Übergewichtige Mexikanerin sitzt auf einer Bank im Freien
picturedesk.com/Eyevine/Guillermo Arias Xinhua
Mexiko

Fettleibigkeit und CoV als fatale Mischung

In Mexiko gibt es enorme Probleme mit Fettleibigkeit und Übergewicht: Fast drei Viertel der Bevölkerung sind betroffen, schuld ist vorrangig die Ernährung. In der Coronavirus-Krise wird das zum doppelten Problem, denn immer mehr Studien sehen einen Zusammenhang zwischen schweren Covid-19-Verläufen und Fettleibigkeit. Mexiko will nun gegensteuern – unter anderem mit Verkaufsverboten für Fast Food.

Mehrere mexikanische Bundesstaaten wollen den Verkauf von kalorienreichem, verpacktem Junkfood und zuckerhaltigen Softdrinks an Minderjährige verbieten. Ein entsprechendes Gesetz für den Bundesstaat Oaxaca wartet nur noch auf seine Unterzeichnung – bei Verstößen drohen hohe Geldstrafen, bei Wiederholungstätern sogar Haft für Verkäufer. Weitere Bundesstaaten wollen nun nachziehen, berichtet der US-Radiosender NPR. „Ich weiß, es hört sich drastisch an. Aber wir müssen handeln“, so die Abgeordnete Magaly Lopez.

Dass ausgerechnet jetzt Tempo bei der Bekämpfung von Übergewicht gemacht wird, hängt eng mit der Coronavirus-Krise zusammen. Diese hat Mexiko schwer getroffen: In absoluten Zahlen starben bisher über 75.000 Menschen in Mexiko, pro 100.000 Einwohnern liegt die Totenzahl bei 59 und damit im oberen Bereich.

Mexikanisches Junk Food
AP/Eduardo Verdugo
Zu viel Fett, Salz und Zucker: Mexiko kämpft mit einer Ernährungskrise

„Klare Verbindung“

Zwei Drittel der Toten hatten schwere Vorerkrankungen, die sich bei Covid-19 bekanntlich fatal auswirken können. Auch Fettleibigkeit und ihre Folgeerscheinungen dürften laut einer wachsenden Zahl an Studien einen schweren Verlauf stark begünstigen. Laut dem Adipositas-Verband European Association for the Study of Obesity (EASO) zeige sich eine „klare Verbindung“ zwischen Adipositas und der Schwere einer Covid-19-Erkrankung.

Risikogruppe

Auch in Österreich werden Menschen mit Adipositas ab dem dritten Grad und einem Body-Mass-Index größer oder gleich 40 als Covid-19-Risikogruppe geführt. Laut WHO gelten Erwachsene ab einem BMI von 30 oder höher als adipös, mit 25 oder höher als übergewichtig.

So stellte bereits im April eine punktuelle Untersuchung von 124 Covid-19-Intensivpatienten in Frankreich fest, dass diese überproportional an Fettleibigkeit oder Übergewicht litten (nur zehn Prozent waren normalgewichtig, in einer Kontrollgruppe aus Intensivpatienten ohne Covid-19 war es rund die Hälfte). Zudem stieg mit dem Grad des Übergewichts die Wahrscheinlichkeit für eine künstliche Beatmung.

Diese ersten Erkenntnisse wurden zuletzt auch von einer Metastudie aus den USA untermauert, die 75 Untersuchungen zu Covid-19 und Fettleibigkeit auswertete. Diese kam zu dem Schluss, dass Menschen mit einem BMI von 30 oder mehr ein um 46 Prozent höheres Risiko haben, an Covid-19 zu erkranken. Das Risiko für eine Hospitalisierung sei um 113 Prozent höher, die Wahrscheinlichkeit für eine Intensivbehandlung steige um 74 Prozent, das Sterberisiko um 48 Prozent.

Fettleibigkeit als Gesundheitskrise

Neben den USA kämpft kein Land mehr mit Fettleibigkeit als Mexiko. Ein Drittel aller Sechs- bis 19-Jährigen ist dort übergewichtig oder adipös, bei den Erwachsenen hat nur ein knappes Viertel der Bevölkerung Normalgewicht. Diese Entwicklung hat sich in den letzten 30 Jahren rasant vollzogen. Dabei wandelte sich die Ernährung vollkommen – weg von frischen, unverarbeiteten Lebensmitteln hin zu einer Ernährung, die vor allem aus verarbeiteten Produkten mit einem hohen Gehalt an Salz, Fett und Zucker besteht.

Aufgrund der Coronaviruspandemie neu geschaffener Friedhof
AP/Rebecca Blackwell
Das Coronavirus kostete in Mexiko bereits Zehntausende Menschen das Leben

Laut einer in der Fachzeitschrift „The Lancet“ publizierten Studie hängt diese Entwicklung eng mit dem mexikanischen Wirtschaftswachstum und Freihandelsabkommen wie NAFTA zusammen. In den letzten Jahren haben Fast-Food-Konzerne, Softdrink-Hersteller und Lebensmittelmultis Mexiko als willkommenen Markt erschlossen. Im Gegenzug wurden Obst und Gemüse als Exportgut immer wichtiger und für die ansässige Bevölkerung teurer.

Nicht zuletzt aggressive Marketingkampagnen der Konzerne machten Junkfood vielerorts zum Ernährungsstandard – nicht nur, aber insbesondere in den ärmsten Regionen Mexikos. Dort sind gleichzeitig viele Menschen unterernährt. Von der Politik wurde diese Gesundheitskrise lange ignoriert, nun wollen einige Politiker und Politikerinnen die CoV-Krise als Vehikel für Veränderung nutzen.

Coca-Cola-Chef als Präsident

Doch bei der Steuerung der Ernährungsgewohnheiten hakt es seit Jahren. Zum einen gab es immer wieder enge Verflechtungen zwischen Politik und Konzernen – zwischen 2000 und 2006 war etwa mit Vicente Fox ein hochrangiger Manager von Coca-Cola Präsident. Zum anderen gelten Maßnahmen gegen Junkfood als politisch heikle Angelegenheit. In den vergangenen Jahren wurden die Steuern auf Softdrinks und Junkfood erhöht, zudem müssen mittlerweile Verpackungen bei hohem Fett-, Zucker- oder Salzgehalt mit Warnhinweisen versehen werden. Beide Maßnahmen waren heftig umstritten.

Menschen auf Straße in Mexico Stadt
Reuters/Carlos Jasso
Softdrinks und schnelle Snacks mit hohen Kalorien für die Straße

Auch das Verkaufsverbot für Minderjährige sorgt nun für herbe Kritik: Die Unternehmen und Bevölkerung seien von der Coronavirus-Krise wirtschaftlich bereits genug geschwächt, das sei der nächste Schlag. Anderen kritischen Stimmen zufolge nutze die mexikanische Regierung das Problem mit der Fettleibigkeit aus, um Verfehlungen in der Coronavirus-Politik zu entschuldigen. Der Regierung wurde lange vorgeworfen, sie nehme die Epidemie nicht ernst und stelle Politik und Wirtschaft über das Leben der Menschen.