Panzer in Berg-Karabach
APA/AFP/Karen Minasyan
Heftige Gefechte

Bergkarabach-Konflikt flammt wieder auf

In der Konfliktregion Bergkarabach im Südkaukasus ist es zwischen den verfeindeten Ländern Aserbaidschan und Armenien nach Angaben beider Seiten zu schweren Gefechten gekommen. Die Hauptstadt Stepanakert sei beschossen worden, die Menschen sollten sich in Sicherheit bringen, teilten die Behörden in Bergkarabach am Sonntag mit. Zahlreiche Häuser in Dörfern seien zerstört worden. Es soll auch Verletzte geben.

Beide Seiten gaben sich gegenseitig die Schuld für die Gefechte. Der Beschuss habe am frühen Morgen von aserbaidschanischer Seite begonnen, schrieb der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan auf Facebook. „Die gesamte Verantwortung dafür hat die militär-politische Führung Aserbaidschans“, teilte die Sprecherin des Verteidigungsministeriums von Armenien mit.

Eriwan habe deshalb Hubschrauber und Kampfdrohnen eingesetzt. Drei gegnerische Panzer seien getroffen worden. Die armenische Armee hätte auch zwei aserbaidschanische Hubschrauber und drei Drohnen abgeschossen.

Proarmenische Rebellen in Aserbaidschans Unruheregion Bergkarabach schossen nach eigenen Angaben Sonntagfrüh die zwei aserbaidschanischen Militärhubschrauber ab. Zuvor habe die aserbaidschanische Armee die mehrheitlich von Armeniern bewohnte Region am frühen Morgen bombardiert, erklärten die Rebellen. Die Regierung in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku betonte, es handle sich um eine Gegenoffensive an der Frontlinie. Es gab Berichte, dass der Ausnahmezustand verhängt worden sei.

Karte von Berg-Karabach
Grafik: APA;ORF.at

Aserbaidschan: Sieben Dörfer zurückerobert

Aserbaidschan eroberte nach Angaben des Verteidigungsministeriums sieben Dörfer in Bergkarabach zurück. Die Gebiete seien bei der Militäroperation am Sonntag von der armenischen Besatzung befreit worden, sagte Verteidigungsminister Zakir Hasanov aserbaidschanischen Medien zufolge am Sonntag in Baku. Es handelte sich vor allem um Gebiete in den Regionen Füsuli und Dschabrayil. Der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev sprach von einer Militäroperation, die auf eine Verteidigung gegen Aggressionen aus Armenien angelegt sei.

„Die aserbaidschanische Armee führt gegenwärtig Schläge gegen die militärischen Stellungen des Gegners aus“, sagte Aliyev in Baku. Der Militäreinsatz sei eine Reaktion auf die andauernden Provokationen aus Armenien.

Armenischer Regierungschef sieht „Kriegserklärung“

Armeniens Regierungschef Paschinjan wertete die Gefechte als „Kriegserklärung“, wie er am Sonntag in einem Video sagte. „Das autoritäre Regime von Aliyev hat seine Feindseligkeiten wiederaufgenommen. Es hat dem armenischen Volk den Krieg erklärt“, sagte Paschinjan. Unter der Regierung von Aliyev habe Aserbaidschan mit schwerem Gerät Bergkarabach angegriffen. „Wir sind zu diesem Krieg bereit“, sagte der armenische Regierungschef.

Aliyev betonte dagegen, das „Problem Bergkarabach ist unsere nationale Aufgabe. (…) Die Lösung ist unser historischer Auftrag.“ Das Volk solle zufrieden sein mit der Wiederherstellung der territorialen Unversehrtheit Aserbaidschans. „Ich habe mehrfach gesagt, dass wir keine unvollkommene Lösung dieser Frage, dieses Konflikts brauchen“, sagte er. Aserbaidschan beklagt den Verlust von etwa 20 Prozent seines Staatsgebiets. „Wir werden niemals die Gründung eines zweiten sogenannten armenischen Staates auf aserbaidschanischem Boden zulassen“, so Aliyev. Sonntagnachmittag wurde auch in einigen Landesteilen im Aserbaidschan der Kriegszustand verhängt.

Russland und Türkei als jeweilige Schutzmacht

Laut russischen Nachrichtenagenturen gab das aserbaidschanische Verteidigungsministerium bekannt, eine Militäroperation entlang der „Kontaktlinie“ gestartet zu haben, einem stark verminten Niemandsland zwischen den beiden Staaten. Zudem bestätigte die Behörde den Abschuss eines Hubschraubers. Armenien verhängte indes das Kriegsrecht und verkündete die Generalmobilmachung. Regierungschef Nikol Paschinjan rief seine Landsleute am Sonntag in einem Facebook-Eintrag auf, sich für die Verteidigung des „heiligen Vaterlandes“ bereitzuhalten.

Konflikt rund um Bergkarabach eskaliert

In der Nacht zum Sonntag soll Aserbaidschan die Hauptstadt der Region Bergkarabach bombardiert haben. Damit eskaliert der Konflikt mit dem Nachbarland Armenien.

Die von Armenien kontrollierte Region Bergkarabach gehört völkerrechtlich zum islamisch geprägten Aserbaidschan. Der Konflikt besteht seit Jahrzehnten. Baku hatte in einem Krieg nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Kontrolle über das von christlichen Karabach-Armeniern bewohnte Gebiet verloren. Seit 1994 gilt in der Region eine Waffenruhe, die aber immer wieder gebrochen wird. Russland steht in dem Konflikt an der Seite Armeniens, die Türkei an der Seite Aserbaidschans.

Manöver im August

Experten befürchten, dass durch die neuen Kämpfe dieser Konflikt neu aufflammen könnte. Der Westen und die Länder der Region beobachten den Konflikt mit Sorge, da er den Südkaukasus zu destabilisieren droht, durch den wichtige Öl- und Gaspipelines verlaufen. Russland und auch die Türkei hatten zuletzt betont, in der Region dürfe es nicht zu einer Eskalation kommen. Der Konflikt sollte mit friedlichen Mitteln gelöst werden.

Erst im August hatte parallel zum Manöver türkischer und aserbaidschanischer Truppen in Aserbaidschan auch Russland eine Militärübung im Südkaukasus abgehalten. Mehr als 1.500 Soldaten seien an dem Manöver in Armenien beteiligt gewesen, hatte das russische Militär der Agentur Interfax zufolge damals mitgeteilt. Kampfjets, Hubschrauber und Drohnen seien zum Einsatz gekommen. Das türkische Verteidigungsministerium hatte Fotos von der Übung, an der unter anderem Scharfschützen und Kampfhubschrauber beteiligt waren, veröffentlicht. Armenien hatte das türkische Manöver als „Provokation“ kritisiert.

An der Grenze zwischen Aserbaidschan und Armenien war es zuvor zu neuen Spannungen gekommen, mehrere Menschen starben dabei. Die verfeindeten Länder gaben sich – wie auch jetzt – gegenseitig die Schuld an der Eskalation. Die Gefechte lagen damals jedoch weit nördlich vom Konfliktgebiet Bergkarabach. Als der Konflikt im April 2016 neu aufflammte, kamen mindestens 200 Menschen ums Leben.

Internationale Besorgnis und Aufruf zu Waffenruhe

Das russische Außenministerium rief beide Seiten auf, das Feuer sofort einzustellen. Zudem sollten Baku und Eriwan Gespräche aufnehmen, um die Situation zu stabilisieren. Die benachbarte Türkei warf Armenien vor, internationales Recht zu verletzen. Das Außenministerium in Ankara teilte mit, es verurteile den „armenischen Angriff“ scharf. „Wir werden unsere aserbaidschanischen Brüder mit all unseren Mitteln in ihrem Kampf zum Schutz ihrer territorialen Integrität unterstützen“, so der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar am Sonntag. Armenien warf er vor, mit seiner „Aggression“ Frieden und Stabilität im Kaukasus zu bedrohen.

Ein Sprecher des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan verurteilte die Kampfhandlungen „aufs Schärfste“. Armenien habe „erneut gegen das Völkerrecht verstoßen“, schrieb er auf Twitter. Die internationale Gemeinschaft müsse dieser „gefährlichen Provokation“ entgegentreten. „Aserbaidschan ist nicht allein, es hat die volle Unterstützung der Türkei.“

Die Europäische Union forderte ein sofortiges Ende der Kampfhandlungen. EU-Ratspräsident Charles Michel erklärte am Sonntag, die Konfliktparteien müssten „umgehend an den Verhandlungstisch zurückkehren“. Die Informationen über die jüngsten Kampfhandlungen seien Anlass zu „größter Besorgnis“. Auch Frankreich reagierte mit „großer Sorge“ und rief zum Dialog auf. Das Außenministerium in Paris erklärte, Frankreich sei gemeinsam mit seinen Partnern Russland und den USA bereit, zu einer Verhandlungslösung in dem Konflikt beizutragen.