Rotes Kreuz: Gewalt gegen ältere Frauen „unterschätzt“

Ältere Frauen sind nach Angaben des Roten Kreuzes besonders gefährdet, Opfer von Gewalt zu werden. Wie Praxiserfahrungen von Rotkreuz-Mitarbeitern nun zeigen, habe die Coronavirus-Pandemie die Situation für Betroffene weiter verschärft, wie das Rote Kreuz heute in Wien bei einer Pressekonferenz mitteilte.

„Das Thema wird in seiner Dimension leider immer noch unterschätzt“, sagte Rotkreuz-Generalsekretär Michael Opriesnig, der in diesem Zusammenhang verstärkte Prävention sowohl bei Mitarbeitern von Pflege- und Sozialdiensten als auch im Gesundheitswesen forderte.

Außerdem müsse mehr Forschung durchgeführt werden, „weder auf europäischer noch auf nationaler Ebene gibt es ausreichend repräsentative Daten“, kritisierte der Generalsekretär mit Verweis auf die nach wie vor hohe Dunkelziffer.

Während Pandemie „weniger Hilfsangebote angenommen“

Generell sei die Abklärung von Übergriffen oft sehr schwierig. „Hämatome können von Medikamenten verursacht werden, und die Sturzgefahr ist aufgrund von Instabilität oft viel größer“, sagte Rotkreuz-Bereichsleiterin Monika Wild.

Als Indiz könne jedoch herangezogen werden, dass Menschen, „die vorher oft redselig und zugänglich waren, plötzlich still sind und sich zurückziehen“. Auch bei Angehörigen könne beobachtet werden, dass bei Anzeichen von Gewalt versucht werde, die älteren Personen abzuschirmen.

Geht es nach Birgitt Haller vom Institut für Konfliktforschung (IKF), seien im Gesundheitsdienst „alle sehr gewaltsensibel“. Die im Rahmen einer IKF-Studie befragten Mitarbeiter der mobilen Pflege und Betreuung, des Rettungsdienstes sowie der sozialen Dienste und vom Besuchsdienst hätten fast alle selbst Übergriffe durch Patienten erlebt.

Der Lockdown während der Coronavirus-Pandemie habe schließlich dazu geführt, dass „Frauen weniger Hilfsangebote angenommen haben“. Die Angst vor Ansteckung war groß. Außerdem sei „die Scham, über Gewalt zu sprechen, bei älteren Frauen noch größer als bei jüngeren Frauen“, sagte Haller. Frauen schämten sich, wenn sie Gewalt erfahren, „Männer, die Gewalt ausüben, schämen sich nicht“, konstatierte Haller.

„Oft verheimlicht“

Laut Josef Hörl vom Institut für Soziologie der Uni Wien werde Gewalt „im privaten Nahraum oft verheimlicht“. „Jede Familie will Konflikte möglichst informell regeln“, so Hörl. Ist der Täter im engsten Familienkreis, wird das nicht nach außen getragen. „Die Hemmschwelle aufgrund der Scham, dass das eigene Kind die Hand gegen einen erhebt, ist sehr hoch“, sagte Hörl.

Das Rote Kreuz startet nun ein gefördertes Projekt zum Thema, um ältere Frauen zu stärken. In einer ersten Pilotphase sind Informations- und Sensibilisierungsveranstaltungen für ältere Frauen in Wien und der Steiermark geplant. Um betroffene Berufsgruppen noch stärker zu sensibilisieren, bietet das Rote Kreuz Onlinekurse für Mitarbeiter und Freiwillige an.