Kinder in Zelten auf Lesbos
Reuters/Elias Marcou
„Neuanfang“

EU will bei Asyl „weg von Ad-hoc-Lösungen“

Die EU-Kommission hat am Mittwoch ihre Pläne für das umstrittene Thema Asyl präsentiert. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte, das „alte System funktioniert nicht mehr“, man müsse „weg von Ad-hoc-Lösungen“. Künftig wolle man den „Nutzen“, aber auch die „Last“ teilen. Vor allem bei Abschiebungen gibt es Neuerungen.

In einer kurzen Stellungnahme zu Mittag sagte von der Leyen, dass Migration „komplex“ sei. Das Paket, das die Kommission nun präsentiere, werde einen „Neuanfang“ bieten. Es gehe vor allem darum, „viele legitime Interessen“ in „Balance“ zu bringen, so von der Leyen.

Einerseits müsse das Asylsystem den eigenen Werten entsprechen, sich andererseits den Herausforderungen einer „globalisierten Welt“ stellen. Vor allem wolle man ein „vorhersehbares, verlässliches Migrationsmanagement“. Sie sei überzeugt, dass der jetzige Vorschlag der Kommission „ein gutes Fundament“ sei, so von der Leyen.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
Reuters/Stephanie Lecocq
Von der Leyen will mit der Reform einen Neuanfang

Dreistufiges System vorgestellt

Vizekommissionspräsident Margaritis Schinas stellte gemeinsam mit Innenkommissarin Ylva Johansson die Eckpunkte des Pakets vor. Zentraler Punkt sind vor allem rigorose Abschiebungen – an denen sich alle Mitgliedsländer künftig beteiligen sollen. Schinas sagte, der nun präsentierte Vorschlag sei ein „Kompromiss“. Jeder Mitgliedsstaat stehe vor anderen Herausforderungen, und keine davon sei eher legitim als eine andere.

Das neue Modell erklärte er als dreistöckiges Haus: An der Basis stehe die „starke externe Dimension“, darüber ein effektives Management an den Außengrenzen. Das letzte Stockwerk seien faire Regeln für die Solidarität innerhalb der Union.

Genauere Kontrollen an Außengrenzen

In erster Linie wolle man Drittstaaten dabei Helfen, ihrer eigenen Bevölkerung zu helfen. An den Grenzen werde es unterdessen verpflichtende Überprüfungen geben, darunter fällt ein Gesundheits- und ein Sicherheitscheck.

Für die Solidarität habe man mit „Patenschaften für Rückführungen“ ein neues Konzept eingeführt, so Schinas. Dafür gebe es ein dreistufiges Modell für verschiedene Zustände, in denen sich Mitgliedsländer befinden: Krisensituation, Rettungsmissionen und höherer Druck auf einen Staat. Je weiter sich die Situation zuspitzt, desto geringer sind die Optionen für einen Staat: So kann in einer Krise nur entweder die Aufnahme einer Zahl von Personen oder die Erledigung der Abschiebung übernommen werden.

„Migration ist normal“

Johansson sagte unterdessen: „Migration ist normal.“ Sie war „immer da und wird immer da sein“. Der Großteil der Migrantinnen und Migranten komme legal nach Europa, das funktioniere „ziemlich gut“ – und: „Wir brauchen Migration.“ Vor allem bei irregulären Grenzübertritten müsse man aber effizienter werden, so Johansson.

Man müsse Schlepper bekämpfen und sich mehr auf Rückführungen konzentrieren. Es sei wichtig für Menschen zu verstehen, dass sie in ihr Heimatland zurückgebracht werden, „wenn sie kein Recht haben, hier zu sein“. Im Hinblick auf die von Schinas erwähnten Rettungsmissionen sagte sie, dass „Leben zu retten natürlich notwendig“ und eine „Pflicht“ sei. Man müsse im Hinterkopf behalten, dass Menschen, die an Land gebracht werden, dann nicht nur in einem Staat, sondern in der EU sind – und hier brauche es Solidarität.

Hilfe für Lesbos angekündigt

Nach dem Brand im griechischen Flüchtlingslager Moria auf der Insel Lesbos wird sich die EU unterdessen an der Verwaltung eines neuen Lagers beteiligen. Die EU-Kommission werde „ein gemeinsames Pilotprojekt mit der griechischen Regierung auf Lesbos“ starten, sagte von der Leyen. Moria sei eine „nachdrückliche Erinnerung“, dass alle in der EU mehr im Bereich der Migration tun müssten. Ziel sei es, die Lebensbedingungen für die Menschen zu verbessern.

Menschen in der Nähe des zerstörten Flüchtlungscamp Moria auf Lesbos
Reuters/Yara Nardi
Auch Hilfe für die Situation in Lesbos wurde angekündigt

Innenminister sieht „richtige Richtung“

In einer ersten Reaktion auf die Vorschläge der EU-Kommission sagte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), dass ersichtlich sei, dass man sich „in ganz wichtigen Themenfeldern in die richtige Richtung bewegt“. Wenn es darum gehe, den EU-Außengrenzschutz zu stärken und „schneller, stärker und effizienter“ Rückführungen durchzuführen und Kooperationen mit Drittstaaten einzugehen, brauche es „eine starke und geschlossene Europäische Union“, so Nehammer.

Österreich werde sehr genau in den Verhandlungen darauf achten, dass es „keine Einführung eines Verteilungsmechanismus durch die Hintertür gibt“. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wandte sich bereits im Vorfeld gegen eine Verteilung via Quote. Diese sei „gescheitert“. „Das lehnen so viele Staaten ab. Das wird auch nicht funktionieren“, sagte Kurz gestern im Interview mit der Nachrichtenagentur AFP.

Weniger Asylwerber in EU im ersten Halbjahr

Die Zahl der Erstanträge auf Asyl in der EU hat laut dem Statistikamt Eurostat im ersten Halbjahr 2020 deutlich abgenommen. 196.620 Menschen stellten in den ersten sechs Monaten einen Asylantrag in der EU ohne Großbritannien – fast 35 Prozent weniger als im Vorjahr. Sieht man sich die Statistik der einzelnen Monate an, dürfte der Rückgang stark mit der Pandemie zusammenhängen: Im April wurden EU-weit nur 8.000 Anträge eingereicht, im Mai lediglich 11.015.

Anträge durch Flüchtlinge seit 2014 – Kurvengrafik
Grafik: APA/ORF.at, Quelle: Eurostat

Deutschland ist weiterhin das wichtigste Zielland, dahinter folgen Spanien und Frankreich. In Österreich wurden laut der EU-Behörde 4.845 Anträge im ersten Halbjahr 2020 gestellt – im Vorjahreszeitraum waren es 5.060.

Qualifizierte Mehrheit als Hürde

Die nun von der Kommission vorgestellte Asylreform ist der erste Schritt zu einem Umbau der Asyl- und Migrationspolitik. Jetzt müssen die Vorschläge mit den Mitgliedsstaaten und dem Parlament verhandelt werden. Einen einstimmigen Beschluss im Rat der Staats- und Regierungschef braucht es aber nicht: Es reicht schon eine qualifizierte Mehrheit. Das heißt, dass 55 Prozent der EU-Staaten, also mindestens 15 der 27, dafür stimmen müssen. Zusätzlich müssen diese mindestens 65 Prozent der Bevölkerung in der Union repräsentieren. Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, ob dieser Mehrheit zustande kommt.