Als die Coronavirus-Pandemie Anfang März endgültig Österreich erreichte, schaltete die erst wenige Wochen davor angelobte ÖVP-Grüne-Regierung von einem Tag auf den anderen auf Krisenkommunikation um: Die Regierungsspitze trat nicht nur gemeinsam auf, sondern sprach auch inhaltlich stets mit einer Stimme. Der Kommunikationsexperte Filzmaier beurteilte das Auftreten damals gegenüber ORF.at als sehr gut und professionell.
Mittlerweile seien aber mehrere Grundpfeiler guter Krisenkommunikation ins Wanken geraten. Und er sieht – eine Formulierung des grünen Gesundheitsministers Rudolf Anschober aufnehmend – die Regierung vor einer „entscheidenden Weggabelung“, nämlich, ob sie es schafft, das Vertrauen, das für eine effektive Bekämpfung der Pandemie entscheidend sei, zu erhalten oder nicht. Zuletzt hatte es etwa unterschiedliche Einschätzungen zur Frage „zweite Welle“ und zum Zeitpunkt für Verschärfungen gegeben sowie dazu, ab wann ein Impfstoff bereitstehen könnte.
Auch die Opposition kritisierte zuletzt mehrmals die ihrer Ansicht nach widersprüchliche Kommunikation der Regierung. Das, zusammen mit dem Gefühl, Österreich habe seinen Vorsprung verspielt, verunsichere die Menschen und mache sie letztlich „zornig und wütend“, sagte etwa SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner zuletzt in der ORF-Sendung „Im Zentrum“.
Geänderte Lage
Aus dem Bundeskanzleramt verwies man gegenüber ORF.at auf die im Vergleich zum Lockdown mittlerweile geänderte Lage. Die Gesundheitskrise sei zu einer praktisch alle Lebenslagen umfassenden Krise geworden – und habe alle Ressorts erfasst. Es gelte weiterhin die Krisenkommunikation, doch diese sei „viel breiter“ geworden. ÖVP und Grüne hätten jedenfalls das eine gemeinsame Ziel, die Pandemie zu besiegen, wurde versichert. Und als weitere Erklärung für zuletzt teils unterschiedliche Bewertungen wurde auf unterschiedliche Blickwinkel verwiesen: Die Fachminister würden es aus ihrer Ressortperspektive betrachten, Kurz müsse das Gesamtbild im Blick haben.
Parallel zur Pandemiebekämpfung versuche man zudem, den normalen politischen Betrieb wieder hochzufahren. Und da kämen dann – anders als in der Krisenkommunikation – auch parteipolitische Debatten hinein.
Je länger, desto schwieriger
Vonseiten der Grünen hieß es dazu gegenüber ORF.at, es gebe keine inhaltlichen Unterschiede. ÖVP und Grüne hätten das klare gemeinsame Ziel, die Pandemie bestmöglich zu bewältigen. Man sei in enger Abstimmung. Nach dem Sommer habe es höchstens Tempounterschiede gegeben. Und es wurde darauf verwiesen, dass Kurz und Anschober einfach unterschiedliche Typen seien.
Betont wurde zudem, dass mit Dauer der Pandemie die Krisenkommunikation immer schwieriger werde. Im Frühjahr sei es noch vergleichsweise leicht gewesen, die Bevölkerung zur gebotenen und empfohlenen Achtsamkeit (Abstand, Hygiene, Maske, Anm.) zu motivieren. Mittlerweile seien viele einfach auch der Pandemie müde oder ungeduldig.
Zwei Grundprinzipien
Mindestens gegen zwei Grundprinzipien einer funktionierenden Krisenkommunikation verstieß indes laut Filzmaier die Regierung und habe damit „Kratzer“ beim Vertrauen verursacht: Zum einen gegen den Grundsatz, nur mit einer Stimme, also einheitlich zu kommunizieren. Zwar werde versucht, den Rahmen zu erhalten – etwa mit den Vierer-Auftritten von Kanzler, Vizekanzler, Gesundheits- und Innenminister im gleichen Ambiente; doch anders als im Frühjahr, als es mit der Debatte über die Schließung der Bundesgärten „nur einen einzigen Misston“ gegeben habe, gebe es „jetzt einen Ausbruch“ an nämlichen.
Auch, aber nicht nur wegen der anstehenden Wien-Wahl hätten sich die Misstöne zwischen Bund und Ländern multipliziert. Zudem gebe es mehr Irritationen zwischen den Koalitionspartnern. Dass der Gesundheitsminister einen Impfstoff für Jahresbeginn 2021 ankündige und der Kanzler im ersten Halbjahr, das „geht nicht“, so Filzmaier.
Diskussion über CoV-Maßnahmen bei „Im Zentrum“
In der ORF-Diskussionssendung „Im Zentrum“ zeigte sich Gesundheitsminister Rudolf Anschober von den Grünen zuversichtlich, dass man es im Moment nicht mit der „zweiten Welle“ zu tun habe. Kritik an seinem Krisenmanagement kommt von der SPÖ.
Vorbereitete Kommunikation
Der zweite Grundsatz einer guten Kommunikation in Krisenzeiten sei, dass alles, was man sagt, möglichst stimmt. Gemeint sei dabei nicht das sich entwickelnde Wissen zum Virus, sondern die politische Ebene. Hier seien teils „grundfalsche Dinge“ gesagt worden, so Filzmaier. Er betont dabei, dass sich in einer Stresssituation wie der Pandemie jeder versprechen könne. Aber wiederholte Krisenkommunikation sei vorbereitet, da dürfe so etwas nicht passieren.
Als Beispiel verweist er vor allem auf die Aussagen im Lockdown, es gebe nur vier Gründe, die eigenen vier Wände zu verlassen. Die Verordnung zum Covid-19-Gesetz war von der Opposition und Fachleuten scharf kritisiert worden und wurde im Juli vom Verfassungsgerichtshof als gesetzwidrig aufgehoben.
Vertrauen als Ziel
Ziel der Krisenkommunikation müsse es aber sein, Vertrauen zu schaffen. Einer der Grundsätze lautet daher: „Sage keine Unwahrheiten“, da sonst ein starker Vertrauensverlust droht. ÖVP und Grüne betonten freilich stets, der Fehler in der Verordnung sei dem zeitlichen Druck geschuldet gewesen und keineswegs Absicht. Gleichzeit hielt die Regierung trotz breiter Zweifel, dass diese mit den Grundrechten vereinbar sei, weiter an der Regelung fest.
Auch wenn das, so betont Filzmaier, sicherlich nicht absichtlich geschah, schaffe das „jetzt natürlich Vertrauensprobleme“. Die Menschen suchen laut dem Politologen nach Orientierung, gerade auch bei der Regierung. Das würden deren ungewöhnlich hohe Umfragewerte vor dem Sommer belegen.
Taktik vs. Strategie
Und er verweist darauf, dass sich im Frühjahr „gut verständliche“ taktische Entscheidungen nun strategisch zu rächen drohten: Warum habe man etwa ein Match der in der Pandemiebekämpfung besten Länder ausgerufen? Es sei absehbar gewesen, dass auch Österreich einmal nicht so gut dastehen könnte. Und warum habe man appelliert, im Sommer möglichst im Inland zu urlauben? Wegen des Sommertourismus sei es nachvollziehbar, doch nun stehe man vor der Tatsache, dass andere Länder wie Deutschland oder die Niederlande das Gleiche sagten. Und das könnte für den Wintertourismus weitreichende Folgen haben. Da habe man Geister gerufen, die man jetzt nicht mehr so einfach loswerde, so Filzmaier.