Platz der Auskunftsperson im Ibiza-Untersuchungsausschuss
ORF.at/Lukas Krummholz
„Zeitdiebstahl“

U-Ausschuss hadert mit Entschlagungen

Am Dienstag ist es im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss zu einem Entschlagungsreigen gekommen. Novomatic-Jurist Alexander L. ist Beschuldigter in einem oder mehreren Ermittlungsverfahren, weshalb er kaum Antworten auf Fragen gab. Teils gereizt wirkten die Abgeordneten. Im Ausschusslokal sprach man bereits von einem „Diebstahl von Lebenszeit“ – zu einem Abbruch kam es aber überraschenderweise nicht.

L. ist seit 2004 im Glücksspielkonzern tätig. Ursprünglich, sagte er zu Beginn der Befragung, sei er für den Aufbau einer Abteilung, die sich unter anderem mit dem geistigen Eigentum beschäftigt, eingestellt worden. Seit mehreren Jahren ist L. Leiter der Rechtsabteilung der Novomatic und ist direkt dem Vorstand unterstellt. Sein Tätigkeitsfeld beschrieb er als „vielfältig und international“. So kümmert er sich um Vertragsprüfungen und „rechtliche Themen“ des heimischen und des internationalen Glücksspielmarkts. „Ich gehöre keiner politischen Partei an und habe nie einer politischen Partei angehört. Ich war nie von politischen Ideologien geleitet“, betonte er einleitend.

L. wird als Beschuldigter geführt und hatte laut eigenen Angaben noch nicht in alle Akten Einsicht. Nach einer breiten Darstellung der rechtlichen Situation in Österreich („Während wir hier sitzen, wird an über 1.500 illegalen Automaten gespielt“) übernahm Verfahrensrichter Wolfgang Pöschl und stellte L. Fragen. Insgesamt arbeiten zehn Leute in der Rechtsabteilung, sagte der Rechtsexperte. Zur Novelle zum Glücksspielgesetz, die das IT-Blocking im Fokus hatte, hätten er und die Novomatic im Rahmen des Begutachtungsverfahrens den Entwurf erhalten. „Ich habe sie für positiv empfunden“, so L.

Lokal 7 im Rahmen des Ibiza-Untersuchungsausschuss
ORF.at/Lukas Krummholz
An der Vorsitzbank sowie in den Reihen der Abgeordneten wurden wegen des Coronavirus Plexiglasscheiben angebracht

Die Glücksspielnovelle, die bereits mehrmals im U-Ausschuss Thema war, wurde unter der ÖVP-FPÖ-Regierung spontan vom zuständigen Finanzministerium zurückgezogen. Ex-Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) sagte im U-Ausschuss, dass man auf die Spiegelung mit dem damaligen Koalitionspartner – eben FPÖ – vergessen habe. Am Dienstag betonte die ehemalige Mitarbeiterin Lögers, Eva H., dass es danach mehrmals Versuche gab, eine Novelle in Begutachtung zu schicken. Die „Ibiza-Affäre“ kam dazwischen.

Befragung „menschenrechtswidrig“

Wegen Fragen zum FPÖ-nahen Institut für Sicherheitspolitik (ISP) und zum Stimmverhalten der Novomatic als Aktionär der Casinos Austria AG (CASAG) in der Hauptversammlung 2016 berief sich L. auf sein Entschlagungsrecht. Gegen L. laufen mehrere Ermittlungen, weshalb er sich mit Antworten selbst belasten könnte. Abermals folgte eine lange Debatte über Entschlagungsrechte, die seit Beginn des Ausschusses im Frühjahr Thema sind. Verfahrensanwältin Barbara Weiß, die auf die Persönlichkeitsrechte der Auskunftspersonen achtet, sagte, dass der Novomatic-Rechtsleiter nicht wisse, wessen er beschuldigt ist. Eine Befragung wäre daher auch „menschenrechtswidrig“.

Die Situation sei nicht „erfreulich“. „Wir wissen, dass ein Strafverfahren gegen die Auskunftsperson läuft. Wir wissen nicht, in welchem Bereich das Strafverfahren geführt wird“, sagte Verfahrensrichter Pöschl. „Ich meine, dass man zum Schutz der Auskunftsperson auf die Befragung verzichten soll – auch wenn die Fragen zulässig wären.“ Die ÖVP argumentierte, dass auch die Anzeige der SPÖ gegen Finanzminister Gernot Blümel, dessen Vorgänger Löger und ÖBAG-Chef Thomas Schmid (alle ÖVP) sowie gegen Ex-Novomatic-Chef Harald Neumann schuld an der Situation sei. Gegen L. wurde schon davor ermittelt.

Christian Hafenecker (FPÖ)
ORF.at/Lukas Krummholz
FPÖ-Fraktionschef Hafenecker wollte die Befragung bereits nach wenigen Fragen abbrechen

Nach einer längeren Debatte zur Geschäftsordnung beschloss man, die Befragung fortzuführen. Die Auskunftsperson entschlug sich danach mehrmals der Antwort. Auf die Frage des SPÖ-Mandatars Andreas Kollross, ob L. bei möglichen Absprachen zwischen der Novomatic und der ÖBIB (heute ÖBAG) zur Aufsichtsratsbesetzung in den Casinos Austria eingebunden war, verweigerte der Rechtsexperte die Antwort. Kollross legte eine Unterlage vor, die das belegen soll. Es geht um Mails an L. kurz vor der Hauptversammlung der Casinos Austria. „Ich werde als Beschuldigter im Casinos-Verfahren geführt“, hieß der Satz, der am Dienstag sehr häufig zu hören war.

Vorsitzender mahnte Respekt ein

Auf eine Frage von FPÖ-Fraktionschefs Christian Hafenecker zu Ex-Finanzstaatssekretär Hubert Fuchs (FPÖ) wollte L. nichts sagen. Doch Verfahrensrichter Pöschl wies die Auskunftsperson darauf hin, dass er, L., sein Entschlagungsrecht sehr „extensiv“ ausübe. Wenn es sich um Fragen handle, die klar auf dem Tisch liegen würden und mit deren Antworten er sich nicht selbst belasten kann, dann müsse L. diese auch beantworten. L. beantwortete die Frage, ob Fuchs für das Glücksspiel zuständig war, nicht, und begründete das damit, dass er zu den Aufgaben von Fuchs nichts sagen könne.

Im Gegensatz zur SPÖ und FPÖ betonte ÖVP-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Gerstl, dass die Auskunftsperson jeglichen Grund habe, sich der Antworten zu entschlagen. Es habe noch keine Einvernahme gegeben, und Akteneinsicht hatte L. offenbar auch keine. Nach mehreren Zwischenrufen mahnte Andreas Hanger (ÖVP), der den Vorsitz von Wolfgang Sobotka (ÖVP) übernahm, ein, sich trotz der zahlreiche Entschlagungen von L. weiterhin respektvoll zu verhalten und die weitere Befragung nicht ins Lächerliche zu ziehen. FPÖ-Abgeordneter Hafenecker sprach allerdings von einem „Diebstahl von Lebenszeit“.

Wolfgang Gerstl (ÖVP)
ORF.at/Lukas Krummholz
Gerstl (ÖVP) erwähnte mehrmals die SPÖ-Sachverhaltsdarstellung, die am Dienstag publik wurde

Auf Fragen wie „Sind Sie mit Johann Graf (Alleinaktionär und Gründer der Novomatic, Anm.) befreundet?“ gab es ebenfalls keine Antworten. L. sagte auch, dass noch mindestens ein Handy von ihm wegen noch laufender Ermittlungen bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) liege. Laut NEOS-Mandatar Helmut Brandstätter kann sich L. nicht an das Passwort des Handys erinnern. Sei das glaubwürdig, fragte der NEOS-Politiker. L. gab dazu keine Auskunft. Etwas Auskunftsfreudiger war L. bei den Fragen von ÖVP-Mandatar Gerstl. L. habe sich gefreut, den Job bei der Novomatic bekommen zu haben.

Keine Antworten zum Alois-Mock-Institut

Auch zum ÖVP-nahen Alois-Mock-Institut, bei dem die Novomatic Inserate gekauft hatte und Sobotka Präsident ist, wollte L. nichts sagen. Die Novomatic habe „proaktiv eine Angabe gemacht und meines Wissens nach ist das Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens“. Verfahrensrichter Pöschl konnte das nicht ganz nachvollziehen. „Wenn in dieser Eingabe das Alois-Mock-Institut nicht vorkommt, dann können sie sich nur entschlagen, wenn sie sich selbst belasten können“, sagte er in Richtung Auskunftsperson. Danach sagte L., dass er von einer Novomatic-Mock-Kooperation primär aus den Medien erfahren habe.

Nach einer weiteren Entschlagung sagte Verfahrensrichter Pöschl: „Überdenken Sie Ihre Einstellung.“ Der Novomatic-Jurist überlegte kurz, aber blieb bei der Frage nach einer vom Finanzministerium unter Löger geplanten „Glücksspielregulierung neu“, die laut Lögers ehemaliger Mitarbeiterin Eva H. auf Beamtenebene diskutiert wurde, bei der Entschlagung. Am Ende wollten SPÖ, NEOS und Grüne die Befragung beschleunigen, damit auch die dritte Auskunftsperson noch im Lokal Platz nehmen könne. ÖVP und FPÖ spielten allerdings nicht mit. Gerstl sah sich sogar verpflichtet, bis 18.00 Uhr zu befragen.

Auskunftsperson Alexander L.
ORF.at/Lukas Krummholz
L. war am Dienstag die zweite und letzte Auskunftsperson – auch wenn drei geladen wurden

Gemäß einem internen Ausschussbeschluss darf eine Befragung von Auskunftspersonen nach 18.00 Uhr nicht stattfinden. Bisher war es äußerst selten der Fall, dass die Abgeordneten drei Personen am Tag befragen konnten. Die Auskunftsperson wird für maximal vier Stunden geladen. Eine kürzere Befragung ist immer möglich, länger nicht. Am Dienstag änderte sich der Trend nicht: SPÖ, Grüne und NEOS waren für eine Ausweitung der 18.00-Uhr-Regel, ÖVP und FPÖ beharrten darauf. Die Befragung von L. wurde um 18.22 Uhr beendet, die dritte Auskunftsperson musste heimgehen. Sie wird neu geladen.