Lkw in Irland
AP/David Keyton
Brexit-Änderungen

Unterhaus nimmt umstrittenes Gesetz an

Trotz aller Warnungen hat das britische Unterhaus für das umstrittene Binnenmarktgesetz gestimmt, mit dem Großbritannien Teile des bereits gültigen Brexit-Deals mit der EU aushebeln will. Bei 340 zu 256 Stimmen brachte Premier Boris Johnson das Gesetz am Dienstagabend mit einer klaren Mehrheit durch das Londoner Parlament.

Als Nächstes muss das Gesetz noch das Oberhaus passieren. Die EU hatte Johnsons Pläne zuvor als Vertrauensbruch verurteilt und London aufgefordert, bis Ende September einzulenken. Die britische Regierung pocht jedoch darauf, das Gesetz werde als „Sicherheitsnetz“ für den Fall eines harten Brexits gebraucht. Einige Abweichler in den eigenen Reihen hatte Johnson zuvor auf Linie gebracht, indem er ihnen weitere parlamentarische Kontrolle zugesichert hatte.

Einige Torys, darunter auch Ex-Premierministerin Theresa May, hatten bis zuletzt Kritik geäußert. Ein Änderungsantrag der Labour-Partei, der die umstrittenen Passagen des Gesetzes betraf, war am Dienstag zuvor abgelehnt worden.

Johnson will mit dem Gesetz den bereits gültigen Brexit-Deal, den er selbst unterschrieben hat, in Teilen aushebeln. Dabei geht es konkret um Sonderregeln für das britische Nordirland, die eine harte Grenze zum EU-Staat Irland und neue Feindseligkeiten dort verhindern sollen. Für die EU handelt es sich bei Johnsons Vorstoß um einen Rechtsbruch.

Nächste Verhandlungsrunde gestartet

Trotz des Konflikts mit der EU starteten die Verhandlungsteams beider Seiten am Dienstag in Brüssel in die neunte und vorerst letzte geplante Verhandlungsrunde über einen Handelspakt. Obwohl die Zeit immer knapper wird, stocken die Verhandlungen weiterhin. Zum Jahreswechsel, wenn die Brexit-Übergangsphase ausläuft, droht der harte wirtschaftliche Bruch mit Zöllen und anderen Handelshürden.

Brexit-Gespräche in Brüssel
Reuters/John Thys
Brüssel und London verhandeln in Videokonferenzen weiter über einen Handelspakt

Bis Donnerstag beraten die Vertreter beider Seiten nun erneut über ein mögliches Handelsabkommen, das nach dem Jahresende einen harten wirtschaftlichen Bruch mit einer Wiedereinführung von Zöllen verhindern soll.

Kein Durchbruch bei Verhandlungen erwartet

Großbritannien war am 1. Februar aus der EU ausgetreten. Bis Ende des Jahres bleibt es aber während einer Übergangsphase noch im EU-Binnenmarkt und der Zollunion. Diese Zeit wollten beide Seiten eigentlich nutzen, um ihre künftigen Beziehungen auszuhandeln. Die Gespräche dazu, die mittlerweile in der neunten Runde sind, kommen aber seit Monaten nicht voran.

Knackpunkte sind insbesondere faire Wettbewerbsbedingungen, Regeln für Staatsbeihilfen und Fangrechte für EU-Fischer. EU-Diplomaten erwarteten weiter keinen Durchbruch diese Woche. Laut ihnen drängt die britische Seite darauf, die Gespräche danach in die als „Tunnel“ bezeichnete Endphase zu bringen. Dabei würden die Verhandlungsteams weitgehend abgeschottet von der Außenwelt versuchen, Lösungen zu finden. Die britische Regierung geht davon aus, dass es Gespräche bis zum EU-Gipfel Mitte Oktober geben wird. Dann müssten die EU-Staats- und -Regierungsspitzen entscheiden, ob eine Fortsetzung der Verhandlungen noch Sinn hat.

Kommissionspräsidentin optimistisch

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigte sich optimistisch, dass die EU und Großbritannien doch noch ein Abkommen vereinbaren werden. „Wir wollen ein Abkommen, und ich bin immer noch überzeugt, dass ein Abkommen möglich ist“, sagte von der Leyen bei einem Treffen mit dem portugiesischen Ministerpräsidenten Antonio Costa in Lissabon. Von der Leyen forderte das Übernehmen von „Verantwortung“. Die Wirtschaft leide unter den Folgen der Coronavirus-Pandemie, „und wir müssen alles dafür tun, um ein vernünftiges Abkommen zu erreichen“. Die Ratifizierung müsse bis Jahresende erfolgen.

„Über den künftigen Beziehungen der EU mit Großbritannien ziehen dunkle Gewitterwolken auf“, sagten dagegen die ÖVP-Europaabgeordneten Angelika Winzig und Lukas Mandl. Johnson habe das Vertrauen stark beschädigt. „Wenn Johnson das Vertrauen nicht wiederherstellt, haben weitere Verhandlungen keinen Sinn.“

SPÖ-Delegationsleiter Andreas Schieder erklärte: „Von ehrlichem Verhandlungswillen sind wir immer noch meilenweit entfernt, stattdessen führt Johnson mit seinem verantwortungslosen Kurs das Land weiter an den Rand des Abgrunds. Johnson sollte endlich erkennen, dass ein Scheitern der Verhandlungen beiden Seiten schadet, aber insbesondere den britischen Beschäftigten und der aufgrund der Corona-Krise ohnehin schwachen Wirtschaft.“