Giorgia Meloni, Vorsitzende der Partei Fratelli d’Italia
AP/La Presse/Roberto Monaldo
Giorgia Meloni

Neofaschistin mischt Italiens Rechte auf

Italiens rechtspopulistischer Lega-Chef Matteo Salvini muss derzeit weniger seine politischen Gegner fürchten. Vielmehr droht ihm Gefahr von einer Verbündeten: der Parteichefin der neofaschistischen Fratelli d’Italia (Brüder Italiens, FdI), Giorgia Meloni. Ihre Popularität wächst ebenso stetig, wie jene von Salvini sinkt.

„Ich bin Giorgia, ich bin Frau, ich bin Mutter, ich bin Christin“, so charakterisierte sich Meloni selbst vergangenes Jahr auf einer Antiregierungsdemo in einer Rede, die als Videoremix zum Millionenhit im Netz wurde. Die FdI-Chefin vertritt erzkonservative Werte, preist die Dreiheit „Gott, Vaterland, Familie“, denunziert den Feminismus, schimpft gegen Homosexuelle und wettert unermüdlich gegen Migration, hohe Steuern und die Brüsseler Technokratie.

Mit ihren nationalistischen und fremdenfeindlichen Parolen wird die 43-Jährige oft mit Marine Le Pen, der Chefin des französischen Rassemblement National (RN) verglichen. „Wir verteidigen Italien“, verkündet die 2012 von Meloni mitgegründete Partei auf ihrer Website. Der Name Fratelli d’Italia spielt auf den Titel der italienischen Nationalhymne an, doch die Nähe ihrer Partei zum Faschismus ist deutlich. Ihr Logo hat als zentrales Element die „Fiamma tricolore“ (dreifärbige Flamme) der neofaschistischen Vorgängerparteien Movimento Sociale Italiano (MSI) und Alleanza Nazionale (AN).

„Entspanntes Verhältnis“ zum Faschismus

Benito Mussolini und der Faschismus sind für Meloni zwar ein abgeschlossenes Kapitel der Geschichte, doch nie hat sie sich offen davon distanziert. Der „Duce“ sei eine „komplexe Persönlichkeit, die im historischen Kontext gesehen" werden müsse, zum Faschismus habe sie „ein entspanntes Verhältnis“, legte sie ihre Einschätzung dazu schon vor Jahren fest. Bei der letzten Europawahl 2019 stellte Meloni Mussolinis Urenkel Caio Giulio Cesare Mussolini als Kandidaten auf.

Zur Rechten habe sie sich „instinktiv“ hingezogen gefühlt, sagte die aus dem Arbeiterviertel Garbatella stammende Römerin einmal. Mit 15 Jahren trat Meloni der Jugendbewegung des MSI bei, später sammelte sie politische Erfahrung bei der AN, deren Chef Gianfranco Fini sie 2006 mit 29 Jahren zur jüngsten Abgeordneten im Parlament und 2008 mit 31 zur jüngsten Ministerin (für Jugend und Sport) in der Geschichte Italiens beförderte. Seit 2014 steht sie an der Spitze der FdI.

„Schon rechts geboren“

Am Montag wurde Meloni schließlich zur Chefin der europaskeptischen Partei der Konservativen und Reformer (ECR) gewählt, der sechstgrößten Fraktion im Europaparlament – für sie eine weitere Gelegenheit, sich von den Verbündeten Lega, die mit der FPÖ Mitglied der EU-kritischen Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit (ENF) ist, und Forza Italia, die der Europäischen Volkspartei (EVP) angehört, zu distanzieren.

Längst sind die FdI nicht mehr nur Sammelbecken von „Duce“-Nostalgikern, ultrarechten und nationalistischen Wählern. Mit ihren Slogans über Italiens christliche Wurzeln und die Werte der traditionellen Familie hat Meloni viele moderate Rechtswähler vorwiegend unter den „kleinen Leuten“, in den Schichten der Kleinunternehmer, Handwerker und Angestellten gewonnen und sich zu einer gefährlichen koalitionsinternen Konkurrentin für Salvini entwickelt, der dieselbe Wählerschicht anspricht.

Giorgia Meloni und Matteo Salvini bei einer Veranstaltung in Rom im Juli
Reuters/Remo Casilli
Verbündete und Rivalen zugleich: Meloni und Salvini bei einer Kundgebung am 4. Juli in Rom

Die „Italiener zuerst“-Slogans, Anschauungen und Programme von Lega und FdI sind über weite Strecken deckungsgleich. Auch dass sie bereits viele Jahre als Berufspolitiker und Mandatare hinter sich haben, haben Salvini und Meloni – obwohl noch relativ jung – gemeinsam: Salvini 30, Meloni 24 Jahre. Auf die Frage, wer zwischen ihr und Salvini rechter sei, hat Meloni stets eine Antwort parat: „Ich bin schon rechts geboren.“

„Reif für Italiens erste Premierministerin“

Einen grundsätzlichen programmatischen Unterschied gibt es: Die Lega will Regionalisierung, die FdI wollen einen starken Zentralstaat. Und anders als Salvini, der Russland gewogen ist, unterhält Meloni enge Kontakte zu den Rechtskonservativen in den USA. Der ehemalige Berater von US-Präsident Donald Trump, Steve Bannon, sagte, sie sei das „rationale Gesicht des Rechtspopulismus“.

Konflikte mit Salvini vermied Meloni bisher. „Natürlich bemüht sich jeder Parteichef um das Wachstum seiner eigenen Gruppierung, doch ich will auf Kosten unserer Gegner, nicht unserer Verbündeten wachsen“, lautet Melonis Mantra. Politische Beobachter sind sich aber einig, dass sich Meloni irgendwann mit Salvini anlegen könne und werde. „Italien wäre reif für seine erste Premierministerin“, sagt die FdI-Chefin immer wieder.

Dass Meloni schon bei der nächsten Parlamentswahl zur Spitzenkandidatin des Mitte-rechts-Blocks aufrücken könnte, scheint derzeit eher unwahrscheinlich. Seitdem Salvini im vergangenen Jahr mit seinem Versuch scheiterte, die Regierung von Giuseppe Conte, der er selbst angehörte, zu stürzen, und aus dem Kabinett flog, verschieben sich die Kräfteverhältnisse aber.

Salvini ist gewarnt

Zwar ist Salvinis Lega in aktuellen Umfragen mit 24 Prozent Zustimmung stärkste Partei des Landes, bei der Europawahl im vergangenen Jahr waren es aber noch 34,3 Prozent. Dafür schoss die Zustimmung für Melonis FdI im selben Zeitraum von 6,5 auf 16,7 Prozent und drängte den Dritten im rechten Oppositionsbündnis, die Forza Italia des viermaligen Ex-Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, die bei 6,8 Prozent vor sich hin dümpelt, in den Schatten.

Der Höhenflug der FdI spiegelte sich auch bei den Regionalwahlen vor zwei Wochen wider: Die Partei konnte in allen Regionen an Stimmen zulegen – vor allem auf Kosten der Lega. In Apulien lag sie mit 13,3 Prozent der Stimmen sogar vor der Lega. Mit Francesco Acquaroli, der mit einem Stimmenanteil von 49,1 Prozent die Marken gewann, gelang den FdI zudem, was Lega-Kandidaten in der Toskana, in Apulien und in Kampanien nicht schafften, nämlich eine von den Sozialdemokraten regierte Region zu erobern.

Aber nicht nur in Salvinis Wählerpool fischt Meloni, auch in Umfragen nach der persönlichen Beliebtheit hat sie ihn längst überholt und liegt hinter Gesundheitsminister Roberto Speranza auf Platz zwei. Italienische Medienkommentare führen das unter anderem darauf zurück, dass sich die Politikerin während des Höhepunkts der Coronavirus-Pandemie mit Kritik am Lockdown zurückhielt – ganz anders als Salvini, der mit immer wieder wechselnden Ansagen offenbar wenig glaubwürdig wirkte. Der Lega-Chef darf gewarnt sein.