In the Bottom of My Garden, ca. 1956
Bayerische Staatsgemäldesammlungen/Museum Brandhorst München
Mumok-Ausstellung

Warhol wie noch nie

Mit vier Monaten Verspätung komplettiert das mumok seinen großen Andy-Wahrhol-Reigen und zeigt den Pop-Art-Star so, wie man ihn landläufig nicht kennt: keine Suppendosen, Brillo-Boxes oder Konterfeis von Marilyn Monroe, sondern ein deutlich brüchigerer, roher Warhol. Sein sorgsam orchestriertes Image hätte er selbst gerne gewahrt: Das Frühwerk und die experimentellen Filme hielt er zu Lebzeiten unter Verschluss.

Schon seit Monaten zieren sie den Treppenaufgang des mumok, seine „Flowers“ (1964), die ikonischen Hibiskusblüten des „Godfather of Pop-Art“. Der populäre Auftakt – Flowers gilt als die bekannteste Bilderserie der Kunstgeschichte überhaupt – ist aber so etwas wie ein Täuschmanöver. Denn wer die Pop-Art-Highlights im Original sehen will, muss aktuell nach London fahren, zur großen Retrospektive der Tate Modern. „Überhaupt kein Interesse“ hat mumok-Kuratorin Marianne Dobner an solchen Ansätzen, wie sie im ORF.at-Interview erzählt. Ihre Wiener Warhol-Festspiele zeigen eine „glitzernde Alternative“, wie auch der finale, die Serie komplettierende Ausstellungsteil heißt, der der historischen Kontextualisierung vom Juli nun nachfolgt.

Besonders augenfällig ist der Bruch im Erdgeschoß, bei der Präsentation des Frühwerks: Andy Warhol als Verfasser von zarten, homoerotischen Kugelschreiberzeichnungen? In den nüchtern-weißen Vitrinen, die sich über eine Hälfte der ansonsten leergeräumten Etage erstrecken, zeigt man Skizzen von Männergesichtern, die Warhol in den 50er Jahren als ca. 30-jähriger Werbegrafiker angefertigt hatte.

Fotostrecke mit 10 Bildern

Male Portrait 1950 und M was her mustache removed in our salon 1953
The Andy Warhol Museum/Bildrecht Wien
„M was her mustache removed in our salon“, 1953, „Male Portrait“, 1950
The Autobiography of Alice B. Shoe, ca 1951
The Andy Warhol Museum/Bildrecht Wien
„The Autobiography of Alice B. Shoe“, ca. 1951
Ausstellungsansicht
mumok/Klaus Pichler
Ausstellungsansicht Erdgeschoß
Ausstellungsansicht
mumok/Klaus Pichler
Kuhtapeten von 1966, eine Rekonstruktion aus der berühmten New Yorker Leo Castelli Gallery
Blow Job, 1964
The Andy Warhol Museum/Bildrecht Wien
Still aus dem Film „Blow Job“
Ausstellungsansicht
mumok/Klaus Pichler
Ein Hauch von Disco: Filme, unterlegt mit Musik von The Velvet Underground
Self-Portrait 1958 und Ausstellungsansicht
TC21.26 /Licenced by Bildrecht Wien; mumok/Klaus Pichler
Links ein Selbstportät von 1958, rechts die Rekonstruktion seiner Kinderausstellung „Toy Paintings“
Fish, 1983
The Andy Warhol Museum/Bildrecht Wien
„Fish“, 1983
Fotografie von Mick Jagger, ca. 1978,
The Andy Warhol Museum/Bildrecht Wien
Warhol als Chronist des New Yorker Lebens: Fotografie von Mick Jagger, ca. 1978
Ausstellungsansicht
mumok/Klaus Pichler
Warhols Ausstellung „Raid the icebox 1“, hier im zeitgenössischen Restaging von KHM und Weltmuseum

Penisbild mit Kronjuwelen

Eine Fortführung dieser Serie lässt Warhols Faible für Schuhwerk und Füße erkennen, etwa in schnellen rohen Skizzen mit Tätowierung oder etwa einer Krabbe, die in die Zehen beißt. Noch lustig-sinnlicher dann seine Peniszeichnungen in verschiedensten Varianten: ein Kronjuwelen-behangener Schniedl oder auch eine Hommage an den belgischen Kollegen mit „Dick a la Magritte“ (ca. 1956).

Dass man diese Werke nicht kennt, hat damit zu tun, dass sich Warhol 1962, nach den ersten größeren Erfolgen mit seinen „Campbell’s Soup Cans“, dazu entschied, dieses Frühwerk komplett unter Verschluss zu halten: Warhol selbst orchestrierte sein perfektes Image als Pop-Art-Star, indem er viele seiner Werke nicht verkaufte. Die Geheimhaltung des vor allem zeichnerischen Frühwerks begründet Dobner aber auch mit der expliziten Homoerotik, die den Künstler in den prüden 60er Jahren nicht zuletzt vor strafrechtliche Probleme gestellt hätte.

„Der Warhol, den wir uns verdienen“

Die Queerness dieses Frühwerks zeigt sich auch in zwei anderen Zyklen: In seinem beinahe karikaturhaften „Ladies’ Alphabet“ hatte Warhol drei Transsexuelle „versteckt“, wie die Andy-Warhol-Forschung erst seit Kurzem weiß. Und in seiner schillernden, blattgoldverzierten „The golden slipper show“ (1956) finden sich zwei opulente Stöckelschuhe von Christine Jorgenson, der Amerikanerin, die 1952 mit der ersten geschlechtsangleichenden Operation viel Aufmerksamkeit auf sich zog. So unbekannt dieses zeichnerische Werk erscheint, so sehr ist hier schon angelegt, was Warhol später berühmt machte: Das Prinzip des Seriellen, das er mit der Vervielfältigung der bekanntesten Markenprodukte auf die Spitze trieb.

Vier Jahre hat mumok-Kuratorin Dobner, die sich auf ihrer Instagram-Seite „Kunsthistorikerin mit einer ernsthaften Andy-Warhol-Obsession“ nennt, an dem Ausstellungsprojekt gearbeitet. Coronavirusbedingt – die Ausstellung zeigt vor allem Leihgaben aus dem Andy Warhol Museum in Pittsburgh – konnte man den wichtigsten Ausstellungsteil erst jetzt zeigen – mit einem etwas sinnlicheren zweiten Teil und dem, wie Dobner sagt, „Warhol, den wir uns verdienen“.

Ausstellungsansicht
mumok/Klaus Pichler
Andy Warhols „Silver Clouds“ (1966) im mumok

Ausstellungshinweis

„Andy Warhol Exhibits. A glittering alternative“. Mumok Wien, Freitag, 25. September 2020, bis Sonntag, 31. Jänner 2021.

Silberwolken herumwirbeln

Auf einen Raum, der mit Kuhtapete ausgekleidet ist, folgt einer, in dem man Warhols silberne Plastikfolienwolken „Silver Clouds“ selbst herumwirbeln darf. Dahinter steht ein konzeptueller Zugang: Wahrhol wird im mumok auch als Ausstellungsmacher präsentiert. Über 200 Ausstellungen gestaltete der Künstler zu Lebzeiten, Kuhtapete und Silberpolster zeigte er etwa 1966 in der berühmten New Yorker Leo-Castelli-Galerie: einer Schau, die damals ein echter Flop war und hier als Beweis angeführt wird, dass Warhol nicht nur kommerziell dachte.

Wenig Erfolg beschieden war auch Warhols umfangreichem filmischem Werk. Insgesamt rund 6.000 Filmrollen Material sollen existieren – auch diese hielt er später unter Verschluss, ehe er sie kurz vor seinem Tod dem Pittsburgh Museum übergab. „Blow Job“, „Kiss“ oder das berühmt-berüchtigte „Empire“, eine achtstündige Standbildaufnahme des „Empire State Building“: In diese Werke kann man hier auf gemütlichen Sitzsäcken eintauchen, am besten in Form einer meditativen Aufmerksamkeit.

„Blow Job“ mit FM4, „Kiss“ mit Ö3

Unterlegt sind die Filme – wie damals auch bei Warhol – mit Liveradio. Ö1-Klänge gibt es zu „Empire“, zu „Blow Job“ tönt FM4, und „Kiss“ wird von Ö3 begleitet. Die gelungene zeitgenössische Adaption findet in einem Ausstellungsseitenarm leider kein Pendant: Mit Beständen aus der Antikensammlung des Kunsthistorischen Museums und des Weltmuseums versucht man sich auf Etage drei an einer Hommage an Warhols Ausstellung „Raid the Icebox 1“, die der Künstler 1961 auf Einladung des Museum of Art der Rhode Island School of Design aus dessen Depot gestaltet hatte.

Statt für wertvolle Objekte entschied sich Warhol damals vorrangig für Hutschachteln, Schuhe und andere Alltagsgegenstände. Die Wiener Museumskuratoren eifern dem Künstler-Kurator Warhol hier halbherzig nach. Spannender – und inzwischen vielfach auch im mumok gelungen erprobt – wäre es gewesen, Künstler selbst ans Werk zu lassen. Das ist aber auch schon die einzige Schwachstelle dieser gelungenen Präsentation.