftliche Großbetriebe, aber auch Sicherheitsunternehmen.

„Arbeitsdisziplin, chinesische Sprache und Arbeitsethik“

Die Behörden in Tibet bewerben das Arbeitsprogramm als Maßnahme im Kampf gegen die Armut. Die Jamestown Foundation hält dagegen, dass das „militarisierte Berufstraining“ einer Form der ideologischen Indoktrinierung und Assimilierung der Tibeter, die 90 Prozent der Bevölkerung in der abgelegenen Region im Westen von China ausmachen, gleichkomme.

Laut einem zitierten Aktionsplan der chinesischen Regierung sollen in dem Programm „Arbeitsdisziplin, chinesische Sprache und Arbeitsethik“ vermittelt werden. In einem Bericht der Stadtverwaltung von Nagqu vom Jahr 2018 sollten damit „faule Leute wirksam eliminiert“ werden. Studienautor Zenz warnte, die zunehmend assimilatorische Minderheitenpolitik der chinesischen Regierung drohe auf lange Sicht zu einem Verlust des sprachlichen, kulturellen und geistigen Erbes Tibets zu führen.

Parallelen zu Umerziehungslagern in Xinjiang

Der Studie zufolge hat das Programm in Tibet Parallelen zu chinesischen Programmen in der Uiguren-Region Xinjiang. In der muslimisch geprägten Region nahmen laut Regierungsangaben zwischen 2014 und 2019 jährlich rund 1,3 Millionen Menschen an „Arbeitsprogrammen“ teil.

Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen würden in Xinjiang zudem mehr als eine Million der dort lebenden uigurischen Minderheit und andere Muslime in Haftlagern „umerzogen“. China hatte zunächst die Existenz der Lager bestritten, sagt inzwischen aber, dass es sich um freiwillig besuchte Berufs- und Bildungszentren handle.

Auch die nun über Tibet laut gewordenen Vorwürfe weist China gegenüber Reuters strikt zurück. Die Verlagerung von Arbeitskräften vom Land in die Industrie gilt zudem als Schlüsselfaktor in Chinas Bestreben, die Wirtschaft anzukurbeln und die Armut zu verringern. In Chinas konfliktbeladenen Regionen mit großen ethnischen Minderheiten wie Tibet und Xinjiang könne man – wie Reuters es umschreibt – aber doch „Zwangselemente“ zumindest vermuten.