Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) in der ehemaligen Rennwegkaserne auf dem Rennweg in Wien
ORF.at/Carina Kainz
Wirecard und Marsalek

Mehr Hinweise auf BVT-Verstrickung

Die Causa Wirecard ist am Donnerstag um brisante Details reicher geworden. Deutlicher wird dabei die mutmaßliche Verstrickung des flüchtigen Ex-Wirecard-Vorstands Jan Marsalek mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und der FPÖ. Kurz vor einer abendlichen Fluchtaktion von Bad Vöslau nach Minsk soll Marsalek den früheren ranghohen BVT-Mitarbeiter Martin W. getroffen haben. Dieser streitet alles ab.

Marsalek wird Verwicklung in einen Milliardenbetrug vorgeworfen. Dass der ehemalige Wirecard-Finanzvorstand, der zuletzt auch mit seinen ausufernden Lobbyplänen für Investitionen und militärisches Engagement in Libyen für Aufsehen gesorgt hatte, das Übel wohl bereits lange vor dem internationalen Haftbefehl gegen ihn gerochen hatte, wird dabei immer offensichtlicher.

Marsalek soll am 19. Juni am Abend vom Privatflughafen Bad-Vöslau-Kottingbrunn in Niederösterreich in die weißrussische Hauptstadt Minsk geflogen sein. Die Kosten dafür, 8.000 Euro, soll er in bar bezahlt haben. Das berichteten am Donnerstag der „Kurier“, die „Presse“ und die „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“) ohne Quellenangabe. Bisher war ein Flug am 18. Juni ab Klagenfurt kolportiert worden. Als Wirecard-Vorstand war Marsalek zu diesem Zeitpunkt nur suspendiert, Haftbefehl gab es noch keinen. Der Flug fand daher wohl völlig legal statt.

Schlüsselperson in BVT-Causa getroffen?

Am Vorabend des Fluges habe Marsalek den ehemaligen BVT-Mitarbeiter W. in München getroffen, so die Zeitungen, was dieser allerdings nicht bestätigt. Mit dem Ex-Beamten verbinde Marsalek ein freundschaftliches Verhältnis. W. war bis Ende 2017 Abteilungsleiter im BVT. 2018 ließ er sich karenzieren, Kontakt soll W. zum BVT aber weiterhin gehalten haben, wie die „Presse“ berichtete.

Fahndungsplakat nach dem flüchtigen Jan Marsalek in Hamburg
picturedesk.com/NIBOR/Action Press
Marsalek wird per internationalen Haftbefehl gesucht

W. wurde lange Zeit nachgesagt, er sei der Verfasser jenes Konvoluts, das die BVT-Affäre ins Rollen brachte. Er bestritt das vehement. Auch durch seine Einvernahme bei der Staatsanwaltschaft kam es zur Hausdurchsuchung im Staatsschutz Ende Februar 2018. Die Staatsanwaltschaft setzte auf W. als wichtigen Informanten. Es blieb bei Vorwürfen gegen ihn. W. soll nun eine der letzten Personen sein, die Marsalek vor seiner Flucht nach Minsk traf.

Bericht: Marsalek machte FPÖ Vorschlag zu BVT-Chefposten

Es ist nicht das erste Mal, dass Marsalek mit dem BVT in Verbindung gebracht wird. Über ihn sollen immer wieder Informationen auch an die FPÖ-Spitze weitergegeben worden sein. Ans Licht kam das durch das Handy von Ex-FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus, das ihm nach Bekanntwerden des „Ibiza-Videos“ bei einer Hausdurchsuchung abgenommen wurde.

Darauf sollen sich unter anderem Nachrichten mit Insiderinfos zwischen Gudenus und einem Mittelsmann von Marsalek befinden. Die Verbindung von Marsalek zur FPÖ gilt als Zufallsfund der Ermittler in der Causa „Ibiza“. Die FPÖ dementiert. Ex-Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) bestätigte jedoch einen Besuch Marsaleks im Innenministerium während seiner Amtszeit.

Marsalek schlug der FPÖ im Mai 2018 laut „Presse“ auch einen ihm bekannten Anwalt als neuen BVT-Chef vor. Dieser hatte bisher nichts mit dem BVT zu tun gehabt – war aber die Vertrauensperson von W. bei seiner Zeugeneinvernahme in der BVT-Causa.

„SZ“: Druck auf Wirtschaftsprüfer steigt

Laut „SZ“ steigt unterdessen der Druck auf die Wirtschaftsprüfer von EY, die jahrelang für Wirecard verantwortlich waren und den Milliardenbetrug in der Firma nicht entdeckt haben. Denn die KPMG, die zu einer Sonderprüfung gerufen wurde, habe im April 2020 berichtet, dass ein EY-Mitarbeiter bereits 2016 gewarnt haben soll, dass Führungskräfte bei Wirecard in einen Betrug verwickelt sein könnten und es einen Bestechungsversuch gegeben haben soll.

Eine anschließende forensische Untersuchung sei aber von Marsalek ohne Abschlussbericht beendet worden, die Erkenntnisse der Untersuchung seien im Jahresabschluss 2017 nicht ausreichend berücksichtigt worden. EY dementiert die Vorwürfe: Alles sei damals korrekt dokumentiert worden.

Wirecard-U-Ausschuss im deutschen Bundestag beschlossen

Der deutsche Bundestag beschloss am Donnerstag zudem die Einsetzung des bereits geplanten Untersuchungsausschusses zum Wirecard-Skandal. Für den Ausschuss stimmten AfD, FDP, Grüne und Linke. Die Regierungsfraktionen Union und SPD enthielten sich. Die nötige Zustimmung von mindestens einem Viertel der 709 Bundestagsabgeordneten war damit sogar deutlich überschritten.

Der U-Ausschuss soll klären, inwiefern die deutsche Regierung sowie Behörden über Vorkommnisse bei Wirecard informiert waren und ob sie ihren Aufsichtspflichten nachkamen. Er soll neun Mitglieder haben. Der Ausschuss kann Zeuginnen und Zeugen sowie Sachverständige vernehmen und Akteneinsicht verlangen.

Im Juni hatte der inzwischen insolvente Zahlungsdienstleister Wirecard Luftbuchungen von 1,9 Mrd. Euro eingeräumt. Wirecard flog aus dem DAX, Ex-Firmenchef Markus Braun sitzt in Haft. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Wirecard seit 2015 Scheingewinne auswies, und ermittelt wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs. Der Schaden für die kreditgebenden Banken und Investoren könnte sich auf 3,2 Mrd. Euro summieren. Den jüngsten Vermutungen zufolge soll sich Ex-Vorstand Marsalek nach Osteuropa abgesetzt haben. Es wird spekuliert, dass er sich auf einem Anwesen nahe Moskau befinden soll, das von einem russischen Geheimdienst bewacht werde.