Frau an einer Bar
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Sperrstunde um 22.00 Uhr

Sechs Bundesländer ziehen nicht mit

Tirol, Vorarlberg und Salzburg verlegen aufgrund der steigenden CoV-Infektionszahlen die Sperrstunde ab Freitag auf 22.00 Uhr vor und hoffen so auf eine Trendumkehr. Sechs andere Bundesländer sprachen sich am Dienstag und Mittwoch dagegen aus, darunter Niederösterreich und Wien. Insbesondere an diese beiden Länder hatte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) appelliert, in der Gastronomie auch früher Schluss zu machen – doch er biss auf Granit.

So möchte das ÖVP-geführte Niederösterreich die vorgezogene Sperrstunde zumindest „noch nicht“, hieß es am Dienstag aus dem Büro von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP). Weil die Situation von den Experten des Landessanitätsstabs aber laufend analysiert und bewertet werde, sei eine solche Maßnahme „für die Zukunft selbstverständlich nicht ausgeschlossen“ – mehr dazu in noe.ORF.at.

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) sprach sich klar gegen eine Sperrstundenvorverlegung aus – er verwies auf eine Abstimmung mit Niederösterreich. Ludwig übte Kritik an einer „Hü-Hott-Politik“, bei der bestehende Maßnahmen ständig geändert würden. Für die Bevölkerung sei diese Vorgangsweise inzwischen oft irritierend. „Es braucht eine Situation, an der man sich orientieren kann“, forderte er. Die politischen Entscheidungsträger müssten gemeinsam auftreten.

Frühere Sperrstunde in Westösterreich

Salzburg, Tirol und Vorarlberg verlegen ihre Sperrstunde ab Freitag auf 22.00 Uhr. Aufgrund der steigenden Neuinfektionen gilt diese Regelung vorerst für drei Wochen.

„Gehen dann wohl nicht alle schlafen“

Generell stelle es für ihn kein großes Problem dar, wenn Personen nach 22.00 Uhr an einem Tisch sitzen, so Ludwig. Es sei ihm lieber, wenn sich Menschen in der Gastronomie treffen als bei illegalen Veranstaltungen. Diese seien in Wien zuletzt ein Problem gewesen. Sollte die Sperrstunde vorverlegt werden, würden wohl „nicht alle schlafen gehen“. Vielmehr sei mit mehr nicht genehmigten Treffen zu rechnen, warnte er – mehr dazu in wien.ORF.at.

Kurz hatte in seinem Appell ein Szenario gezeichnet: Es gehe um die Rettung von Arbeitsplätzen, so der Kanzler – je höher die Zahl an Neuinfizierten sei, desto mehr Reisewarnungen und desto weniger Touristen gebe es, das sei ja gerade in der Bundeshauptstadt „höchst problematisch“. Es gebe „klare Regeln“, die für ganz Österreich gelten, darüber hinaus halte er eine „regional abgestimmte Vorgangsweise für durchaus angebracht“. Darum habe er zuletzt versucht, die Länder für regionale Verschärfungen zu gewinnen.

Nein auch aus Oberösterreich

Doch stieß das Argument bei weiteren ÖVP-Bundesländern nicht auf Gehör: So werde auch Oberösterreich vorerst keine Änderungen bei der Sperrstunde vornehmen, wie Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) am Rande einer Pressekonferenz sagte. Angesichts der aktuellen Infiziertenzahl von knapp 740 würden die derzeit geltenden Regeln reichen. Man sei bereit, nötigenfalls Maßnahmen zu treffen, wolle aber auch „mit Maß und Ziel“ vorgehen – mehr dazu in – mehr dazu in ooe.ORF.at

Sein Regierungspartner Landeshauptmann-Stellvertreter Manfred Haimbuchner (FPÖ) meinte in einer Presseaussendung, eine Sperrstunde um 22.00 Uhr wäre „der Todesstoß für unsere Gastronomen“. In Oberösterreich seien solche Überlegungen kein Thema, und „für die FPÖ Oberösterreich ist eine solche Schädigung der Gastronomiebetriebe und der dahinterstehenden Familien schlicht denkunmöglich“.

Schützenhöfer ortet „keinen Handlungsbedarf“

„Vorerst“ ist auch laut dem Büro von Hermann Schützenhöfer (ÖVP) in der Steiermark keine Vorverlegung der Sperrstunde geplant. Der Landeshauptmann appelliere an alle, die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen einzuhalten: „Vorsicht ist nach wie vor das Gebot der Stunde. Sollte es notwendig werden und die Zahlen steigen, können wir die Sperrstundenregelung rasch ändern. Aktuell sind die Zahlen der Infizierten allerdings so, dass kein Handlungsbedarf besteht.“

Auch Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) sieht zum derzeitigen Zeitpunkt keine Veranlassung für eine Vorverlegung der Sperrstunde. Die im Österreich-Vergleich nach wie vor sehr niedrigen Infektionszahlen würden das nicht notwendig machen, so Kaiser. „Wir werden aber in Abstimmung mit dem Koordinationsgremium Maßnahmen ergreifen, wenn es notwendig ist“ – mehr dazu in kaernten.ORF.at.

Auch der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) sah keinen Anlass, die Sperrstunde vorzuverlegen. „Ich gehe davon aus, dass man mit der Vorverlegung der Sperrstunde in Vorarlberg, Tirol und Salzburg auf die bevorstehende Skisaison reagieren will, dieser Faktor muss im Burgenland nicht gesondert beurteilt werden“, so Doskozil – mehr dazu in burgenland.ORF.at.

Auf drei Wochen befristet

Die Maßnahme in den drei westlichen Bundesländern gilt ab Freitag und soll vorerst auf drei Wochen befristet sein. Die Entscheidung wurde am Montag mit der Bundesregierung abgesprochen – diese hatte ja den Ländern die Möglichkeit für strengere Maßnahmen eingeräumt und begrüßte den Schritt der mitziehenden Länder am Dienstag auch ausdrücklich. Sowohl Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) als auch Kurz bezeichneten den Beschluss als „gut“ beziehungsweise „richtig und wichtig“. Derzeit müssen die Lokale erst um 1.00 Uhr schließen.

Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) betonte wie seine Partei- und Landeshauptmann-Kollegen Markus Wallner (Vorarlberg) und Wilfried Haslauer (Salzburg) die Notwendigkeit dieser Maßnahme: „Mir ist vollkommen bewusst, dass diese erneute Einschränkung für die ohnehin gebeutelte Gastronomie ein schwerer Schlag ist. Wir müssen diese Maßnahme aber ergreifen, um die Infektionszahlen in den Griff zu bekommen und wieder abzusenken. Es darf nicht sein, dass die Unachtsamkeit Einzelner die Gesundheit von vielen gefährdet“ – mehr dazu in tirol.ORF.at.

Kampf gegen Reisewarnungen

Auch Haslauer betonte die Dringlichkeit: „Diese Maßnahme zielt darauf ab, einerseits nach der Sperrstunde ‚private Feiern‘ außerhalb von Privatwohnungen in Lokalitäten zu unterbinden, und andererseits auf den Schutz der gesamten Gastronomiebranche. Kurzsichtige Leichtsinnigkeit bringt damit nicht nur eine ganze Branche unter Druck, sondern bedroht unser ganzes Land mit Reisewarnungen und einem zweiten Lockdown.“ Aus der Wirtschaft hagelte es in Salzburg aber heftige Kritik an dem Schritt – mehr dazu in salzburg.ORF.at.

AGES: Vorverlegung der Sperrstunden „eine gute Sache“

Franz Allerberger, Leiter des Bereichs Humanmedizin der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), begrüßte hingegen die Vorverlegung der Sperrstunde in Lokalen in Westösterreich. Im Gespräch mit der APA sagte der Experte am Dienstag: „Das ist im Prinzip eine gute Sache.“ Sich weniger lange in einem Lokal aufzuhalten, mindere das Risiko einer Ansteckung.

Allerberger sprach von einer Milchmädchenrechnung: Drei Stunden Lokalaufenthalt würden ein halb so großes Risiko einer Ansteckung mit CoV bedeuten wie sechs Stunden. „Ein guter Teil der Infektionen jetzt sind auf Lokalbesuche und Reiserückkehrer zurückzuführen“, erläuterte der Experte. Und es sei nicht auszuschließen, dass die Ansteckung im Ausland auch in einem Lokal erfolgt sei. „Die Diskussion, dass man in Lokalen ein höheres Ansteckungsrisiko hat, können wir, glaube ich, beenden.“

FPÖ und NEOS üben Kritik

Kritik an der früheren Sperrstunde äußerten FPÖ und NEOS. „Diese Aktion der ÖVP-Landeshauptleute verschärft die ohnehin schon angespannte Situation in der Gastronomie noch weiter“, sagte FPÖ-Tourismussprecher Gerald Hauser. NEOS ortet „ein endgültig völlig chaotisches Krisenmanagement“, wenn „jeder Landeshauptmann macht, was er will“. „Jede Planbarkeit für die Unternehmerinnen und Unternehmer ist somit dahin. Es braucht endlich klare Regeln, die alle verstehen und länger als bis zur nächsten Pressekonferenz oder bis zur nächsten Presseaussendung gelten“, so NEOS-Wirtschaftssprecher Sepp Schellhorn in einer Aussendung.