Amy Coney Barrett
Reuters/Carlos Barria
Tief religiös, erzkonservativ

US-Richterkandidatin beunruhigt Liberale

Sie gilt als erzkonservativ, tief religiös und soll schon bald der liberalen Ikone Ruth Bader Ginsburg am US-Supreme Court nachfolgen: Amy Coney Barrett, die von US-Präsident Donald Trump für den Posten nominiert wurde, versetzt das liberale Lager in Aufruhr. Befürchtet wird, dass Barrett die USA mit ihren Ansichten in puncto Abtreibungen, gleichgeschlechtlichen Ehen oder Waffenrecht grundlegend verändern könnte.

Mit der 48-Jährigen soll eine Juristin ins oberste Gericht einziehen, die sich in der Vergangenheit bereit gezeigt hat, mit bisherigen Auslegungen der Verfassung zu brechen. Entscheidend könnte das werden, sollten bei einem künftigen Supreme Court mit klarer konservativer Mehrheit von sechs zu drei Sitzen erneut Verfahren zum Beispiel zur Rechtmäßigkeit von Abtreibungen oder gleichgeschlechtlicher Ehen landen. Das oberste Gericht hat in den USA oft das letzte Wort bei Grundsatzfragen zu Streitthemen wie Abtreibung, Einwanderung und Diskriminierung.

„Ich neige dazu, denen zuzustimmen, die sagen, dass eine Richterin der Verfassung verpflichtet ist – und dass es für sie legitimer ist, ihr Verständnis der Verfassung durchzusetzen, statt eine Präzedenzfallentscheidung, die ihr aus ihrer Sicht widerspricht“, schrieb Barrett in einem Artikel im Jahr 2013 – eine Einstellung, die Liberale beunruhigt. Zugleich müssten aber auch Argumente für einen Erhalt der Präzedenzentscheidung berücksichtigt werden, schränkte sie ein.

Präsident Trump und Amy Coney Barrett
APA/AFP/Olivier Douliery
US-Präsident Donald Trump versucht, mit Barretts Nominierung bei christlich-konservativen Wählern zu punkten

„Richter machen keine Politik“

„Richter machen keine Politik“, zitierte Barrett am Samstag bei einer Ansprache vor dem Weißen Haus überdies ihren Mentor, den im Jahr 2016 verstorbenen Verfassungsrichter Antonin Scalia, und versuchte zugleich offenbar Zweifel an ihrer Unabhängigkeit zu zerstreuen.

In ihrer Ansprache sagte sie, dass sie zur Philosophie Scalias stehe, dem Wortlaut der Gesetze zu folgen. „Ich liebe die Vereinigten Staaten und ich liebe die Verfassung der Vereinigten Staaten.“ Sie habe aber „keine Illusionen“, dass der Weg vor ihr einfach werde, „weder auf kurze noch auf lange Sicht.“

Anhörung im Oktober

Die Richter am obersten Gericht werden auf Lebenszeit ernannt. Sie werden vom Präsidenten vorgeschlagen und vom Senat bestätigt. Die Republikaner haben im Senat eine Mehrheit von 53 der 100 Sitze. Barretts Anhörung im Justizausschuss soll bereits am 12. Oktober beginnen. Die Demokraten fordern, dass der Sieger der Präsidentenwahl über die Ginsburg-Nachfolge entscheidet.

Barrett tritt seit Jahrzehnten als überzeugte Katholikin in Erscheinung und ist damit auch hoch angesehen im christlich-konservativen Lager, einer Kernwählergruppe Trumps. Deswegen ging es schon 2017 bei der Anhörung für ihren aktuellen Richterposten an einem Berufungsgericht mehr als einmal um die Frage, ob der Glaube ihre Entscheidungen beeinflussen könnte.

Amy Coney Barrett
APA/AFP/Olivier Douliery
„Richter machen keine Politik“, sagte Barrett bei ihrer Ansprache vor dem Weißen Haus

Barrett sieht keinen Widerspruch mit Glauben

„Ich sehe keinen Widerspruch zwischen einem aufrichtigen Glauben und meinen Pflichten als Richterin“, sagte Barrett damals. Sie werde sich immer nur von dem Gesetz leiten lassen. Und: „Ich würde meine persönlichen Überzeugungen nie dem Gesetz aufzwingen.“ Ein Richter dürfe nie aus dem Wunsch heraus entscheiden, ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen.

Liberales Lager in Aufruhr

US-Präsident Donald Trump hat die erzkonservative, tief religiöse Juristin Amy Coney Barrett offiziell für den Posten am Obersten Gerichtshof nominiert und damit das liberale Lager in Aufruhr versetzt.

Einige Senatoren – sowohl Demokraten als auch Republikaner – gaben damals zu bedenken, dass die eigenen Erlebnisse und Ansichten unweigerlich auch juristische Entscheidungen beeinflussten. Insbesondere die demokratische Senatorin Diane Feinstein bezeichnete Barrett als „kontrovers“: „Das Dogma lebt lautstark in Ihnen – und das macht besorgt, wenn Sie an große Themen herantreten sollten, für die viele Menschen in diesem Land jahrelang gekämpft haben.“

Zu diesen Themen gehören das Recht auf Abtreibungen und gleichgeschlechtliche Ehen. Das oberste Gericht entschied jeweils 1973 und 2015, dass sie von der US-Verfassung gewährleistet werden. Den Erzkonservativen in Amerika sind sie ein Dorn im Auge.

Ruth Bader Ginsburg
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Barrett soll der in der Vorwoche verstorbenen liberalen Ikone Ruth Bader Ginsburg nachfolgen

Kontroversielle Fälle zu Waffenrecht und Abtreibungen

Bei ihrer Anhörung 2017 wich Barrett allen Fragen dazu aus, ob sie mit den Entscheidungen des obersten Gerichts zu den Streitthemen einverstanden sei. Das sei egal, weil sie am Berufungsgericht unweigerlich der Rechtsprechung des Supreme Court folgen müsse, argumentierte sie. „In Bezug auf gleichgeschlechtliche Ehen werden meine Überzeugungen überhaupt keine Rolle spielen“, sagte Barrett. Bei ihrer anstehenden Befragung im Senat dürften diese Fragen erneut aufkommen. Im Jahr 2017 war sie mit einer Mehrheit von 55 der 100 Senatorenstimmen bestätigt worden.

In den drei Jahren als Berufungsrichterin beschäftigte sich Barrett mit einigen kontroversen Fällen. So widersprach sie 2019 der Entscheidung ihres Gerichts, dass es rechtmäßig sei, verurteilten Straftätern den Waffenbesitz zu verbieten. Barrett argumentierte, eine solche pauschale Regel mache den zweiten Zusatzartikel zur US-Verfassung, der den Waffenbesitz gesetzlich verankerte, „zu einem Recht zweiter Klasse“. Stattdessen sollte das Verbot nur für Personen gelten, die gefährlich seien.

Barretts Berufungsgericht befasste sich mehrfach mit Verfahren rund um Abtreibungen. Sie schloss sich der Mehrheitsentscheidung an, die eine Regelung in Chicago bestätigte, nach der Abtreibungsgegner Frauen nicht vor Kliniken ansprechen dürfen. Nachdem eine Kammer aus drei Richtern ein Gesetz aus dem Bundesstaat Indiana für verfassungswidrig erklärt hatte, wonach minderjährige Frauen vor einer Abtreibung ihre Eltern informieren mussten, sprach sie sich dafür aus, den Fall vom kompletten Gericht hören zu lassen – wurde aber überstimmt.

„Zweck ist, das Königreich Gottes aufzubauen“

Barrett wuchs in einem Vorort von New Orleans auf, Recht studierte sie unter anderem an der katholischen Privatuniversität Notre Dame. Bis zum Posten am Berufungsgericht war sie dort Rechtsprofessorin. Schon 1998 fiel Barrett als Koautorin eines Artikels auf, der argumentierte, dass Katholiken unter den Richtern sich von Fällen zurückziehen sollten, bei denen sie einen Widerspruch zu ihrem Glauben sähen – wie etwa Entscheidungen zur Todesstrafe. Sie glaube weiterhin daran, sagte Barrett bei der Senatsanhörung 2017.

Oft aufgegriffen wurde auch eine Ansprache aus dem Jahr 2006, in der Barrett Notre-Dame-Absolventen auf den Weg gab, deren juristische Karriere sei ein Mittel zum Zweck – „dieser Zweck ist, das Königreich Gottes aufzubauen“. Sie müssten zwar denselben ethischen Standards wie andere folgen. „Aber wenn Sie in Erinnerung behalten können, dass Ihr grundlegendes Ziel im Leben nicht ist, Jurist zu sein, sondern Gott zu lieben, zu kennen und zu dienen, werden Sie wahrhaft eine andere Art Jurist sein“, sagte sie.

Demokraten fürchten um Gesundheitsreform

US-Demokraten warnten nach ihrer Nominierung am Samstag auch, dass damit die Gesundheitsversorgung von Millionen Menschen bedroht sei. Präsidentschaftskandidat Joe Biden verwies darauf, dass Barrett die Argumentation des obersten Gerichts zur Bestätigung der Gesundheitsreform von Präsident Barack Obama kritisiert habe.

Trump will Obamas Reform, die unter anderem Personen mit Vorerkrankungen erstmals den Zugang zur Krankenversicherung garantierte, vom Supreme Court aufgehoben sehen. Sie war bei einem früheren juristischen Angriff 2012 mit einer knappen Mehrheit von fünf zu vier Stimmen von dem Gericht bestätigt worden.

Biden betonte zudem, dass mit einem Aus für die Gesundheitsreform auch Patienten mit Coronavirus-Folgen wie Lungen- und Herzkomplikationen von Krankenversicherern abgelehnt werden könnten. Trump erklärte in dieser Woche zwar per Präsidentenerlass Garantien für Menschen mit Vorerkrankungen zur Regierungspolitik – es blieb jedoch unklar, wie sich das genau in der Gesetzgebung niederschlagen soll.

Barrett als „People of Praise“-Anhängerin

Barrett ist mit einem früheren Staatsanwalt verheiratet und hat sieben Kinder, zwei davon adoptiert aus Haiti. Sie gehört der katholischen Glaubensgruppe „People of Praise“ an, die in den 70er Jahren von Notre-Dame-Absolventen gegründet wurde. Einige frühere Mitglieder behaupteten, zur Ideologie von „People of Praise“ gehöre eine untergeordnete Rolle von Frauen – die Gruppe wies das zurück.