Frauen beim Selfie während des Kaffeetrinkens
Getty Images/iStockphoto/puhhha
Statussymbol Kaffee

Treibstoff für die Selbstinszenierung

Kaffee war in Österreich nie einfach nur ein Heißgetränk. Doch in den vergangenen Jahren wurde er hierzulande und international zum Lifestyle-Getränk und zum sozialen Marker – auch weil andere Genussmittel viel an Prestige verloren haben. Der Boom, vielleicht sogar die Inflation, der bekennenden Kaffeegenießer zeigt sich auch dort, wo sich Menschen von ihrer besten Seite präsentieren wollen: in Social Media und auf Dating-Profilen.

„Du bist, was du isst“ war jahrelang das Motto für die Selbstinszenierung in den Sozialen Netzwerken. Fast hätte man glauben können, Facebook, Instagram und Co. seien dafür – neben Cat Content – erfunden worden, das eigene Essen abzufotografieren und online zu stellen. „Du bist, was du trinkst“ reimt sich zwar weit weniger gut, doch mit Getränken erwächst den „Foodies“ große Konkurrenz. Und ganz vorn dabei: Kaffee.

Rund 145 Millionen Postings mit dem Hashtag #Coffee finden sich derzeit etwa auf Instagram. Knapp 30 Millionen sind es bei #coffeelover im Singular und Plural und 6,7 Millionen mit #coffeeholic. Verwandte Hashtags sind ebenfalls mit Hunderttausenden Bildern verfügbar. Ähnlich sieht es im deutschsprachigen Bereich aus. Unter #Kaffee sind 2,7 Millionen Bilder zu finden, unter #Kaffeeliebe rund 616.000. Schon längst hat sich die Subspezies der Kaffee-Influencer herausgebildet, die mittlerweile auch – wie die US-YouTuberin Emma Chamberlain – ihre eigenen Kaffeesorten vermarkten.

Genuss und Leistung

Wer sich mit Kaffee zeigt, signalisiert mindestens zwei Dinge: Man ist genussfähig und gleichzeitig leistungsbereit, im wahrsten Sinne des Wortes ausgeschlafen. Genießen zu können ist keine ganz unwesentliche Komponente bei der Selbstdarstellung.

Andere Genussmittel sind in den vergangenen Jahren eher in Verruf gekommen – oder schrecken zumindest einen Teil der Betrachterinnen und Betrachter ab. Rauchen ist für viele ein No-Go, Alkohol sorgt auch nicht fürs beste Image und auch mit der Darstellung von Essen heißt es in Zeiten unterschiedlicher Ernährungsvorlieben, Stichwort Veganismus, mittlerweile vorsichtig sein. Mit Kaffee kann man jedenfalls einigermaßen sicher sein, niemand vor den Kopf zu stoßen.

Betriebsamkeit statt Entschleunigung

Gerade in Österreich und vor allem in Wien gilt und galt das Kaffeehaus, und damit auch Kaffee, eher als Symbol der Entschleunigung, der Reflexion und der Gemütlichkeit. Doch das wurde nach und nach von anderen Bildern überlagert. Als in den frühen 2000er Jahren plötzlich die neuen Kreativen mit ihren Laptops Cafes als Arbeitsplätze entdeckten, wurde Kaffee als Treibstoff der Innovation und der Betriebsamkeit verstanden. Relativ gleichzeitig schwappte die Coffee-to-go-Welle in den deutschsprachigen Raum. Beides verstärkte ein Image: Man ist dynamisch und vielbeschäftigt und passt in die mobile Welt des Multitaskings.

Personen sitzen in einem Cafe vor einem Fenster mit Blick auf die Straße
Getty Images/Willie B. Thomas
Das Cafe als neuer Arbeitsplatz

Die Kehrseite des „Cappuccino-Kapitalismus“

Beide Trends verloren rasch ihre blütenweiße Weste: Coffee-to-go entpuppte sich rasch als markantes Müllproblem, und auch die Laptop-Avantgarde in den schicken Hipster-Cafes ließ sich nicht lange als Idealzustand halten: Denn der Grat zwischen erfolgreichem Start-up-Entrepreneur und prekär arbeitendem Selbstständigen erwies sich als schmal. Zudem war der „Cappuccino-Kapitalismus“ oft nur die Vorhut für den Aufstieg ganzer „Latte-macchiato-Viertel“. Die „Gefleckte Milch“ im Cocktail-Look sollte rasch zum Symbol für Gentrifizierung werden, also für den Zuzug jüngerer und reicherer Bewohner in ärmere Stadtviertel, was zwar mit einer Aufwertung, aber auch mit einer Verteuerung des Wohnraums verbunden ist.

Am Anfang war der Filterkaffee

Zu Hause gemachter Kaffee, das war bis in die späten 80er und frühen 90er Jahre vor allem Filterkaffee. Und der war oft genießbar, oft aber auch ein ziemliches „Gschloder“, wie man in Wien, oder „Plörre“, wie man in Deutschland zu sagen pflegte. Im Vergleich zu Österreich mit seiner Wiener Kaffeehauskultur galt Deutschland zudem als Kaffeeentwicklungsland. Um das festzustellen, reichte jahrelang ein Besuch in einer deutschen Autobahnraststätte. Und der jahrzehntealte deutsche Kalauer „Sieht nach Regen aus, schmeckt aber nach Kaffee“ war eine durchaus akkurate Zustandsbeschreibung von im Nachbarland kredenztem „Kaffee“.

Italienisierung und Kapselrevolution

Doch mit den 90er Jahren setzten zwei Entwicklungen ein, die die Kaffeekultur langsam, aber sicher maßgeblich verändern sollten. Zunächst setzte die Italienisierung des Kaffees ein: Die ersten Espressobars öffneten in deutschen und österreichischen Städten, in Wien war Segafredo am Graben schon 1989 Vorreiter.

Frauen arbeitet an Siebträgermaschine
Getty Images/Ezra Bailey
Die Kaffeemaschine als Heiligtum in Lokalen

Für den Kaffee zu Hause setzte die Kapselrevolution ein: Nestle hatte zwar schon in den Jahren zuvor begonnen, seinen in Aluminium eingeschweißten Kaffee und entsprechende Maschinen dafür anzubieten, der große Durchbruch kam aber erst, als 1991 der Marketingprofi Jean-Paul Gaillard die Führung bei Nespresso übernahm.

Boom im Elektromarkt

Der Espresso und der Cappuccino eroberten Europa und machten in Österreich dem kleinen Schwarzen und der Melange Konkurrenz. Und in den Wohnungsküchen wurde mehr und mehr die Filterkaffeemaschine verbannt. Allein in Deutschland behauptet sich der Filterkaffee noch an der Spitze der Beliebtheit, in Österreich überholten Kapselmaschinen die Filtermaschinen – je nach Umfrage – vor drei bis fünf Jahren. 2019 besaßen laut GFK-Umfrage 44 Prozent aller heimischen Haushalte eine Kapselmaschine.

Mittlerweile haben laut Marketagent-Umfrage für den Kaffeeverband die Vollautomaten, bei denen der Kaffee frisch gemahlen wird, mit 48 Prozent bei Weitem die Nase vorn. Kapselmaschinen werden, vielleicht auch aufgrund eines gesteigerten Umweltbewusstseins, nur noch von rund 28 Prozent genutzt, die Filtermaschine von rund 18 Prozent.

7,2 Kilo pro Kopf und Jahr

Mit einem Verbrauch von 7,2 Kilo pro Kopf und Jahr zählen die Österreicher laut Kaffeeverband zu den Europameistern im Kaffeetrinken. Wobei: Finnland meldete für das Jahr 2018 rund zehn Kilo Kaffee pro Person. Und der österreichische „Tag des Kaffees“ am 1. Oktober wurde von der International Coffee Organization (ICO) übernommen.

Auch der Vergleich in den Regalen der Elektromärkte illustriert den Wandel – und den Aufschwung: Wo früher ein paar Filter-, Kapselmaschinen und die ersten Vollautomaten angeboten wurden, erstreckt sich nun ein Angebot, das die Klassengesellschaft der Kaffeetrinker offenbart – mit einer Preisspanne von ein paar Dutzend Euro bis zum vollen Monatsgehalt.

Es interessiert die Bohne

Ihren festen Platz, und das ebenfalls in allen Preisklassen, haben mittlerweile auch Siebträgermaschinen, quasi die Königsklasse für Kaffee-Aficionados. Und genau hier können Menschen mit Neigung zum Hobby richtige Obsessionen entwickeln. Entsprechende Maschinen finden sich dann – zu durchaus gediegenen Preisen – im Fachhandel. Und natürlich haben dann auch die Bohnen zu interessieren, Röstverfahren sowieso. In den einschlägigen gentrifizierten Zonen in den Städten findet sich – zwischen Barber Shop und Bike-Laden – sicher auch ein Fachgeschäft mit eigener Privatrösterei.

Aus Genuss eine Wissenschaft zu machen, um von einer „schokoladigen Note im Abgang“ sprechen zu können, folgt dabei dem Beispiel von Wein. Mit dem Craft-Beer-Boom setzte die Entwicklung relativ gleichzeitig auch bei Kaffee ein. War das Wort Barista bis vor ein paar Jahren weitgehend unbekannt, hat die exzessive Beschäftigung es mittlerweile in den allgemeinen Wortschatz gespült.

Fast schon eine Wissenschaft

Und was ein echter Hobbybarista ist, kann zu Hause dann natürlich noch am Mahlgrad, der Wasserhärte, der Durchlaufzeit, am Brühdruck, der Brühtemperatur und am Anpressdruck bei der Befüllung tüfteln – und über Einkreiser, Zweikreiser und Dualboiler fachsimpeln.

Weil es ja in jeder Nische auch noch ausgefallenere Nebennischen gibt, hat sich auch eine Luxus-Filterkaffeekultur entwickelt, wo man dann mit Apothekerwaage zum Kaffeemachen schreitet und sich über die optimale Filterbeschaffenheit den Kopf zerbrechen kann.

Maschinenfetisch allerorts

Dem Maschinenfetisch in Sachen Kaffee kann man freilich nicht nur in den eigenen vier Wänden frönen. Seit einiger Zeit gibt es tatsächlich Cafes, die ausdrücklich mit der zur Anwendung kommenden High-End-Gastronomiemaschine ihr Publikum anlocken wollen. Und glaubt man einschlägigen Fachmagazinen, so gibt es auch mehr und mehr Unternehmen, vorwiegend aus dem Bereich der Kreativwirtschaft, die in besonderen Kaffeemaschinen ein besonderes Incentive für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehen.

Bei weit verbreitetem und geballtem Fachwissen wird das Thema Kaffee freilich auf Social Media auch zum Minenfeld. Wer Caffe latte und Latte macchiato verwechselt, kann sich schon auf belehrende Kommentare einstellen – abgesehen davon, dass ein inflationär gewordenes Milchschaumgetränk (Stichwort: „Latte-macchiato-Eltern“) auch nur noch bedingt als Alleinstellungsmerkmal zur Profilierung dient. Und auch ein locker-flockig formuliertes „Ohne zwei Espressi in der Früh bin ich’s einfach nicht“ signalisiert nicht gewünschte Weltgewandtheit, sondern fehlende Italienisch-Kenntnisse.