Gerhard Richter, Wolke, 1976. Öl auf Leinwand, 200 x 300 cm
Gerhard Richter 2020; Foto: Robert Bayer
BA Kunstforum

Gerhard Richters gebrochene Romantik

Er ist der bedeutendste und vielseitigste Maler Deutschlands – und der teuerste lebende Gegenwartskünstler: Das Bank Austria Kunstforum holt Gerhard Richter mit einer Landschaftsbild-Retrospektive nach Wien. Seine Naturansichten lassen eine Nähe zur Romantik erkennen – doch mit unübersehbarem Bruch. Hier sieht man einen Richter für alle: zwischen konzeptioneller Strenge und großer Sinnlichkeit.

Bedrohlich türmen sich Wolkenberge übereinander. Andernorts laden stimmungsvolle Sonnenuntergänge zum Verweilen des Blicks, das Farbspiel ist dezent, der Horizont tief gezogen. Solche Sujets kennt man vom berühmten Romantik-Maler Caspar David Friedrich, doch der, der sie hier gemalt hat, legt es ganz anders an: In „Ruhrtalbrücke“ (1969) etwa lässt Gerhard Richter eine lange Stahlbrücke scharf durch die romantisch aufgeladene Naturszene schneiden. Keine Rede also von Kitsch oder Nostalgie.

Elf Jahre ist es her, dass der, wie der „Guardian“ einmal schrieb, „Picasso des 21. Jahrhunderts“ zum letzten Mal groß in Wien ausstellt wurde. Jetzt ist er fulminant zurück: Mit der schlicht „Landschaft“ betitelten Ausstellung zeigt das Kunstforum eine umfangreiche und umfassende Retrospektive seiner Landschaftsbilder – mit 130 Werken, die weltweit erste ihrer Art. Landschaft ist zwar ein zentrales Motiv bei dem 1932 in Dresden geborenen Maler, zu dem er ab 1963 bis hin zur Gegenwart immer wieder zurückkehrte – in Malerei, Zeichnung, Druckgrafik, Fotografie und Plastik, der Topos wurde vom Kunstbetrieb aber lange stiefkindlich behandelt.

Fotostrecke mit 10 Bildern

StadtbildPL,1970 Öl auf Leinwand, 170x170cm Privatsammlung über Neues Museum Nürnberg
Gerhard Richter 2020
Waldhaus,2004 Öl auf Leinwand
Gerhard Richter
Piz Surlej,Piz Corvatsch, 1992 Öl auf Fotografie, 8,9x12,6 cm Sammlung Peter und Elisabeth Bloch
Gerhard Richter 2020
Ruhrtalbrücke, 1969 Öl auf Leinwand, 120x150 cm Privatsammlung, Hauser&Wirth Collection Services
Gerhard Richter 2020
Sternbild, 1969 Öl auf Leinwand, 92x92cm, Museum Frieder Burda, Baden-Baden
Gerhard Richter
Eis, 1981 Öl auf Leinwand, 100x70 cm Sammlung Ruth McLoughlin, Monaco
Gerhard Richter 2020
Wolke,1976 Öl auf Leinwand, 200x300cm Privatsammlung, als Dauerleihgabe in der Fondation Beyeler, Basel
Gerhard Richter 2020
Venedig(Treppe), 1985 Öl auf Leinwand, 50x70 cm Art Institute of Chicago, Schenkung Edlis Neeson Collection
Gerhard Richter
Ausstellungsansicht
Alistair Fuller
Ausstellungsansicht
Alistair Fuller

„Kuckuckseier“ der Deutschen Romantik

Vier Jahre hat man die Schau im Kunstforum vorbereitet, in enger Zusammenarbeit mit Richter, der jedoch, bedingt durch seinen Gesundheitszustand, nicht zur Eröffnung anreisen konnte. Das Thema Landschaft ist aktueller denn je, wie auch Ausstellungen im Kunst Haus oder bei der kommenden Foto-Biennale zeigen – und das allein in Wien. Im Spannungsfeld von „Pandemie und Klimakrise“ sieht die Kunstforum-Kuratorin Lisa Ortner-Kreil die Ausstellung: Bedingt durch den Lockdown seien uns „der Stellenwert und die Tröstlichkeit der Natur“ bewusster geworden.

Wer indes „Tröstliches“ sucht, ist im Kunstforum weniger gut aufgehoben: Richters Landschaftsdarstellungen sind oft düster und unwirtlich, laden zu Kontemplation ein, sicher aber nicht zum Schwelgen: Seine Beschäftigung mit der traditionsbeladenen Gattung ist nie revisionistisch oder von naivem Historismus geprägt, sondern holt die Landschaft immer in die – medial vermittelte – Gegenwart oder die des Anthropozäns: Siehe etwa auch „Landschaft bei Hubbelrath“ (1969), wo ein Verkehrsschild den pastelligen Himmel stört.

Gerhard-Richter-Schau im Kunstforum

Malen war für den heute 88-jährigen Dresdner Gerhard Richter immer schon eine andere Form des Denkens. Nun sieht man seine Landschaftsbilder im Bank Austria Kunstforum.

„Kuckuckseier“ nannte Richter diese Bilder, so auch der Titel eines der fünf Kapitel der Ausstellung. Im Gegensatz zu Caspar David Friedrich – für Richter ein wichtiger Bezugspunkt – gibt es beim Atheisten Richter kein Versprechen auf Transzendenz. Einer der Gründe: Seine Landschaften sind „Bilder über Bilder“, „Landschaften aus zweiter Hand“, geschaffen ausschließlich im Atelier, auf Basis von gefundenen Fotografien aus Zeitungen oder Magazinen, ab den 1970er Jahren auch nach selbst angefertigten Fotografien.

Facettenreiches Oeuvre

Dieser Aspekt wird gleich am Beginn der Ausstellung herausgearbeitet: Im Ölgemälde „Familie im Schnee“ (1966) zeigt sich Richter einmal mehr als „Meister der Unschärfe“, mit seiner Technik des Verwischens, mit der er der fotografischen Unschärfe erstaunlich nahe kommt. Im fotorealistischen „Ägyptische Landschaft“ (64/65) werden die originalen Bildunterschriften mitgeliefert; und nebenan, in „Regenbogen“ sieht man nur einen Bildausschnitt, die dunklen Dachgiebel sind lediglich angeschnitten.

Ausstellungshinweis

Gerhard Richter: Landschaft. Von 1. Oktober bis 14. Februar 2021, Bank Austria Kunstforum Wien, montags bis sonntags von 10.00 bis 19.00 Uhr, freitags von 10.00 bis 21.00 Uhr.

Gerhard Richter, dieser Name steht für Facettenreichtum und Wandelbarkeit, weswegen er auch schon einmal als „stilistisches Chamäleon“ bezeichnet wurde: Nie legte er sich auf einen Stil oder eine Methode fest, sondern malte in 62 Jahren Schaffenszeit einmal gegenständlich und einmal abstrakt. Erst kürzlich stellte er abstrakte Kirchenfenster im ältesten Kloster Deutschlands fertig – und ließ verlautbaren, dass das sein letztes Bild gewesen sei.

Piz Surlej,Piz Corvatsch, 1992 Öl auf Fotografie, 8,9x12,6 cm Sammlung Peter und Elisabeth Bloch
Gerhard Richter 2020
„Piz Surlej, Piz Corvatsch“, 1992

Ein Blick auf die Unterschiedlichkeit seines Werks, selbst innerhalb der Werkgruppe der Abstraktion, zeigt das Kunstforum hier in weiteren drei Räumen: „Sankt Gallen“ (1989), ein monumentales Sechs-Meter-Großformat, ist ganz abstrakt gehalten, produziert mit einer Rakel, mit der Richter eine schlierenhafte, vielschichtige Malstruktur schuf: Allein der Titel lässt die Stadtlandschaft auferstehen. Im düsteren „Seestück“ fügen sich fotorealistische Wellen und Wolken zu einem unwirtlichen Muster. Daneben werden Kohlezeichnungen präsentiert, übermalte Fotografien und „PL“ (1970) aus seiner „Stadtbilder“-Serie: Die scheinbar schnell gemalten, weißen, schwarzen und grauen Striche werden erst in der distanzierten Betrachtung zum städtischen Relief.

Reserviert gegenüber biografischen Deutungen

„Wenn ich mir heute die Stadtbilder ansehe, kommen sie mir wie manche Aufnahmen vom kriegszerstörten Dresden vor“, sagte Richter einmal dazu: Der Maler, der das Bombardement Dresdens erlebte und kurz vor dem Mauerbau aus der DDR nach Düsseldorf floh, steht der biografischen Deutung seines Werks ansonsten sehr reserviert gegenüber. Den an seiner Biografie orientierten Film „Werk ohne Autor“ (2018) von Florian Henckel von Donnersmarck, der die Ermordung von Richters Tante im Holocaust thematisierte, bezeichnete Richter als „Missbrauch“ seiner Geschichte.

In Richters Werk sind medienreflexiver Hintersinn und handwerkliche Perfektion verbunden; weniger bekannt ist hingegen sein Humor – hier im Kunstforum gibt es auch davon etwas zu spüren. In einer gemeinsamen Arbeit mit Sigmar Polke zeigen die beiden „Fünf Phasen einer von Polke und Richter vorgenommenen Umwandlung“. Eine spielerische Umkollagierung eines Gebirges zur Kugel – wohl frei nach dem Motto: Die Kunst, sie kann Berge versetzen.