Can you please stop taking drugs, Sophia Süßmilch
Sophia Süßmilch
Wiener Kunstmessen

Kunst, CoV und junge Konkurrenz

Der Wiener Kunstmessenherbst trotzt der Pandemie und startet diese Woche gleich mit drei Events: Die Vienna Contemporary setzt ab Donnerstag in St. Marx auf Redimensionierung und Regionales, die Parallel Vienna lädt seit Dienstag in acht luftig besetzte Stockwerke im dritten Bezirk. Und die freie Szene veranstaltet eine Off-Off-Messe in einem alten Gebäudekomplex in Simmering, mitsamt Miniaturwäldchen.

Vor dem Eingang ein weißes Salzteigschwein mit überdimensionierten Hoden, daneben ein Performer, der reglos unter einem Bild verharrt: Zwei künstlerische Interventionen flankierten die Eröffnung der Parallel Vienna, die Dienstagmittag ein wenig hektisch über die Bühne ging. Im Alten Gewerbehaus nahe dem Stadtpark wurden Nichtregistrierte abgewiesen, ein spontaner Besuch war nicht möglich. Die Wartezeiten vor dem Haus wurden indes konterkariert von acht luftig besetzten Stockwerken: Die maximale Teilnehmerzahl der Alternativmesse liegt trotz der 5.000 Quadratmeter bei 300 Besucherinnen und Besuchern, ein Tribut an die steigenden Infektionszahlen.

Sechs Monate lang gab es auf internationaler Ebene nur Absagen oder Verschiebungen von Kunstmessen, mit September ist nun der Sektor wieder erwacht – zuletzt fand die Berliner Art Week statt, mitsamt Bespielung des legendären, derzeit leer stehenden Clubs Berghain. Die Euphorie angesichts der „Re-Energetisierung“ des Marktes („New York Times“) hielt jedoch nur kurz, die traditionsreiche französische Gegenwartskunstmesse FIAC wurde gerade erst abgesagt, über der in Fachkreisen besonders wichtigen Art Cologne stehen viele Fragezeichen.

Fotostrecke mit 10 Bildern

Eindrücke von der Austellung „Parallell“
Paula Pfoser
Die Parallel Vienna bespielt heuer das Alte Gewerbehaus am Rudolf-Sallinger Platz
Eindrücke von der Austellung „Parallell“
Kurt Prinz
…und zeigt auf 8 Etagen Kunst von 130 Ausstellern
Eindrücke von der Austellung „Parallell“
Kurt Prinz
Sophia Süßmilch bei der Galerie Krobath: Fröhlich-bunte Oberflächen mit feministischem Hintersinn
Eindrücke von der Austellung „Parallell“
Alfredo Barsuglia
„The artist is always present“ Alfredo Barsuglia lädt zur Konversation mit seiner Holzpuppe mit I-Pad-Gesicht
Marx Halle Wien
Niko Havranek
Redimensioniert in der St. Marx Halle: Die Vienna Contemporary startet am Donnerstag
Michael Höpfner, Lie Down, Get Up, Walk On (Snow Leopard), 2015
Vienna Contemporary/Michael Höpfner/Hubert Winter
Mit dabei: Michael Höpfner „Lie Down, Get Up, Walk On (Snow Leopard)“, 2015, Galerie Hubert Winter
Marianne Vlaschits, The Love Between Painting and Poetry, 2020 & Rodrigo Valenzuela, Mask No 2,
Vienna Contemporary/Marianne Vlaschits/Galerie Sophia Vonier/Vienna Contemporary/Galerie Kandlhofer
Links: Marianne Vlaschits/Galerie Sophia Vonier ; rechts: Rodrigo Valenzuela/ Galerie Kandlhofer
Richard Nikl, Untitled, 2019

Courtesy the artist and Shore Gallery

Photo by Anna Gherezgiher
Shore Gallery/Anna Gherezgiher
In der ZONE1 der Vienna Contemporary vertreten: Richard Nikl, Untitled (2019), Shore Gallery
Eindrücke von der Austellung „Haus Wien“
Paula Pfoser
„Haus“: Ein Porträt des ehemaligen Besitzers hängt hier im Fenster des Abbruchhauses
Eindrücke von der Austellung „Haus Wien“
Paula Pfoser
Links der Heu-Kerzenleuchter von Martin Chramosta, rechts eine Arbeit von Albin Bergström

Solidarität wird groß geschrieben

In Wien aber entschied man sich, standhaft zu bleiben: „Solange es möglich ist, ist es uns als Vision wichtig, Kunst greifbar und sichtbar zu machen“, fasst es Johanna Chromik, die künstlerische Leiterin der Vienna Contemporary, im ORF.at-Interview zusammen. Ihre Messe, die große Schwester der Parallel, startet am Donnerstag in der St. Marx Halle, CoV-bedingt mit regionalem Fokus und deutlicher Redimensionierung: eine statt zwei Hallen und 62 Teilnehmer statt 110 wie im letzten Jahr. Eine Messe als „Zukunftsinvestition“, nennt das Chromik und lässt hier bereits den deutlichen Dämpfer mitschwingen, der angesichts der Reiserestriktionen erwartbar ist. In dieser Hinsicht war auch ein Protestschreiben von 22 Galerien im Sommer zu verstehen: Die Standgebühren seien, so der Tenor damals, deutlich zu hoch.

Verwerfungen gibt es indes keine, die „Solidarität“ sei stark, so Chromik, etwa wenn auf der Vienna Contemporary heuer Stände von den ungarischen Kollegen mitbetreut werden, die reisewarnungsbedingt nicht in Wien sein können. Dennoch: Einige der Galerien sind heuer nicht auf der großen Messe vertreten, etwa Gabriele Senn, die nur auf die Parallel setzt. Diese sei „ein bisschen luftiger, lockerer“, und das Risiko sei nicht so hoch, so die Galeristin im Gespräch mit ORF.at. Auf der Parallel bespielt sie auf Etage drei einen der schier unzähligen Büroräume, mit einem mit Wasserflasche bewaffneten Cowboy im strengen Modernismus-Setting (Kathi Hofer) und einer minimalistischen Metallgestängearbeit von Cäcilia Brown.

Schillernd und bunt

Gegenüber der Vorjahrspräsentation in der Lassallestraße zeigt sich die Parallel im Alten Gewerbehaus deutlich weniger verwinkelt, das Spektrum ist aber wie immer schillernd-bunt durchmischt und in Masse und Vielfältigkeit überbordend, sodass der Dreieinhalb-Stunden-Timeslot kaum ausreicht: Von den filigran-raumübergreifenden Obstnetz-Installationen (Jelena Micic) über eine Bank in fotorealistischer Steak-Optik (Gert Resinger) zur überdimensionalen Lederzunge mit applizierten Geschmacksnerven (Ina Loitzl) bis zu einer Reihe an queer-femistischer Malerei (etwa Barbara Moura und Rui Miguel Leitao Ferreira bei den Krinzinger Projekten).

Ausstellungshinweis

Vienna Contemporary von 24. bis 27. September in der Wiener Marx Halle, Karl-Farkas-Gasse 19, 1030 Wien

Parallel Vienna von 22. bis 27. September, Rudolf-Sallinger-Platz 1, 1030 Wien

Haus Wien von 21. bis 27. September, Kobelgasse 3, 1110 Wien

Aus dieser Sparte gibt es auch ein Highlight der Messe: Die Galerie Krobath setzt in ihrer Präsentation auf Etage fünf ganz auf Sophia Süßmilch. Die 1983 in Deutschland geborene, in Wien lebende Künstlerin zeigt Performancefotos, auf denen sie, „bekleidet“ nur mit wüst angetapten Baguettes, herausfordernd in die Kamera blickt: Eine fröhlich-provokative Reminiszenz an Valie Exports „Aktionshose: Genitalpanik“ von 1969. Ergänzt werden die Fotografien von teils großformatigen Malereien, die die Optik bunter Kinderzeichnungen mit sexuell Aufgeladenem verbinden: Bezaubernd Zartes geht hier Hand in Hand mit selbstbewusst-feministischem Gestus.

Persönliche Begrüßung via iPad

Aktuelles findet man bei Aldo Gianottis schnell gekritzelten „Corona Drawings“ – und im wohl pointiertesten Beitrag der Messe, der Performance-Installation von Alfredo Barsuglia. Der Künstler bespielt den sonst leeren Raum 6.14 mit einer lebensgroßen bekleideten Holzpuppe mit iPad-Gesicht. Den von Marina Abramovic geborgten Titel „The artist is always present“ nimmt Barsuglia wörtlich: Kaum betritt man den Raum, sagt der Künstler da live übers iPad „Hallo“.

Zum Zeitpunkt des Gesprächs, das sich daraufhin entwickelt, ist Barsuglia auf der Vienna Contemporary, wo er für eine Performance probt. Der Pandemiebezug ist eindeutig, aber: „Ich mag grundsätzlich keine Menschenansammlungen. Das Schöne ist, ich kann zu Hause Tee trinken und gleichzeitig mit Ihnen reden“, so Barsuglias charmant-vergnügte Ansage.

Eindrücke von der Austellung „Haus Wien“
Paula Pfoser
In einem Abbruchhaus in Wien Simmering: Die erste Ausgabe der Off-Off-Messe „Haus“

Parallelmesse zur Parallel

Zum ersten Mal findet seit heuer „Haus“ statt, die, wenn man so will, dritte (allerdings nichtkommerzielle) Kunstmesse. Die Location ist ein fast verwunschen wirkender, heruntergekommener Innenhofkomplex in Wien-Simmering, der demnächst abgerissen werden soll. Früher wohnte hier eine Großfamilie, die dort auch eine Autowerkstatt betrieben hatte, jetzt hat sich die junge Szene zur Off-Off-Messe organisiert: Bei der Parallel fand man sich nicht wieder, also startete man kurzerhand ein eigenes Ding, mit nur 5.000 Euro, so der Künstler Julius Pristauz zu ORF.at während des Rundgangs.

Aus einem Open Call, der von einer hochkarätig besetzten Jury begleitet wurde, ist diese Ausstellung hervorgegangen, die sich nun mit DYI-Charme stimmig auf die Gebäude und das kleine Nadelbaumwäldchen im Innenhof ausbreitet. Im Keller gibt es duftende, überdimensionierte Heu-Kerzenständer, in der Küche kleine Skulpturen, die an lustig missratene, kaugummiverklebte Raketenbauversuche gemahnen. An der holzvertäfelten Wand ist indes ein Ohrabguss des US-amerikanischen Künstlers Travis Morehead angebracht: Weil reisen derzeit nicht möglich ist, lässt er eben seine Kunst mithören.