Fließbandarbeiter sortieren Kartons
Getty Images/Monty Rakusen
Angst vor Pleitewelle

Betriebe und Arbeitsmarkt unter Druck

Die Coronavirus-Krise hat die österreichische Wirtschaftsleistung dramatisch einbrechen lassen – um mehr als 14 Prozent im zweiten Quartal im Vergleich zum selben Zeitraum des Vorjahres. Bisher wurden Unternehmen mit Förderungen und Stundungen gestützt. Fallen diese weg, geraten Betriebe noch mehr unter Druck und damit auch der Arbeitsmarkt.

Derzeit werden Unternehmen mit einem 50-Milliarden-Euro-Paket unterstützt, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge gestundet. Zudem hat ein verschuldetes Unternehmen 120 statt bisher 60 Tage Zeit, um Insolvenz anzumelden. Ändert sich das, drohe eine Pleitewelle, befürchten Ökonomen und Ökonominnen „Irgendwann werden die Wirtschaftshilfen auslaufen müssen, und wenn man nicht die Rückkehr auf den Wachstumspfad schafft, wird das ein verheerendes Bild geben“, sagte Franz Schellhorn von der neoliberalen Denkfabrik Agenda Austria im Ö1-Interview.

Man könne mit Hilfen eine Insolvenzwelle nicht verhindern, „man kann sie nur hinauszögern und versuchen abzufedern. Dasselbe gilt für die Kündigungen.“ Umsatzeinbrüche von 50 bis 60 Prozent könnten nicht mit öffentlichen Geldern ersetzt werden. Schellhorn: „Das geht auf Dauer nicht.“ Anders sieht das Arbeiterkammer-Ökonom Markus Marterbauer: Jetzt sei die Zeit für den Staat, Geld in die Hand zu nehmen, um zu investieren.

„Herausfordernder“ Herbst und Winter

Bisher seien saisonale Effekte „noch nicht in dem Ausmaß wie erwartet“ eingetreten, sagte Arbeitsministerin Christine Aschbacher (ÖVP) am Dienstag. Aber der Herbst und Winter würden „herausfordernd“. Erstmals nach Längerem ist die Arbeitslosigkeit in Österreich wieder gestiegen. Derzeit sind 405.575 Menschen beim Arbeitsmarktservice (AMS) gemeldet – 2.177 mehr als in der Vorwoche. Krisenbedingt sind das um 74.000 Personen mehr als vor einem Jahr. Ökonomen befürchten im Herbst und Winter einen weiteren Anstieg.

Grafik zeigt Daten zum Arbeitsmarkt während der Coronaviruskrise
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: AMS/BMAFJ

Nach wie vor befinden sich mehr als 290.000 in Kurzarbeit – allerdings fast 5.800 weniger als in der vergangenen Woche. Am 1. Oktober startet die dritte Phase der Kurzarbeit, die vorläufig bis März 2021 begrenzt ist. Für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ändert sich beim Einkommen nichts – sie bekommen weiterhin zwischen 80 und 90 Prozent des Nettogehalts. Sie müssen aber zumindest zu 30 Prozent der Normalarbeitszeit beschäftigt werden statt wie bisher mindestens zehn Prozent. Das ist künftig nur in Ausnahmefällen wie bei der besonders betroffenen Stadthotellerie möglich – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at.

„Es ist nicht das Ziel, Unternehmen künstlich am Leben zu erhalten“, so Aschbacher. Für den Ökonomen Schellhorn ist die Kurzarbeit eine gute Maßnahme für drei bis sechs Monate eines kurzfristigen Konjunktureinbruchs. Das Modell verursache aber enorme Kosten und eigne sich nicht als dauerhafter Ersatz für die Arbeitslosenunterstützung: „Wir haben einen gut ausgebauten Sozialstaat, den gilt es auch zu nützen.“

Sorge vor Langzeitarbeitslosigkeit

Die meisten Ökonomen rechnen mit einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit in den kommenden Wochen und Monaten. Man könne nicht ausschließen, dass es in den nächsten Monaten eine halbe Million Arbeitslose geben wird, so der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO), Christoph Badelt, gegenüber Ö1. „Die große Gefahr darin besteht, dass die Zahl der Langzeitarbeitslosen rasch wächst, und wenn Menschen einmal aus dem Arbeitsmarkt draußen sind, dann hat das Folgen, die man gar nicht mehr so leicht dämmen kann.“

Besonders betroffen von Arbeitslosigkeit sind junge Menschen. Zuletzt waren über 60.000 15- bis 25-Jährige arbeitslos gemeldet – 10.000 mehr als vor einem Jahr. „Das ist eine dramatische Situation“, sagte Susanne Hofer, Jugendvorsitzende der Gewerkschaft GPA, im Ö1-Mittagsjournal. Viele Jugendliche hätten im März eine Zusage für eine Lehrstelle gehabt und dann eine Absage bekommen. Der von der Regierung eingeführte Lehrlingsbonus – 2.000 Euro für die Einstellung eines Lehrlings – sei ein „nettes Goodie“, aber er reiche nicht. Hofer: „Das ist keine Maßnahme, um es Betrieben zu erleichtern, Lehrlinge aufzunehmen.“

AK: Lage auf Arbeitsmarkt „völlig verschlafen“

Wie sehr sich die CoV-Krise auf den Lebensstandard auswirkt, zeigt der am Dienstag von der Arbeiterkammer vorgestellte dritte „Wohlstandsbericht“. Zum ersten Mal gab es in keinem Bereich eine Verbesserung. Vielmehr habe sich die negative Entwicklung etwa bei der Vermögensverteilung und auf dem Arbeitsmarkt verschärft. In dem Bericht wurden Faktoren wie Lebensqualität, Verteilungsgerechtigkeit und eine intakte Umwelt gemessen.

Die Regierung habe die Lage auf dem Arbeitsmarkt „völlig verschlafen“, kritisierte AK-Ökonomom Marterbauer. Da müsse nun mit Konjunktur- und Beschäftigungspaketen sowie einer Qualifizierungsoffensive und Arbeitszeitverkürzung angesetzt werden, denn es drohe eine zweite Welle an Arbeitslosigkeit.

Gewerkschaft vermisst Maßnahmen

Aschbacher hatte in ihrer Pressekonferenz am Dienstag erneut auf die CoV-Weiterbildungsinitiative mit einem Volumen von 700 Mio. Euro verwiesen. Davon sollen rund 100.000 Menschen profitieren. Dieses Budget soll über das AMS für Umschulungen und Arbeitsstiftungen verwendet werden. Aschbacher sprach von der „größten Joboffensive in der Zweiten Republik“.

Wolfgang Katzian, Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB), sieht hinter dieser Ankündigung eine „finanzielle Aufstockung“ von bereits ausgearbeiteten Maßnahmen zur Aus- und Weiterbildung. Es sei selbst hier aber noch unklar, woher das Geld kommen soll. Katzian forderte mehr als einen „Fleckerlteppich an Maßnahmen“: „Schön langsam wird auch klar, warum die Gewerkschaften nicht in die Ausarbeitung der dringend notwendigen Arbeitsstiftung eingebunden waren – diese Arbeitsstiftung als solche wird es offenbar gar nicht geben.“