Kramp-Karrenbauer, im Dezember 2018 zur CDU-Chefin gekürt, hatte bereits heuer im Februar angekündigt, doch nicht mehr für das Amt und eine Spitzenkandidatur zur Verfügung zu stehen. Eigentlich hätte auf einem Parteitag Ende April schon die Nachfolgefrage entschieden werden sollen, doch die Coronavirus-Krise machte der Partei einen Strich durch die Rechnung. Am 4. Dezember soll er nun über die Bühne gehen – obwohl auch nun schon Sorgen geäußert werden, die Pandemie könnte die Entscheidung noch einmal verhindern.
Die lange Zeit bis zur Kür ist aber auch symptomatisch für die Schwierigkeit der Partei, die Merkel-Nachfolge zu lösen. Einen wirklich geeigneten Kandidaten, oder eine Kandidatin für die großen Fußstapfen der Kanzlerin gibt es wohl nicht. Das meinen nicht nur politische Beobachter, auch in der CDU gibt es darüber keinen Konsens. Und so ließ man viel Zeit einfach verstreichen.
Warnung vor „ruinösem Wettbewerb“
Kramp-Karrenbauer will mit den drei Bewerbern um ihre Nachfolge, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Laschet, dem Wirtschaftsexperten Merz und dem Außenpolitiker Röttgen, nun am Montag den Fahrplan bis zum geplanten Wahlparteitag Anfang Dezember abstecken. Und die Angst vor einer Selbstzerfleischung ist offenbar groß: Es gehe darum, einen fairen Wahlkampf um die Parteispitze zu gestalten, damit „aus diesem offenen, demokratischen Wettrennen kein ruinöser Wettbewerb wird“, sagte die Parteichefin. Sie selbst werde alles daransetzen, dass der Parteitag harmonisch ablaufen werde. Alle drei Bewerber sollten unbeschadet in den Parteitag gehen und auch wieder herauskommen.
Merz in Umfragen voran
In Umfragen voran liegt wohl jener Kandidat, der am meisten polarisiert: Friedrich Merz. Laut aktueller Umfrage von ARD-Deutschlandtrend sehen 33 Prozent der Befragten ihn als geeigneten Kandidaten, unter der CDU-Wählerschaft gar 43 Prozent. Ein Viertel der Befragten – sowohl CDU-Parteianhänger wie auch allgemein – sehen Laschet als geeigneten Kandidaten. Röttgen liegt bei der konservativen Wählerschaft mit 27 Prozent leicht darüber, bei der Allgemeinheit mit 21 Prozent darunter.
Kantigerer Kurs als Merkel
Merz steht jedenfalls für einen kantigeren und wirtschaftsfreundlichen Kurs – sowie für eine tendenziell härtere Sozialpolitik, der vom rechten Flügel der Partei und der jungen Union unterstützt wird. Umgekehrt wird ihm seine Tätigkeit als Aufsichtsratsvorsitzender und Lobbyist für den Vermögensverwaltungskonzern BlackRock von 2016 bis 2020 angelastet, war der Konzern doch in die umstrittenen „Cum-Ex“-Geschäfte verwickelt, mit der jahrelang die Staatskassa ausgenommen wurde. Und Merz sorgt immer wieder für Aufreger.
Zuletzt etwa antwortete er im „Bild“-Politiktalk auf die Frage, ob er Vorbehalte hätte, wenn heute ein Schwuler Bundeskanzler würde, mit „Nein“. Auf Nachfrage brachte er aber das Thema Pädophilie ins Spiel. Kritisiert wurde, dass er die Themen Homosexualität und Pädophilie vermische. „Es spielt im Jahre 2020 wirklich keine Rolle mehr, wer wen liebt. Das ist Konsens in unserer Gesellschaft“, versuchte Laschet in Reaktion darauf zu punkten.
Laschet auf Merkel-Linie, Außenseiter Röttgen
Laschet selbst gilt als derjenige Kandidat, der sich anschickt, Merkels Politik der Mitte weiterzuführen und auch damit wirbt: „Wir müssen ausstrahlen: Wir wählen jetzt nicht den Bruch mit Merkel – wir wählen eine Kontinuität“, sagte er vor Kurzem. Im Frühjahr war er in die Kritik geraten, weil er in der Coronavirus-Krise bei scharfen Maßnahmen eher bremste und auf die Auswirkungen auf die Wirtschaft verwies. Mittlerweile könnte eine solche Haltung auch in Deutschland eher belohnt werden. Als Unterstützer hat er Gesundheitsminister Jens Spahn, der 2018 bei der Wahl zur Parteispitze noch selbst angetreten war.
Röttgen wiederum verkündete im Februar völlig überraschend seine Kandidatur. Lange Jahre galt er als Kronprinz Merkels und wurde scherzhaft „Muttis Klügster“ genannt. Doch bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, bei der er als Umweltminister Landeschef werden wollte, wollte er sich im Wahlkampf nicht auf Bundes- oder Landtagspolitik festlegen. Die CDU stürzte ab, als Landesparteichef trat er zurück, als Minister wurde er von Merkel entlassen. Anders als Merz, der in die Wirtschaft wechselte, blieb Röttgen der Politik zwar treu, gilt nun aber eher als Außenseiter bei der Wahl.
Söder als Umfragekaiser
Doch egal, wer von den dreien an die Spitze der CDU gewählt wird, ist dies nur der erste Schritt zur Kanzlerkandidatur. Denn bei dieser Frage wird Bayerns Ministerpräsident Söder ein Wörtchen mitzureden haben. In der ARD-Umfrage überstrahlen seine Werte die Konkurrenz bei Weitem: 56 Prozent der Befragten halten ihn für geeignet, 75 Prozent sind es bei der Anhängerschaft.
In der CDU pocht man darauf, selbst den Kanzlerkandidaten zu stellen und verweist auf die bisher erfolglosen Versuche, einen CSU-Mann ins Kanzleramt zu schicken. 1980 scheiterte Franz-Josef Strauß, 2002 Edmund Stoiber.
Dementi und Andeutungen
Söder selbst dementiert immer wieder seine Ambitionen: „Es glaubt mir immer keiner, aber ich meine es so: Mein Platz ist in Bayern, und da bleibe ich auch“, sagte er vor wenigen Tagen. Doch dann ließ er auch mit anderen Tönen aufhorchen: „Wir werden jetzt erst einmal abwarten, wer CDU-Vorsitzender wird, und dann werden wir uns zusammensetzen und eine vernünftige Weggabelung vorbereiten.“
Für Verwunderung sorgte jedenfalls ein angekündigter Termin am nächsten Mittwoch. Da wird in Berlin die nicht autorisierte Biografie von Laschet „Der Machtmenschliche“ vorgestellt. Laschet selbst wird da nicht dabei sein, dafür aber sein potenzieller Konkurrent Söder.
Merkel zurückhaltend
Und Merkel? Die Kanzlerin ist gerade im Umfragehoch, 72 Prozent sind mit ihrer Arbeit laut ARD-Deutschlandtrend sehr zufrieden oder zufrieden. Ohne den Druck, sich noch einer Wahl zu stellen, agiere sie „befreit“, kommentieren deutsche Zeitungen. Doch vielleicht kommen die Sympathiewerte auch daher, dass sie derzeit sehr zurückhaltend agiert und sich kaum äußert, schon gar nicht zur Nachfolgefrage. In den vergangenen Monaten gab es von ihr lediglich ab und zu leichtes Lob für Laschet und Röttgen, während sie Merz eher die kalte Schulter zeigte.
Das ist wenig verwunderlich: Merz’ Ausstieg aus der Politik 2009 erfolgte nach einem Machtkampf mit Merkel. Überhaupt schaffte es die Kanzlerin in den vergangenen Jahren, zahlreiche Konkurrentinnen und Konkurrenten, ob gewollt oder nicht, zu entmachten oder wegzuloben. Christian Wulff wurde ins vor allem repräsentative Bundespräsidentenamt geschickt, zuvor hatte sie bereits Wolfgang Schäuble als Parteichef abgelöst und als Dauerfinanzminister ausgebremst.
Keine Nachfolgerin
Eine Nachfolgerin ist jetzt nicht in Sicht: Ursula von der Leyen war immer wieder als mögliche Kandidatin kolportiert worden, bis sie als Verteidigungsministerin aufgrund etlicher Bundeswehr-Skandale stark in Bedrängnis kam und schließlich Richtung Brüssel als EU-Kommissionsvorsitzende hochgelobt wurde. Auch Kramp-Karrenbauer, der nachgesagt wurde, Merkels Wunschkandidatin zu sein, kam zumindest teilweise ihr Job als Verteidigungsministerin in die Quere.
Ein Rücktritt vom Rücktritt, also dass Merkel noch einmal in den Ring steigt, wie in manchen rechten Verschwörungszirkeln vermutet, gilt als ausgeschlossen. Und es wird auch eher nicht erwartet, dass sich Merkel doch noch in die Nachfolgerfrage groß einmischt. Da sorgt derzeit schon eher etwas anderes für ein bisschen Irritation: Merkel versteht sich mit SPD-Chefin Saskia Esken offenbar besser als mit so manchem Parteifreund.