Marie-Luise Stockinger als Sally Poppy in „Das Himmelszelt“
Burgtheater/Marcella Ruiz Cruz
„Das Himmelszelt“

Blut und Muttermilch am Burgtheater

Ein feministisches Stück, das kaum ein Thema des weiblichen Körpers auslässt, hat am Sonntagabend am Burgtheater mit „Das Himmelszelt“ seine deutsche Uraufführung gefeiert. Lucy Kirkwoods Drama handelt von einer Mörderin im 18. Jahrhundert. Im Prozess deckt eine weibliche Jury Geheimnisse auf. Tina Laniks Inszenierung setzt auf schrille Töne, wobei besonders die Ensembleleistung überzeugt.

So gerne würden die Frauen ihren Alltag fortsetzen, sich weiter auf Kochen, Putzen und Bügeln konzentrieren. Aber sie sind abberufen, um über Leben oder Tod zu entscheiden. In ihrem Stück „Das Himmelszelt“ lässt die britische Dramatikerin Kirkwood ein Dutzend Mütter auftreten, die unfreiwillig einen Richtsspruch zu fällen haben. Diese „Jury der Matronen“ trägt altmodische Rüschenkleider, ist sie doch im England des Jahres 1759 angesiedelt. Im Zentrum des Dramas steht die verurteilte Mörderin Sally Poppy (Marie-Luise Stockinger). Die junge Frau behauptet, schwanger zu sein. Ein Kind im Leib würde sie vor dem Galgen retten.

„Ich wollte schon immer ein Theaterstück über Hausarbeit schreiben. Aber es sollte auch richtig spannend werden“, verriet die 1984 geborene Dramatikerin zu Jahresbeginn in einem Interview. Kirkwood verlegte ihr Stück in eine Epoche, in der eine frühe Schwangerschaft medizinisch nicht zu beweisen war. Kein Wunder, dass die Hebamme (Sophie von Kessel) in dieser Gemeinschaft eine so einflussreiche Position hat. Das Jahr 1759 spielt in „Das Himmelszelt“ auch insofern eine Rolle, als damals der Halleysche Komet erschien. Die Protagonistinnen des Stücks halten nach dem geschweiften Himmelskörper immer wieder Ausschau. Aber ist er nicht ein Unglücksbote?

Blut und Muttermilch

Ausgangspunkt des Stücks ist die grausame Ermordung eines Mädchens aus reichem Hause. Kirkwood lehnt sich an das Genre des Gerichtssaaldramas an. Sie verknüpft es aber mit Körperthemen, die seit Eve Enslers „Vagina-Monologen“ nicht mehr so breit auf die Bühne kamen. Gleichzeitig geht es um Wahrheitsfindung und moralische Verantwortung. Eine Szene zu Beginn hat mehr von Komödie als Tragödie: Als Parade treten die Frauen beim Gerichtsdiener an, um auf die Bibel zu schwören und das Heilige Buch zu küssen. Ihre bunten Kleider und die aufgekratzte Stimmung lassen an Francois Ozons Krimikomödie „8 Frauen“ denken.

Nur eine Frau in Kardinalsrot und mit goldenem Kreuz um den Hals (Stefanie Dvorak) bleibt stumm. Sie hat seit der Geburt ihres letzten Sohnes kein Wort mehr gesprochen und hütet ein dunkles Geheimnis. Letztlich kreisen alle Mysterien in Kirkwoods Stück um schambesetzte Traumata des weiblichen Körpers, sei das nun Fehlgeburt, Vergewaltigung oder Unfruchtbarkeit. Blut und Muttermilch müssen fließen, um sie nach und nach aufzudecken. Während der Mob vor dem Gerichtsgebäude die Todesstrafe fordert, erzählen sich die zum einstimmigen Urteil verdammten Hausfrauen von der Farbe ihrer Regel und davon, dass auch ein Mann mit einem Penis „in Form eines Fragezeichens“ fünf Kinder zeugen konnte.

Szene aus „Das Himmelszelt“
Burgtheater/Marcella Ruiz Cruz
Die Geschworenen – eine Durchmischung langjähriger und neuer Ensemblemitglieder des Burgtheaters

Die Frau ist schuldig

In einer quälend langen Szene wird versucht, aus den Brüsten der Verurteilten Milch zu drücken. Das wäre ein Beweis für die Frucht in ihrem Leib. Stockinger gibt die verrohte Hauptfigur Sally im schwarzen Kleid und ohne Unterwäsche. Sie will kein Opfer sein, weder das ihrer versoffenen Eltern noch das ihres Geliebten oder der Gesellschaft. Am Boden onanierend schildert sie, wie sich ihre Tagträume von einem Lover erfüllten. Nun muss die untreue Ehefrau dafür büßen. „Niemand macht Gott verantwortlich, wenn er stattdessen eine Frau beschuldigen kann!“, prangert die Hebamme Elizabeth die patriarchale Schieflage an. Diese kann in einem Rechtssystem von Männern für Männer nie gerade gerückt werden.

Hart ans Klischee gerät „Das Himmelszelt“ mit dem Auftritt des launigen Doktors (Dietmar König), der als Konkurrent zur Hebamme die Schwangerschaft überprüfen soll. Die anderen Matronen wollten es so und machen dem Kurpfuscher sogar die Mauer, als er eine groteske Zange zur Untersuchung einführt. Anschließend faselt er von der „Tyrannei der Eierstöcke“ und der „periodischen Krankheit“, die das Gehirn der Frauen benebelt. Diese und fast alle anderen Szenen sind im Gerichtsgebäude angesiedelt. Das auf zwei Stuhlreihen beschränkte Bühnenbild (Stefan Hageneier) kommt durch die Drehbühne in Bewegung, was aber bald monoton wird. Auch der Knalleffekt am Ende des ersten Aktes bringt nichts Neues außer Ascheflocken.

Marie-Luise Stockinger als Sally Poppy in „Das Himmelszelt“
Burgtheater/Marcella Ruiz Cruz
Stockinger in der Rolle der Sally Poppy

Starkes Ensemble

Die Frauen müssten auf das Himmelszelt vertrauen, denn auf Erden würde ihnen nicht geholfen, heißt es früh im Stück. Der Komet zieht unterdessen ungerührt seine Bahn, und wenn er 76 Jahre später, im Jahr 1835, wieder erscheinen wird, hat sich am Schicksal der weiblichen Hälfte der Menschheit noch wenig geändert. Dem Fatalismus steht der Aufruf zum couragierten gemeinsamen Widerstand gegenüber. Geteilte Erfahrungen von Unterdrückung erzeugen aber noch lange keine (Frauen-)Solidarität, so eine der Botschaften von Kirkwoods Stück.

Die Ensembleleistung trägt im Burgtheater über Schwächen des Texts hinweg. Die vierzehn Schauspielerinnen demonstrieren Frauendasein und Mutterschaft als teuflisch hartes Los. Nicht einmal die Liebe für den eigenen Nachwuchs ist selbstverständlich. Das geht auf der Bühne nicht ohne Hysterie, Gewaltausbrüche und allerlei Körperflüssigkeiten ab. Dass die Muttermilch in so einer Umgebung schwarz wird, ist keine Überraschung.